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# taz.de -- Debatte Sozialsysteme: Einig gegen Arbeitslosigkeit
> Die EU will bis Ende des Jahres Eckpunkte für eine gemeinschaftliche
> Arbeitslosenversicherung vorlegen. Kein einfaches Vorhaben.
Bild: Auf den Staat angewiesen zu sein, kann sich in Europa ganz unterschiedlic…
Es ist an der Zeit, dass der in der Koalitionsvereinbarung vorangestellte
„Aufbruch für Europa“ auch jenseits der Kontroversen in der
Flüchtlingspolitik mit politischem Leben gefüllt wird. Den Aufschlag machte
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für alte und neue Finanztöpfe zu
wirtschaftlichen Reformen sowie Krisenmanagement.
Jetzt hat Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit dem
Vorschlag für eine EU-weite Arbeitslosenrückversicherung nachgelegt. Nach
der „Meseberger Erklärung“ von Merkel und Macron zur Vorbereitung des
EU-Gipfels Ende Juni soll eine Arbeitsgruppe zu einem derartigen
Stabilisierungsfonds bei Arbeitslosigkeit bis zum Europäischen Rat im
Dezember 2018 konkrete Vorschläge vorlegen.
Vorstöße der EU-Kommission zu einer gemeinschaftlichen
Arbeitslosenversicherung gibt es schon seit Langem. Allerdings stoßen sie
schon an die bestehenden rechtlichen Barrieren in den Verträgen von
Lissabon gegenüber europaweiten Finanz- und Sozialtransfers.
Die Betonung, mit der EU-Arbeitslosenrückversicherung solle kein neues,
europäisches Transfersystem geschaffen werden, gibt allerdings eher zur
Skepsis Anlass. Zwar ist jedes Mitgliedsland verpflichtet, Eigenvorsorge
durch Sicherung bei Arbeitslosigkeit sowie durch Mindestlöhne zu
gewährleisten. Bei einem „Arbeitsmarktschock“ sollen sie jedoch Kredite aus
einer gemeinschaftlichen Rückversicherung erhalten können, die nach
Beendigung der Krise zurückgezahlt werden müssen.
Die Unterschiede sind groß
Blaupause sind die USA mit einer derartigen Zweigleisigkeit der
Arbeitslosenversicherung einerseits in den einzelnen Mitgliedsstaaten und
darüber hinaus über einen gemeinsamen Rückversicherungsfonds bei
Arbeitsmarktkrisen. Dies kann zur wirtschaftlichen Stabilisierung und
Verringerung des Sozialdumping zwischen den Staaten beitragen, allerdings
auf sehr niedrigem Niveau der Arbeitslosenunterstützung.
Während einige Mitgliedsländer eine besonders gut ausgestattete
Arbeitslosenversicherung unterhalten, ist sie in anderen Ländern völlig
unzureichend. Ergänzend werden staatliche Arbeitslosen- und Sozialhilfe
geleistet, verschiedentlich jedoch nur bei Bedürftigkeit. Bei der Höhe der
Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind Extrempole nach oben
Luxemburg, Niederlande, Portugal und Slowenien, nach unten Großbritannien,
Polen und Malta.
Nicht weniger ausgeprägt sind die Unterschiede bei der Dauer der
Leistungen, der vorherigen beitragspflichtigen Beschäftigung sowie den
einbezogenen Personen. In Deutschland haben die gesetzlichen
Rahmenbedingungen mit der Verknüpfung von Arbeitslosenversicherung und
Arbeitsmarktpolitik sowie die über Jahrzehnte gewachsene heutige
Bundesagentur für Arbeit mit der Verantwortung beider Tarifparteien zu
einem erheblichen Abbau der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren
beigetragen.
Allerdings liegen die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (ALG I)
und der Grundsicherung (ALG II) für die betroffenen Arbeitslosen nach den
Hartz-Verschlechterungen im unteren oder Mittelfeld. Geradezu skandalös
ist, dass nur noch etwa ein Drittel der Arbeitslosen überhaupt
Arbeitslosenversicherungsleistungen beziehen und viele auf Hartz IV mit
scharfen Bedürftigkeitsprüfungen und Sanktionen verwiesen werden.
Erwartbares Kompetenzgerangel
Unerlässliche Vorbedingung für eine EU-Arbeitslosenrückversicherung wären
zunächst gemeinschaftliche Mindeststandards für Versicherungs- und
Hilfeleistungen bei Arbeitslosigkeit nach Höhe, Dauer sowie einbezogenen
Personen. Bereits dies ist nach allen Erfahrungen mit der Einführung
sozialer Mindeststandards in der EU ein schwieriges Unterfangen.
Für die Herausforderungen bei der anschließenden Umsetzung in nationales
Recht bieten die auch nach 15 Jahren noch anhaltenden Auseinandersetzungen
in Deutschland über die Hartz-Reformen einen Vorgeschmack. Ähnliche
gesellschaftliche Kontroversen erfahren inzwischen auch andere EU
Mitgliedsländer.
Zu erwarten ist ebenso erhebliches Kompetenzgerangel zwischen Kommission
und Mitgliedsregierungen beziehungsweise den nationalen Parlamenten bei den
rechtlichen Grundlagen sowie dem finanziellen und organisatorischen Rahmen
für die mögliche Einführung einer derartigen
EU-Arbeitslosenrückversicherung. Dies gilt weiterhin für die Entscheidungen
und Kontrollen über Arbeitsmarktschocks als Bedingung für die Gewährung von
Rückversicherungsleistungen wie über deren Verwendung.
Die verschiedenen Skandale beim Einsatz der Mittel aus den Europäischen
Strukturfonds auch in Deutschland sind eher die Spitze eines Eisberges. Sie
lassen aber den „Teufel im Detail“ erahnen, der bei einer
EU-Arbeitslosenrückversicherung zu beachten wäre.
Erheblicher Nachholbedarf
Dabei ist nicht auszuschließen, dass derartige Gemeinschaftsleistungen
genutzt werden, um unpopuläre nationale Entscheidungen über notwendige
Strukturreformen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter zu umgehen.
So ist es bis heute nicht gelungen, ungerechtfertigte Finanztransfers,
massive Steuerhinterziehungen oder die gravierenden Mängel bei der
beruflichen Ausbildung in verschiedenen Mitgliedsländern zu beheben.
Ebenfalls bestehen erhebliche Nachholbedarfe bei den institutionellen
Voraussetzungen von Arbeitsmarktbehörden sowie der Verantwortung beider
Tarifparteien. Auch die Unterschiede bei Löhnen, Renten, Arbeitszeit sowie
sonstigen arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen haben entscheidenden
Einfluss auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.
Der jüngste Vorstoß von EU-Kommissionspräsident Juncker zur Errichtung
einer Europäischen Arbeitsbehörde dürfte hierzu wenig Hilfestellung bieten.
Für die Zielsetzung, grenzüberschreitende illegale Beschäftigung zu
bekämpfen sind in erster Linie die EU-Mindeststandards zu verbessern und
vor allem für ihre praktische Umsetzung zu sorgen. Lohnend wäre es allemal.
22 Jul 2018
## AUTOREN
Ursula Engelen-Kefer
## TAGS
EU-Politik
Arbeitslosigkeit
Sozialsystem
Saisonarbeitskräfte
Hartz IV
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Österreich
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