# taz.de -- Geheim-Papier „Masterplan Migration“: Was Seehofer will | |
> Fakten statt Mutmaßungen: die zentralen Fragen und Antworten zum | |
> „Masterplan Migration“ des Innenministers. | |
Bild: Grenzgänger: Seehofer im Garten von Schloss Meseberg | |
CDU und CSU zerlegen sich fast im Streit über Zurückweisungen von | |
Flüchtlingen an der Grenze. Ist wirklich alles neu, was Innenminister Horst | |
Seehofer fordert? | |
Nein. Wiedereinreisesperren etwa gibt es längst: Jeder abgeschobene | |
Flüchtling wird mit einem Einreiseverbot von bis zu fünf Jahren belegt, das | |
nicht nur für Deutschland, sondern für den gesamten Schengenraum gilt. | |
Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten bekommen auch dann | |
eine solche Sperre, wenn sie freiwillig ausreisen. Auch die Möglichkeit, | |
Menschen an den deutschen Landgrenzen zurückzuweisen, gibt es bereits. 2017 | |
gab es 7.504 solcher Zurückweisungen, 7.009 davon an der Grenze zu | |
Österreich. | |
Seehofer beklagt aber, dass auch Menschen mit Wiedereinreisesperre nach | |
Deutschland gelassen werden. Stimmt das? | |
Wer Schutz sucht, darf nicht pauschal schon an der Grenze abgewiesen | |
werden, so schreibt es unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention vor. | |
Das bedeutet auch: Wenn jemand an der deutschen Grenze angibt, Asyl zu | |
begehren, ist Deutschland verpflichtet, zu prüfen, wer für das | |
Asylverfahren zuständig ist. Deswegen können Asylbegehrende auch dann nicht | |
an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn sie keine Papiere besitzen oder | |
mit einer Wiedereinreisesperre belegt sind. Schließlich könnte sich die | |
Situation des Asylsuchenden seit der Ablehnung des letzten Asylantrags | |
verändert haben. Zurückweisungen an den Grenzen – etwa wegen eines | |
Einreiseverbots – können deswegen nur bei Menschen vorgenommen werden, die | |
kein Asylbegehren äußern, also zum Beispiel angeben, durch Deutschland nur | |
durchreisen zu wollen. Allerdings sind es nur sehr wenige Menschen, die | |
trotz Wiedereinreisesperre an den Grenzen Asyl begehren: im letzten Jahr | |
nach Auskunft der Bundespolizei rund 1.200. Trotz dieser Rechtslage hat | |
Merkel signalisiert, dass bei Wiedereinreisesperren automatische | |
Zurückweisungen eingeführt werden sollen. | |
Warum reicht das noch nicht für eine Einigung? | |
Seehofer will auch Menschen zurückweisen lassen, die zum ersten Mal an | |
deutschen Grenzen auftauchen, nämlich alle, deren Fingerabdruck bereits in | |
einem anderen EU-Staat registriert wurde. Von 222.500 Menschen, die 2017 in | |
Deutschland Schutz suchten, waren 60.489 bereits in einem anderen EU-Land | |
erfasst worden. Ein Teil von ihnen wurde zurück in das Land gebracht, in | |
dem sie erfasst waren. Beim größeren Teil wurden Asylverfahren | |
durchgeführt. Alle anderswo registrierten Flüchtlinge bereits an der Grenze | |
zurückzuweisen wäre nur mit einer massiven Ausweitung der Grenzkontrollen | |
durchführbar: Bislang gibt es nur an drei von siebzig Grenzübergängen zu | |
Österreich feste Kontrollpunkte. Änderte sich dies, wären auch Pendler, | |
Touristen und Geschäftsreisende betroffen. | |
Warum ist Seehofers „Masterplan“ bisher nur in Auszügen bekannt? | |
Seehofers Informationspolitik ist mehr als dürftig. Bis auf ihn, Merkel und | |
ein paar Leute aus dem Innenministerium kennt wohl niemand das Papier in | |
Gänze. Sogar in der Sitzung der Unionsfraktion oder in Gremiensitzungen der | |
CSU wurden Inhalte nur mündlich vorgetragen. Diese Geheimhaltung ist | |
bemerkenswert. Seehofer brüskiert damit nicht nur seine eigenen | |
Abgeordneten, die den Plan am Ende ja beschließen sollen, sondern auch den | |
Koalitionspartner SPD. Die Grünen fordern die Veröffentlichung. Es sei ein | |
„Skandal“, dass niemand den „Masterplan“ kenne, argumentiert | |
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. | |
Setzt sich Seehofer damit durch? | |
Ob Merkel oder Seehofer den Machtkampf über Abweisungen an Grenzen gewinnt, | |
ist offen. Aber Seehofers Plan enthält ja insgesamt 63 Punkte – der Streit | |
bezieht sich nur auf einen einzigen. Der Rest sind Maßnahmen zur | |
Fluchtursachenbekämpfung, zur Zusammenarbeit mit Transitstaaten, aber auch | |
Asylrechtsverschärfungen. Seehofer gibt sich betont optimistisch. Er sagte | |
am Montag, dass er sich außerordentlich darüber freue, dass die CDU und die | |
Kanzlerin 62,5 Punkte unterstützten. „Zustimmung bindet.“ Er müsse in | |
Berlin klären, witzelte er, was von dem einen Punkt nur zur Hälfte | |
mitgetragen werde. Außerdem zählte er ein paar Projekte aus dem Plan auf, | |
die noch für heftige Diskussionen sorgen dürften. | |
Welche Projekte sind das? | |
Manche haben Union und SPD im Koalitionsvertrag verabredet. So sollen zum | |
Beispiel Asylbewerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens in | |
Großunterkünften, sogenannten Anker-Zentren, festgehalten werden. Außerdem | |
sollen die Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren | |
Herkunftsstaaten erklärt werden. Seehofer kündigte außerdem an, dass der | |
Bund Flugzeuge für Abschiebungen chartern will. Es kommt immer wieder vor, | |
dass Piloten von Linienflügen die Mitnahme von Asylbewerbern verweigern. | |
Außerdem sollen Asylbewerber künftig fast ausschließlich Sachleistungen | |
statt Geldzahlungen erhalten. Statt einer Pauschale, die unter dem | |
Hartz-IV-Satz liegt, bekämen sie also Lebensmittel, Kleidung und andere | |
Sachen des täglichen Bedarfs zugewiesen. | |
Seehofer will auch Schutzzonen in Afrika einrichten. Was ist das? | |
Der Begriff „Schutzzone“ ist euphemistisch. Gemeint sind Flüchtlingslager | |
in nordafrikanischen Staaten. In jenen sollen Menschen gesammelt werden, | |
die in Afrika in Richtung Norden fliehen. Aber auch Geflüchtete, die im | |
Mittelmeer von Rettungsschiffen aufgegriffen werden, würden nach dem Willen | |
Seehofers dorthin zurückgebracht – und nicht wie bisher in europäische | |
Häfen. Für solche Lager müsste die EU Abkommen mit den betroffenen Staaten | |
abschließen, etwa mit Tunesien, Libyen oder dem Libanon. In diesen Lagern | |
würde die EU auch Asylanträge prüfen. Die Verhandlungen wären schwierig und | |
moralisch angreifbar, weil die EU ihre Asylrechtspolitik auf einen anderen | |
Kontinent verlagerte. Dort herrschen zudem teils fragwürdige Regime. Neu | |
ist die Idee nicht. Schon 2004 schlug der damalige SPD-Innenminister Otto | |
Schily solche Lager vor. | |
Die Union könnte solche Punkte nicht allein beschließen. Was sagt die SPD | |
dazu? | |
Falls sich CDU und CSU einigten, gäbe es keinen Automatismus für die | |
Zustimmung der SPD, betont SPD-Chefin Andrea Nahles. Sie verlangt einen | |
Koalitionsausschuss noch vor dem EU-Gipfel in knapp zwei Wochen. Inhaltlich | |
schlägt die SPD-Spitze vor, ein beschleunigtes Verfahren, das es bereits | |
für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten gibt, auch auf Flüchtlinge | |
anzuwenden, die schon in anderen EU-Staaten Asyl beantragt haben. Solche | |
Verfahren könne man laut Nahles „innerhalb einer Woche abwickeln“ und die | |
Menschen gegebenenfalls wieder in das Land der Erstregistrierung | |
zurückschicken. Schutzzonen in Afrika sind in der SPD umstritten. Doch | |
einzelne SPDler, etwa Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, haben | |
sich bereits dafür ausgesprochen. | |
20 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
Christian Rath | |
Ulrich Schulte | |
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