# taz.de -- Lebensmittel-Tafeln ziehen Bilanz: Die vielen Gesichter der Armut | |
> Rotationsprinzip, Aufnahmestopp, Losverfahren: Die Lebensmittel-Tafeln | |
> gehen mit dem großen Andrang unterschiedlich um. | |
Bild: Einkaufstrolleys vor Essener Tafel | |
BERLIN taz | Die alte Dame war geschminkt und gut gekleidet, als sie an | |
einer Ausgabestelle der Tafel in Hamburg auftauchte. „Die Frau berichtete | |
mir, seit dem Tod ihres Mannes 60 bis 70 Prozent ihrer Witwenrente für die | |
Miete zahlen zu müssen“, erzählt Christian Tack, Geschäftsführer der | |
Hamburger Tafel. „Also blieb ihr kaum noch Geld zum Leben.“ Daher wagte | |
sich die alte Dame zur Tafel, wo sie genauso wie Hartz-IV-EmpfängerInnen | |
und Asylsuchende einmal in der Woche gespendetes Obst und Gemüse und | |
Backwaren für den eigenen Haushalt abholen konnte. | |
Die Kundschaft der Tafeln sei „heterogen“, erklärte am Montag Jochen Brüh… | |
Vorsitzender des Bundesverbandes Tafel Deutschland anlässlich des | |
25-jährigen Jubiläums des Dachverbands. Er legte neue Zahlen vor, nach | |
denen etwa ein Viertel der Kunden der Tafeln Menschen im Rentenalter sind, | |
ein Viertel sind Asylsuchende und etwas weniger als die Hälfte Haushalte im | |
Bezug von Hartz IV. 1,5 Millionen Menschen kommen regelmäßig, also meist | |
einmal wöchentlich zu einer Ausgabestelle, wo es für eine Schutzgebühr von | |
einem Euro die gespendeten Lebensmittel von Supermärkten und | |
Lebensmittelproduzenten gibt. | |
Die Heterogenität der Kundschaft galt als brisant, weil die Tafel in Essen | |
Anfang Januar einen Aufnahmestopp für Bedürftige ohne deutschen Pass | |
verhängt hatte. Der Aufnahmestopp ist inzwischen aufgehoben. „Wir nehmen | |
jeden, der kommt“, sagte eine Mitarbeiterin der Essener Tafel der taz. | |
Dennoch gibt es dort wie anderswo Kriterien, um den Andrang zu | |
kanalisieren. In Essen bekommen nur EmpfängerInnen von Hartz IV, | |
Grundsicherung oder Wohngeld einen Ausweis für die Tafel, der auch nur ein | |
Jahr gültig ist. Danach muss ein Jahr pausiert werden. Ausgenommen von | |
dieser Rotation sind Alleinstehende ab dem 60. Lebensjahr, ältere Ehepaare | |
oder Schwerbehinderte, gleich welcher Nationalität. | |
SeniorInnen sollen auch in Köln besonders rücksichtsvoll behandelt werden. | |
Es gibt dort bereits eine Ausgabestelle nur für EmpfängerInnen im | |
Rentenalter. „Weitere Ausgabenstellen für Senioren sind geplant“, sagt | |
Karin Fürhaupter, Vorsitzende der Kölner Tafel. Auch in Hamburg „sehen wir | |
mehr ältere Leute in den Ausgabestellen“, schildert Tack. Wie anderswo gibt | |
es auch dort ein Losverfahren, um die Reihenfolge bei der Ausgabe | |
festzulegen und Gedränge zu vermeiden. | |
Eine Diskriminierung nach Nationalität sei in Hamburg gar nicht denkbar, | |
meint Tack. Viele der ehrenamtlichen HelferInnen hätten selbst einen | |
migrantischen Hintergrund. Wie in Köln gibt es auch in Hamburg in einigen | |
Ausgabestellen einen Aufnahmestopp. Der Andrang ist einfach zu stark. | |
19 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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Jens Spahn | |
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