# taz.de -- Doku über geflüchtete somalische Familie: Familiennachzug in Zeit… | |
> „Global Family“ von Melanie Andernach und Andreas Köhler begleitet die | |
> über drei Kontinente verstreute Familie Shash bei einer schwierigen | |
> Mission. | |
Bild: Ausgangspunkt der Handlung: Großmutter Imra Shash (88) will ihr Exil in … | |
Gerade ist der angeblich an Familienwerten orientierte Nationalist Donald | |
Trump mit seinem Versuch der [1][gewaltsamen Trennung von Familien] am | |
breiten öffentlichen Aufschrei gescheitert. Das liegt sicher auch daran, | |
dass Kinderjammern nicht nur aufs Sentiment der Präsidentengattin drückt. | |
Weniger massentauglich, doch ebenso herzzerreißend ist die Trennung von | |
Eltern und Kindern am anderen Ende der Lebensspanne. Das zeigt der | |
Dokumentarfilm „Global Family“ über die aus Somalia geflüchtete Familie | |
Shash, deren fast 90 Jahre alte Großmutter zu einem ihrer Söhne nach | |
Deutschland oder Italien übersiedeln will. | |
Sie selbst – die der ehemaligen Elite des Landes entstammt – ist bei der | |
Flucht vor dem Bürgerkrieg mit ihrem dritten Sohn Abdulahi in Äthiopien | |
geblieben, wo sie jetzt in einem Flüchtlingsquartier in Addis Abeba lebt. | |
Abdulahi hat in den Gräueln des Krieges seine Kinder verloren und ist der | |
Khat-Droge verfallen. So kommt praktische Hilfe für die alte Frau vor allem | |
von einer 17-jährigen Enkelin, die selbst vom Auswandern nach Kanada | |
träumt. Geld für den Unterhalt der drei schickt die durch den Krieg in alle | |
Welt zerstreute Großfamilie, darunter Sohn Ibrahim, der nach der Flucht | |
über Äthiopien und Libyen mit den beiden jetzt erwachsenen Töchtern und | |
zahlreichen Enkeln in Bonn lebt. | |
Einst war dieser „Kabtan“ Shash in seiner Heimat ein Fußballstar, später | |
ging er in die Politik. Auch in Bonn wirkt er als Organisator in der | |
somalischen Exilgemeinde, ist aber materiell auf staatliche Unterstützung | |
angewiesen. Der dritte Bruder Aden ist in Mailand gestrandet und lebt | |
abwechselnd auf der Straße oder bei einem Freund. Arbeit jeder Art kann er | |
schon seit Jahren nicht mehr finden, erzählt der Musiker und dreht im Park | |
kleine Clips fürs Netz. Auch weil er mit der norditalienischen Mentalität | |
nicht zurechtkommt („Europa macht krank“), wünscht er sich zunehmend nach | |
Somalia zurück. | |
Die Kölner Filmschaffenden Melanie Andernach und Andreas Köhler haben das | |
Leben der Familie Shash seit vielen Jahren erst ohne und dann mit der | |
Kamera begleitet und verdichten in ihrem Film eine Phase, in der sich die | |
Situation in mehrfacher Hinsicht zuspitzt und auf Klärung drängt. Denn auch | |
das Leben in Addis wird teurer, zudem fühlt sich die alte Mutter von | |
Abdulahi nicht mehr gut betreut, redet sogar von „Übergriffigkeiten“. Adens | |
Idee, sie nach Italien zu holen, scheitert nicht überraschend an seiner | |
prekären Situation. Und auch Ibrahim und seine Töchter können die von den | |
Ämtern für ein Einreisevisum geforderten Sicherheiten nicht liefern. | |
## Wenig Respekt vor Tommy-Hilfiger-Schuhen | |
Um sich „ein Bild vor Ort zu machen“ (so Ibrahim), reist er mit Tochter | |
Yasmin und deren Kindern selbst nach Addis Abeba zu Großmutter Imra und | |
Abdulahi. Für Yasmin ist es das erste Wiedersehen mit ihrer Großmutter und | |
dem Geburtsland seit der Flucht als kleines Mädchen, für die deutsche | |
Urenkel-Generation der erste wirkliche Kontakt überhaupt mit den | |
afrikanischen Wurzeln der Familie, die in der Erziehung durch Mutter und | |
Großvater eine eher nostalgische Rolle einnehmen. | |
Besonders für die beiden präpubertären Mädchen mit altersüblicher | |
Markenaffinität ist es ein Kulturschock, zu sehen und zu spüren, wie | |
ärmlich ihre Uroma lebt und wie wenig Respekt die Somalis ihren | |
Tommy-Hilfiger-Schuhen entgegenbringen. Doch auch Yasmin ist durch die | |
soziale Situation und familiäre Spannungen verstört und entspannt erst | |
abends etwas auf dem Balkon eines Hotels mit weitem Blick über die Stadt. | |
Bekanntermaßen wird ja auch im Dokumentarfilm Wirklichkeit konstruiert und | |
nicht eingefangen und abgebildet. So fokussiert auch die beobachtende | |
Kamera von Andreas Köhler ganz bewusst auf solche Szenen lebensweltlicher | |
Konfrontation, ohne sie aber jemals plakativ auszustellen. Die Montage | |
setzt diese beobachtenden Sequenzen kommentarlos neben und zum Teil auch | |
über berichtende und reflektierende Interviewpassagen mit den einzelnen | |
Heldinnen und Helden. | |
Dramatischer Höhepunkt der Reise und des Films ist ein Streit der Brüder | |
Ibrahim und Abulahi, bei dem das Verhandeln früherer Versäumnisse und | |
kommender Verpflichtungen in gegenseitigen Kränkungen eskaliert. | |
Emotionaler Kern ist die Erkenntnis, dass es trotz besten Willens aller | |
eine „gute“ Lösung in den bestehenden Verhältnissen nicht gibt. Für | |
Großmutter Imra ist es wohl der schwerste Schlag, dass der einst so | |
erfolgreiche Sohn (der auch im somalischen Viertel von Addis noch von | |
vielen erkannt und respektvoll gegrüßt wird) nun in Armut und Abhängigkeit | |
von fremden Institutionen lebt. | |
## Die rigide Politik macht auch vor dem Tod keinen Halt | |
Stoff mit dem Zeug zum Melodram, den der Film von Andernach und Köhler mit | |
einer Migrationspolitik konfrontiert, die auch bei einer kurz vor ihrem | |
Lebensende stehenden Frau keine Ausnahme von ihrem restriktiven Regiment | |
macht. Eine schlichte Konfrontation. Doch es ist ein Privileg der | |
dokumentarischen Form, aus dem genauen Hinschauen auf solche scheinbar | |
klaren Konflikte und ihre Widersprüche eigene Fragestellungen jenseits des | |
fokussierten Grenzregimes neu zu entwickeln. Schließlich entzündet sich das | |
Familiendrama zu einem Zeitpunkt im Leben der alten Frau, wo die Umsiedlung | |
in eine völlig fremde Welt auch ohne gesetzliche Restriktionen kaum als | |
förderlich vorstellbar ist. | |
So ist die ganze Unternehmung wohl eigentlich eine verkappte Abschiedsreise | |
und der gezeigte Aktivismus auch eine Form der innerfamiliären Verdrängung | |
der desolaten Situation. Das aus dieser Krise heraus in die Zukunft | |
weisende Zentrum der Familie ist die junge Yasmin. Sie sorgt trotz innerer | |
und äußerlicher Verletzungen nach einem einst auf die Familie verübten | |
Brandanschlag mit aller Energie für deren Heilung und ein gelingendes | |
Ankommen im deutschen Hier und Jetzt. | |
Der auf dem Festival des deutschen Nachwuchsfilms in Saarbrücken mit dem | |
Max-Ophüls-Preis für Dokumentarfilm ausgezeichnete Film ist ein starkes, | |
offen angelegtes und fast paradigmatisches Porträt einer Familie in einer | |
existenziellen Krise. Und dazu ein kritisches Statement zu einer Praxis von | |
Familienzusammenführung, bei der die Gewichte äußerst einseitig zugunsten | |
der Ökonomie verteilt sind. | |
28 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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