# taz.de -- Macron trifft Merkel: Zum gemeinsamen Erfolg verdammt | |
> Am Dienstag trifft Merkel Macron in Meseberg. Berlin nervt der Elan des | |
> Franzosen. Paris findet die Kanzlerin zu zögerlich. | |
Bild: Gute Laune nach außen: Merkel und Macron | |
BERLIN taz | Ein lauer Juniabend in der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung | |
in Berlin. Das Debattenthema lautet: „Ein souveränes, geeintes, | |
demokratisches Europa – erreichbares Ziel oder leere Pathosformel?“ Hier | |
wird an dem ganz großen Rad gedreht. | |
Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse hält ein flammendes | |
Plädoyer für die europäische Republik. Die europäische Einigung nach 1945 | |
zeichnet er als „Meisterwerk pragmatischer Vernunft, avantgardistisch, aber | |
von historischen Erfahrungen abgeleitet und von eleganter Klarheit und | |
Logik“. Das wirkt angesichts des Aufstiegs von Rechtspopulisten und | |
Nationalisten fast unzeitgemäß. | |
Nur in Paris sieht man das anders: Emmanuel Macron hat die Europafahne | |
gehisst und in den letzten Monaten Richtung Berlin Salven von Ideen | |
geschickt. Ein 200 Milliarden Euro schwerer europäischer Investitionsetat. | |
Ein Finanzminister für die Euroländer. Ein europäischer Währungsfonds, der | |
Kredite vergeben kann. Eine gemeinsame militärische Truppe. Das alles zielt | |
auf eine souveräne EU, letztlich eine föderale europäische Republik. | |
In Berlin indes mäkeln auch hochrangige SPD-Politiker im Hintergrund an | |
Macron herum. Wieso der denn seine Sorbonne-Rede drei Tage nach der | |
Bundestagswahl hielt, fragen sie vorwurfsvoll. Dabei hatte der französische | |
Präsident extra die Bundestagswahl abgewartet. | |
## Deutsche wiegeln ab | |
„Das Gefühl von Dringlichkeit ist in Berlin nicht so stark wie in Paris“, | |
sagt Claire Demesmay, Expertin für deutsch-französische Beziehungen, in der | |
Debatte beim „Willy-Brandt-Gespräch“ in Berlin. Das ist recht diplomatisch | |
ausgedrückt. Bei allem, was nach mehr Geld für Brüssel und weniger Rechten | |
für Berlin klingt, macht die Union dicht. Wegen des Brexit müssen | |
Nettozahler sowieso mehr Euro lockermachen. Die Unionsfraktion beäugt | |
skeptisch, ob die Kanzlerin Macron womöglich zu weit entgegenkommen könnte. | |
So ist es wie immer: Die Deutschen warten ab, wiegeln ab, rechnen nach. | |
Doch Demesmay hat Hoffnung. Immerhin denke die Große Koalition über eine | |
Art EU-Arbeitslosenversicherung nach. Das sei ein Symbol, ja ein | |
„Tabubruch“ für Berlin, das doch sonst allergisch reagiere, wenn Geld für | |
Soziales in Europa ausgegeben werden soll. | |
SPD-Finanzminister Olaf Scholz, sommerlich salopp gekleidet, zieht knapp | |
die Augenbraue hoch und sagt: „Mein Vorschlag ist vorsichtiger.“ Und | |
erklärt, warum eine europäische Arbeitslosenversicherung niemals | |
funktioniere. Wohlstandsniveau und Höhe des Arbeitslosengeldes seien zu | |
verschieden. | |
Scholz’ Plan ist viel kleinteiliger: ein Fonds für Krisen. Falls ein | |
EU-Staat in eine Rezession gerät, könnte er mit Geld aus diesem Fonds seine | |
Arbeitslosen- und Sozialversicherung stabilisieren. Allerdings sind die | |
EU-Mittel Kredite, die zurückgezahlt werden müssen, wenn die Krise | |
überstanden ist. Die Grundidee: Staaten brauchen gerade in Krisen Geld. Das | |
ist eine Mixtur aus Keynesianismus light und Merkels schwäbischer Hausfrau. | |
## „Merkel führt nicht“ | |
Scholz’ Idee spiegelt seine Erfahrung mit der Finanzkrise 2008 wider. | |
Damals pumpte der SPD-Mann als Arbeitsminister der Großen Koalition Geld in | |
die Sozialsysteme und federte mit einem zweijährigen Kurzarbeitergeld die | |
Schockwelle auf dem Arbeitsmarkt einigermaßen ab. Die SPD sieht sich nun | |
wieder in der Rolle wie damals, die unwillige Merkel zu drücken und zu | |
schieben. „Merkel führt nicht“, so ein SPD-Mann. Das habe sie schon in der | |
Griechenlandkrise versäumt, als sie mit Zeitverzögerung tat, was die SPD | |
zuvor gefordert hatte. | |
Aber das Selbstbild der SPD ist allzu rosarot. Ist die | |
Arbeitslosenrückversicherung das lang erwartete Zeichen gegen die | |
dogmatische Sparpolitik? Taugt die deutsche Krisenerfahrung überhaupt als | |
Blaupause für Europa? Das wird auch vom Volumen des Fonds abhängen – und | |
von den Bedingungen, unter denen Krisenstaaten auf Hilfe hoffen können. | |
Auch in Sachen Eurozonenetat bahnt sich ein Kompromiss an, der die | |
Handschrift von Scholz trägt. Macron hat einen Eurohaushalt ins Spiel | |
gebracht, der ein Prozent des BIP betragen soll: an die 200 Milliarden | |
Euro. Damit soll die Eurozone als Akteur gestärkt werden, die extrem | |
ungleichen Lebensverhältnisse in Süd- und Nordeuropa sollen ein wenig | |
angeglichen werden. Macron will damit die grassierende Europaskepsis | |
eindämmen. | |
Oder vielleicht besser: wollte. Merkel und die Union sind zaghaft. Ein | |
Prozent des BIP, das wären für Deutschland weit über 30 Milliarden, für | |
Frankreich weit mehr als 20 Milliarden Euro. Ein SPD-Mann im | |
Finanzministerium zweifelt, ob Macron das ernst meint: „Die Franzosen | |
wissen doch selbst nicht, wie sie das finanzieren wollen.“ Und Merkel | |
konterte kürzlich den großformatigen Vorschlag aus Paris in einem | |
Zeitungsinterview: Ein Etat für Investitionen für die Eurozone sei denkbar | |
– aber nur mit etwas mehr als 10 Milliarden Euro ausgestattet. | |
## „Zwei Nächte ohne Schlaf“ | |
Einfach nur Nein zu sagen können sich Merkel und die Große Koalition nicht | |
leisten. Das Königsargument in Berlin – reformiert erst mal zu Hause, bevor | |
ihr Geld von uns wollt – zieht bei Macron nicht. Denn der setzt gerade rüde | |
Strukturreformen um, die an Schröders Agenda-Politik erinnern. | |
Der Vorschlag, der nun in Meseberg für die Eurozone offenbar auf dem Tisch | |
liegt, funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie Scholz’ | |
Arbeitslosenrückversicherung: nur im extremen Krisenfall, nur als Kredit. | |
Ein EU-Staat in ökonomischer Misere müsste demnach keine Beiträge mehr nach | |
Brüssel überweisen – das aber nachholen, wenn die Krise vorbei ist. Ein | |
denkbares Szenario wäre Irland nach einer Grenzschließung zu Nordirland | |
nach dem Brexit. „Macron braucht ein Symbol für das Ende der Austerität“, | |
so ein Scholz-Vertrauter. Man dürfe jedenfalls nicht beim europäischen | |
Grenzregime oder beim gemeinsamen Militär Fortschritte erzielen, aber bei | |
der engeren finanziellen Verwebung der EU gar nichts liefern, so ein | |
SPD-Mann. | |
Aber reicht das? In dem Vorschlag steckt viel Berliner Sparsamkeit und | |
ziemlich wenig von Macrons EU-Euphorie. | |
Auf dem Podium in Berlin räumt Scholz ein, dass die Deutschen in Sachen EU | |
„zu schnell Bedenken“ und zu „wenige Ideale“ haben. Aber das klingt etw… | |
pflichtschuldig. Mehr Verve hat eine Spitze gegen Macron. Mit „Weihrauch | |
und Backe-backe-Kuchen“ komme man in der EU nicht weiter. Er habe „schon 30 | |
Stunden mit Bruno Le Maire [dem französischen Finanzminister, d. Red.] | |
verhandelt und zwei Nächte ohne Schlaf verbracht“, sagt Scholz nicht ohne | |
Stolz. Der Handwerker, zuständig für das Kleinteilige, grundskeptisch | |
gegen große Würfe. So sieht sich der Finanzminister. Da passt zwischen | |
Scholz und Merkel nicht viel. | |
So scheinen die hochfliegenden Pariser Pläne von der Berliner | |
Ministerialbürokratie langsam zermahlen zu werden. Klar ist: Macron und | |
Merkel brauchen beide einen Erfolg – nicht nur mit Blick auf den EU-Gipfel | |
am 28./29. Juni in Brüssel, wo ohne funktionsfähige Achse Paris-Berlin erst | |
recht Fliehkräfte freigesetzt werden. Sie müssen auch nach innen zeigen, | |
dass sie noch handeln können. | |
18 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
EU | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
EU-Finanzpolitik | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anschlag von Rechtsradikalen vereitelt: Muslime in Frankreich waren Ziel | |
Die Polizei nahm zehn Verdächtige fest. Der Angriff sollte radikalen Imamen | |
und verschleierten Frauen gelten. Initiator soll ein früherer Polizist | |
sein. | |
Interview mit Grünen-Politiker Giegold: „Den Euro gibt es nur mit Solidarit�… | |
Merkel und Macron schlagen einen Währungsfonds für Euro-Krisenstaaten vor. | |
Dem Grünen Sven Giegold geht das nicht weit genug. | |
Wofür das Eurozonen-Budget gut ist: Stabilisator für den Krisenfall | |
Merkel und Macron haben beschlossen, dass es ein eigenes Budget für die 19 | |
Euro-Staaten geben soll. Warum eigentlich? | |
Kommentar Merkel, Macron und die EU: Einigung auf das Naheliegende | |
Das Treffen in Meseberg kann nicht als großer Wurf gelten, auch wenn Macron | |
auf so etwas aus ist. Es bleibt trockene merkelsche Realpolitik. | |
Deutschland, Frankreich und die EU: Brüssel bleibt skeptisch | |
Merkels Antwort auf Macrons Pläne für die EU wird eher zurückhaltend | |
aufgenommen. Besonders das Budget für Investitionen ist ein strittiger | |
Punkt. | |
Pläne zur Reform der Europäischen Union: Berlin und Paris reden wieder | |
In die Debatte um eine EU-Reform kommt Bewegung. Merkel „nähere sich der | |
französischen Sichtweise“, hieß es aus Paris nach einem Interview der | |
Kanzlerin. | |
Kolumne Liebeserklärung: Die Männerfreundschaft | |
Ein ungutes Gefühl überkommt uns, wenn Trump und Macron sich herzen. Dabei | |
sollte uns ein wenig Restwärme beruhigen. |