| # taz.de -- Günter Bannas über Politikjournalismus: „Ich kam mir wie ein Be… | |
| > Bannas war vierzig Jahre Parlamentskorrespondent der FAZ. Ein Gespräch | |
| > über Freundschaft, Machtkämpfe und Auslandsreisen mit Kanzlern. | |
| Bild: Ein scharfer Beobachter der Machtspielchen in Bonn und Berlin: Günter Ba… | |
| FAZ meets taz. Es ist ein heißer Großstadtnachmittag. Günter Bannas raucht | |
| auf dem Bürgersteig vor der taz noch schnell eine Zigarette zu Ende. Er | |
| trägt einen beigen Sommeranzug und Manschettenknöpfe mit Initialen – auf | |
| der rechten Seite „G“, auf der linken „B“. Im taz-Gebäude sei er noch … | |
| gewesen, erzählt er, als wir die Treppen hochsteigen. Vor manchen | |
| Schwarzweißfotos aus der Anfangszeit der Zeitung bleibt er einen kurzen | |
| Moment interessiert stehen. | |
| Bannas ist eine Koryphäe des politischen Journalismus. Er fing in Bonn an, | |
| während Helmut Schmidt noch Kanzler war. Als er im März in den Ruhestand | |
| ging, saß er auf seiner Abschiedsfeier zwischen der Bundeskanzlerin Angela | |
| Merkel und der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. | |
| taz am wochenende: Herr Bannas, der Schriftsteller Rainald Goetz hatte vor, | |
| einen politischen Roman zu schreiben. Er verwarf die Idee aber, weil Sie | |
| nach seiner Einschätzung schon alles aufgeschrieben hatten. Besser könne | |
| ein Schriftsteller den Berliner Betrieb nicht abbilden. Fühlen Sie sich | |
| schuldig, ein Buch verhindert zu haben, das man doch gern gelesen hätte? | |
| Günter Bannas: Nicht wirklich. Es war ja nicht meine Absicht, ein | |
| literarisches Buch zu verhindern. | |
| Ist die Politik ein guter Romanstoff? | |
| Da habe ich meine Zweifel. Es gibt ja einige Journalistenkollegen, die | |
| politische Romane geschrieben haben. Ich war von denen nie so richtig | |
| überzeugt. Ich habe mich beim Lesen immer gefragt, wer steckt da genau | |
| dahinter, welcher ehemalige Bundeskanzler soll das jetzt sein – und das | |
| trifft es meist nicht so richtig. Die Wirklichkeit ist oft viel profaner. | |
| Im Übrigen habe ich die Bemerkung von Goetz als freundliches Kompliment | |
| verstanden. | |
| Sie blicken auf vierzig Jahre Politik und Politikjournalismus zurück. Was | |
| ist der markanteste Unterschied zwischen dem parlamentarischen Betrieb | |
| heute in Berlin und jenem in Bonn? | |
| Der hängt kaum noch mit den beiden Städten zusammen, sondern mit den neuen | |
| Techniken. Früher wurden die Pressemitteilungen der Fraktionen im Bonner | |
| Pressehaus noch auf großen Tischen ausgelegt. Heute hat jeder Abgeordnete | |
| seinen eigenen E-Mail-Verteiler, über den er seine Mitteilungen direkt an | |
| die Journalisten schickt. Dazu nutzen die Politiker noch Twitter und | |
| Facebook. Natürlich ist dadurch alles schneller geworden, aber im Kern – | |
| was die Distanz zwischen Politik und Medien betrifft – finde ich, ist das | |
| Verhältnis gleich geblieben. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Ein Kollege, der in Bonn sehr gut vernetzt war, sagte mir einmal über das | |
| Leben von Politikjournalisten: „Wir sind immer dabei, gehören aber doch | |
| nicht dazu.“ Es gibt da eine Grenze, an der ein Politiker dichtmacht. Und | |
| die gibt es bis heute. | |
| Haben Sie Freunde unter Politikern? | |
| Nein. Mit einer Ausnahme. Michael Vesper von den Grünen, der früher | |
| Minister in Düsseldorf war. Den kenne ich noch aus der katholischen | |
| Jugendarbeit. | |
| Sie haben die Parteiwerdung der Grünen als Berichterstatter eng begleitet. | |
| Seit September haben wir mit der AfD nun wieder eine neue Partei im | |
| Bundestag sitzen. Abgesehen von den Inhalten, die nicht vergleichbar sind – | |
| gibt es bei neuen Parteien Dinge, die immer gleich ablaufen? | |
| Wenn wir von Strukturen sprechen, gibt es bemerkenswerte Parallelen. So | |
| bekommt die Parteiwerdung immer eine immense öffentliche Aufmerksamkeit. | |
| Als ich damals über die Entstehung der Grünen geschrieben habe, gab es | |
| kritische Stimmen, die sagten: „In der FAZ steht ja mehr über die Grünen | |
| als über die FDP.“ Die Berichterstattung über die AfD ist heute auch | |
| größer, als es dem Stimmenanteil entspricht. | |
| Sehen Sie da ein Problem? | |
| Nein, im Kern finde ich das richtig. Medien haben einen aufklärerischen | |
| Auftrag und müssen hinschauen, wenn eine neue Partei entsteht. Es ist ja | |
| offensichtlich – damals bei den Grünen, heute bei der AfD –, dass das nicht | |
| ein Phänomen ist, das in ein, zwei Jahren wieder verschwunden sein wird. | |
| Was fanden Sie an den jungen Grünen so spannend? | |
| Wenn eine neue Partei in den Bundestag kommt, gibt es in der Fraktion erst | |
| mal keine Hierarchie – und die Grünen haben bis Ende der 80er Jahre ihre | |
| Fraktionssitzungen auch öffentlich abgehalten, presseöffentlich hieß das. | |
| Kameras und Aufnahmegeräte mussten ausgeschaltet werden, aber man konnte | |
| mitschreiben. Wir Journalisten konnten dadurch erleben, wie eine Hierarchie | |
| in einer Fraktion entsteht. | |
| Und zwar wie? | |
| Es gab Auseinandersetzungen um die Frage: Wer antwortet auf die | |
| Regierungserklärung von Helmut Kohl? Petra Kelly, Marieluise Beck oder Otto | |
| Schily? Und wenn es da hart auf hart geht, kann man sehen, wie verhält sich | |
| eine Politikerin, ein Politiker. Wie setzt sie sich durch? Mit welcher | |
| Vehemenz argumentiert er? Geht er ins Persönliche? Ist sie zynisch oder | |
| zart besaitet? | |
| Sie vertraten das konservative Leitmedium und trugen Anzug – die Grünen | |
| waren noch eine wilde Truppe mit Spontis, Ökosozialisten, K-Grupplern. Wie | |
| haben die auf Sie reagiert? | |
| Altersmäßig waren wir dieselbe Generation. Das war wichtig, weil ich | |
| deshalb wusste, aus welchen studentischen Milieus die Akteure stammten. | |
| Hinzu kam: Die FAZ musste sich bei den Flügelkämpfen nicht festlegen, auf | |
| welcher Seite sie steht. Bei der taz war das anders. Wenn ich mich richtig | |
| erinnere, war das Bonner taz-Büro Fundi-orientiert und die Berliner | |
| taz-Zentrale mehr Realo. Das führte dazu, dass Otto Schily und Joschka | |
| Fischer mit den Berliner taz-Redakteuren gesprochen haben, während Jutta | |
| Ditfurth und die Hamburger Ökosozialisten nur mit den Bonner taz-Leuten | |
| redeten. Mit mir sprachen alle, weil ich da außen vor war. Ich kam mir | |
| manchmal fast wie eine Art Beichtvater vor. | |
| Die FAZ wurde aber gelesen? | |
| Ja, bei einem Parteitag saß ich am Tisch der Hamburger Ökosozialisten | |
| Thomas Ebermann und Rainer Trampert – also politisch wirklich das andere | |
| Ende des Spektrums. Sie sagten mir, sie läsen immer die FAZ, weil sie | |
| wissen wollten: Was denkt der Klassenfeind? Im Kommunistischen Bund, aus | |
| dem sie kamen, hätten die einfachen Mitglieder die Frankfurter Rundschau | |
| gelesen. Das sei aber nicht das Richtige, man müsse die FAZ lesen, sagten | |
| die beiden. | |
| Und woher kam das Interesse Ihrer Zeitung an den Grünen? | |
| Die Herausgeber und Ressortleiter in Frankfurt wollten, dass ich viel | |
| berichte, weil sie eine neue Lesergruppe erschließen wollten. Meine | |
| Einschätzung war von Anfang an: Die Wähler der Grünen reichen von der | |
| Apothekergattin – ihr Mann wählt zwar FDP, sie aber grün – bis zum | |
| arbeitslosen Jugendlichen. Deshalb ging ich davon aus, dass die Grünen von | |
| der Breite ihres Spektrums eigentlich eine Volkspartei sind. | |
| Damit standen Sie Anfang der 80er aber noch ziemlich allein da, oder? | |
| Es gab viele Kollegen, die meinten, die Grünen hätten kein richtiges | |
| Programm, keine tiefere Verankerung in der Wählerbasis. Das sah ich anders. | |
| Die Grünen hatten schon damals ein Programm, das alle Politikfelder | |
| umfasste. Sie haben sie nur auf ihre Weise abgedeckt. Die ganze | |
| Außenpolitik lief ausschließlich unter Friedenspolitik und gegen die | |
| Raketennachrüstung. Die gesamte Wirtschaftspolitik konnte man festmachen am | |
| Stichwort Kernenergie, die gesamte Innenpolitik am Widerstand gegen die | |
| Volkszählung. | |
| Was war bei der Entwicklung der Grünen der entscheidende Punkt? | |
| Das Ausscheiden des Fundi-Flügels um Ditfurth und die Ökosozialisten | |
| Ebermann und Trampert war für den Zusammenhalt der Organisation | |
| entscheidend. Dieser Flügel war vorher sehr stark gewesen. Er hatte über | |
| viele Parteitage hinweg eine knappe, aber stabile Mehrheit gegenüber | |
| Fischer und Schily gehabt. Mit dem Abgang der bekanntesten Köpfe fehlten | |
| dieser Strömung die guten Redner und Taktiker, so konnte sich die Partei | |
| mehr in Richtung Regierungsverantwortung bewegen. Die Erfahrung, 1990 bei | |
| der Bundestagswahl in Westdeutschland an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert | |
| zu sein, setzte dann noch mal einen zusätzlichen Lernprozess in Gang. | |
| Abgesehen davon, dass Sie immer mit allen geredet haben: Was verstehen Sie | |
| grundsätzlich als die Aufgabe eines Politikjournalisten? | |
| Das Zustandekommen politischer Entscheidungen möglichst genau zu erklären. | |
| Und mein Ansatz war dabei, auch Anforderungen an den Leser zu stellen, es | |
| ihm nicht zu einfach zu machen. Als es in den späten 80er und frühen 90er | |
| Jahren zum Beispiel um die Änderung des Grundrechts auf Asyl ging, | |
| versuchte ich zu erklären, welche politischen, aber auch juristischen und | |
| verfassungsrechtlichen Fragen dahintersteckten. Es ist aber nicht | |
| jedermanns Sache, das dann zu lesen. | |
| Sie haben sich viel mit Entscheidungsprozessen in Parteien beschäftigt. | |
| Da war es mir wichtig, nicht nur auf die politische Prominenz zu achten, | |
| sondern auch auf die Strömungen, die die Partei tragen. Als Joschka Fischer | |
| zum Beispiel der unumstrittene König der Grünen war, habe ich genauso | |
| geschaut, was ist mit der Frauenbewegung, was mit der | |
| Anti-Atomkraft-Bewegung, was ist aus den früheren Linksradikalen geworden. | |
| Gleiches galt für die SPD, wo es darum ging, nicht nur auf Lafontaine und | |
| Schröder zu blicken, sondern auch auf die Arbeitsgemeinschaft für | |
| Arbeitnehmerfragen oder die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer | |
| Frauen. | |
| Diese Arbeitsweise ist eher auf dem Rückzug. Heute wird im | |
| Politikjournalismus stark personalisiert, der Austausch verschiedener | |
| Argumente wird schnell zum Zoff hochgejazzt. Beschädigen die Medien da | |
| nicht den ernsthaften Austausch von Argumenten und damit den Kern von | |
| Politik? | |
| Das sehe ich mit Sorge. Wenn der Austausch von Argumenten nicht mehr ernst | |
| genommen wird, Politik nur entlang von Reizworten und persönlichen | |
| Konflikten erzählt wird, ist diese Berichterstattung nicht mehr ausreichend | |
| für eine funktionierende Demokratie. Die Darstellung unterschiedlicher | |
| Positionen und Argumente ist aber natürlich nicht so sexy wie | |
| personalisierte Machtkämpfe. | |
| Klar, die Darstellung von Argumenten ist komplizierter … | |
| Man braucht auch mehr Platz dafür, und man läuft Gefahr, dass die Leute | |
| sagen: „So genau will ich es nicht wissen. Wie ein Gesetz zustande kommt, | |
| ist mir egal, mich interessiert nur: Zahle ich am Ende mehr oder weniger | |
| Steuern.“ Ich finde aber, dass es die Aufgabe von Medien ist, den Prozess | |
| dahin genau zu schildern – jedenfalls als Angebot. Wenn die Leute es | |
| trotzdem nicht wissen wollen, ist das okay. Das ist ihre Entscheidung. Aber | |
| sie müssen ein Medium finden, in dem sie das Zustandekommen nachlesen, | |
| nachhören oder nachsehen können. | |
| Neben der starken Personalisierung gibt es im Journalismus auch einen Hang | |
| zur Politikberatung. | |
| Den gab es früher aber genauso, vielleicht fast noch stärker. Um | |
| Hans-Dietrich Genscher als Außenminister gab es einen Kreis von | |
| Journalisten, die ihm immer erzählen wollten, was Deutschland jetzt zu tun | |
| oder zu lassen habe. Manche nannten sich da sogar: „diplomatischer | |
| Korrespondent“. Das fand ich doch etwas albern. | |
| Der Gestaltungsdrang politischer Journalisten ist mitunter groß. | |
| Ich erinnere mich an eine Szene: Friedrich Zimmermann hatte in Bonn einen | |
| Stammtisch, als er CSU-Landesgruppenchef war. Ein richtiger Stammtisch, bei | |
| dem viel getrunken und deftig vom Leder gezogen wurde. Als er unter Kohl | |
| Innenminister wurde, hatte er in den Hintergrundgesprächen auch Kollegen | |
| aus diesem Stammtisch dabei. Bei einem Gespräch, bei dem ich dabei saß, | |
| ging es um die neu gegründeten Grünen. Journalisten von seinem Stammtisch | |
| redeten auf Friedrich ein: „Du musst die Grünen einfach verbieten, dann hat | |
| sich das Problem erledigt.“ Da wurde Zimmermann plötzlich zum | |
| Rechtsstaatler und antwortete: „Nee, so einfach ist das nicht. Das muss das | |
| Bundesverfassungsgericht absegnen.“ Also: Es ist schon richtig, wenn | |
| Politiker Ratschläge von Journalisten meist ignorieren. | |
| Sie haben den Sturz Rudolf Scharpings auf dem SPD-Parteitag 1995 minutiös | |
| rekonstruiert. Gibt es klare Anzeichen, an denen man erkennt: Das | |
| Machtzentrum in einer Partei verschiebt sich gerade? | |
| Anzeichen gibt es, aber ob die zutreffen oder in die Irre führen, weiß man | |
| immer erst hinterher. Bei Scharping haben damals Lafontaine und Schröder | |
| als Ministerpräsidenten im Bundesrat immer ihre Spielchen getrieben und | |
| anders abstimmen lassen, als Scharping das als SPD-Vorsitzender wollte. | |
| Dann gab es im Vorfeld des Parteitags Anträge, die Scharpings Linie zuwider | |
| liefen. Und als das nicht aufhörte, dachte ich: Was ist denn hier los? Es | |
| gab also Mosaiksteine, die auf den Sturz hindeuteten. | |
| Manchmal kommt es auch anders … | |
| Ja, da kann man sich ziemlich täuschen. Im Umfeld der Flüchtlingspolitik | |
| 2015 gab es den Aufstand in der CSU gegen Merkel. Dazu kam die Spekulation | |
| auf, dass als Übergangslösung Wolfgang Schäuble einspringen könnte. Aber | |
| Merkel hat den Machtkampf durchgestanden, Scharping nicht. Das Führen einer | |
| Volkspartei ist halt extrem schwierig. | |
| Was macht es so kompliziert? | |
| In einem Unternehmen wird im Vorstand etwas entschieden, und dann wird das | |
| umgesetzt. Aber in der Politik? Welche Handhabe hat Angela Merkel gegenüber | |
| Horst Seehofer? Praktisch keine. Sie kann in ihrem eigenen Kabinett ja | |
| nicht mal die CSU-Minister auswählen, darüber entscheidet der CSU-Vorstand. | |
| Politiker erzählen manchmal, wie sich Loyalitäten von einem Tag auf den | |
| anderen auflösen: Eben hat man noch zusammen Wahlkampf gemacht, nach der | |
| Wahl konkurriert man plötzlich um denselben Posten. | |
| Innerhalb von Parteien ist die Konkurrenz deshalb oft heftiger als zwischen | |
| den Parteien. Die Freundschaft zwischen Peter Struck und Volker Kauder ist | |
| ja legendär. Es ist aber kein Zufall, dass es eben eine Freundschaft über | |
| Parteigrenzen hinweg zwischen einem Sozialdemokraten und einem | |
| Christdemokraten war. | |
| Es heißt, innerhalb linker Parteien seien die Kämpfe besonders hart. | |
| Da ist etwas dran. So, wie ich das erlebt habe bei der SPD und den Grünen, | |
| werden die Kämpfe dort immer bis zum Letzten durchgefochten. Bei den | |
| Unionsparteien – ohne es verniedlichen zu wollen –, heißt es: Wir sind am | |
| Ende doch eine Familie. | |
| Sie haben Angela Merkel als Kanzlerin dreizehn Jahre aus der Nähe | |
| beobachtet. Was macht sie so erfolgreich? | |
| Ihre gleichbleibende Freundlichkeit in der Öffentlichkeit. | |
| Aber ihr wird doch oft vorgeworfen, dass sie so dröge und wenig emotional | |
| wirkt. | |
| Sicher, sie ist ein anderer Politikertypus als Schröder oder Fischer. | |
| Merkels Amtsantritt markiert das Ende der Egomanen. Sie tritt lieber | |
| langweilig auf als zugespitzt-aggressiv. Sie ist aber auch gegenüber den | |
| Medien einfach gleichbleibend freundlich. | |
| Inwiefern nützt ihr das? | |
| Sie weckt damit keine Aversionen. Und das Volk will wohl auch einfach nicht | |
| überfordert werden mit neuen Ideen und scharfen Reden. Helmut Kohl war in | |
| der Beziehung ja ähnlich, der hat auch niemanden überfordert. Anders als | |
| Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik oder Helmut Schmidt. Das waren | |
| zwei Kanzler, die den Menschen etwas abverlangt haben, die dann aber auch | |
| massiven Widerstand in ihrer eigenen Partei erfahren haben. | |
| Merkel hat lange mit einem konsensualen Politikstil der kleinen Schritte | |
| regiert, der den Deutschen die Krisen der Welt weitgehend vom Leib gehalten | |
| hat. Dieser Hang zum Konsens – ist der jetzt zu Ende? | |
| In der besten Zeit von Merkel regierte eigentlich Schwarz-Rot-Grün, und | |
| wenn die FDP dabei war, auch noch die. Das war auch durch die | |
| Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bedingt. Es kann sein, dass sich das | |
| jetzt durch die AfD und die zugespitzte Debatte nachhaltig verändert. Es | |
| gab ja immer Wellenbewegungen zwischen ruhigeren und polarisierteren | |
| Phasen. In den 70er Jahren gab es die sehr umstrittene Ostpolitik Willy | |
| Brandts und die Studentenbewegung, in den 80er Jahren überdeckte Kohl dann | |
| alles, was es an Konflikten gab. Und so geht es auf und ab. | |
| Bereiten Ihnen die Polarisierung und das Auftreten der AfD Sorgen? | |
| Eigentlich nicht. Ich bin überhaupt kein Freund der AfD, aber dem Bundestag | |
| tut es ganz gut, wenn da wieder mehr Auseinandersetzung stattfindet. | |
| Natürlich war es ganz und gar unmöglich, wie sich Alice Weidel bei der | |
| Haushaltsdebatte verhalten hat – es ist dann aber auch dagegen gehalten | |
| worden. Es gibt wieder Streit, es wird nicht einfach eine Konsenssoße | |
| darüber gegossen. | |
| Was ist mit Alexander Gaulands „Vogelschiss“ und der Relativierung des | |
| Nationalsozialismus? | |
| Man könnte es dabei belassen und sagen: Kaum zu glauben, was alten Herren | |
| so alles einfällt. Gauland aber ist gebildet. Er weiß, was er sagt. Er | |
| meint das auch so. Er ist ein Reaktionär und Revisionist. Der Widerstand | |
| gegen seine Äußerungen war wichtig und hat gutgetan. | |
| Sie sind auch ein „Kanzlernachlatscher“ gewesen, wie der Chefredakteur der | |
| Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister, das genannt hat. Also einer jener | |
| Journalisten, die die Kanzlerin, den Kanzler überallhin begleiten. Auf was | |
| muss man da besonders achten? | |
| Bei Auslandsreisen sollte man tunlichst dafür sorgen, dass man rechtzeitig | |
| wieder im Pressebus sitzt – sonst wird es eng mit der Rückreise. Das gilt | |
| auch für Staatssekretäre. Die Regel ist: Wenn die Kanzlerin, der Kanzler im | |
| Auto sitzt, fährt die Kolonne los. Schröder begleitete ich einmal auf eine | |
| Reise in die Golfstaaten. Da fand ein Mittagessen in einem dieser großen | |
| Hotels oben in der 40. Etage statt. Danach sollte es zum Flughafen gehen. | |
| Und klar, der Kanzler kriegt einen eigenen Aufzug, kann runterrauschen und | |
| sich ins Auto setzen. Aber es gab ja eine Delegation mit 100 Leuten, die | |
| sich um die wenigen Plätze in den drei übrigen Aufzügen fast geprügelt | |
| hätten. Da habe ich Staatssekretäre mit hochrotem Kopf gesehen. | |
| Was ist mit dem Trinken auf Auslandsreisen? | |
| Das ist praktisch vorbei. Einfach, weil dafür überhaupt keine Zeit mehr | |
| bleibt. Wenn Kohl nach China fuhr, flog er sonntags ab und kam am nächsten | |
| Samstag wieder. Schröder hat gesagt: „Fliegen wir Montag los und kommen | |
| Donnerstag zurück.“ Bei Merkel ist Mittwoch Abflug, und Freitagabend ist | |
| man wieder hier. Da fliegen Sie in Berlin abends ab und kommen morgens in | |
| China an – es geht kurz ins Hotel, duschen, und dann beginnt das | |
| Tagesprogramm. Wenn Sie da im Flugzeug einen halben Liter Rotwein trinken, | |
| stehen Sie den Tag nicht durch. | |
| Politik wird oft auch als Droge bezeichnet, bei der das Aufhören sehr | |
| schwer fällt. | |
| Das ist schwierig, und das verstehe ich: Wenn jemand im Bundestag war, | |
| vielleicht sogar Minister – und ist auf einmal draußen, dann fragt keiner | |
| mehr um Rat, keiner ruft mehr an. Andererseits ist das in anderen Berufen | |
| ja auch so, wenn man in den Ruhestand geht. | |
| Wie ist das bei Politikjournalisten? Sie haben ja im März aufgehört. | |
| Journalisten haben es da ein bisschen leichter. Sie können immer noch mal | |
| etwas schreiben. Und wenn man dafür mehr Zeit hat, ist das ja auch gut. | |
| Was ist mit Ihrem Hobby, dem Modellbau? | |
| Ich baue zurzeit an der „Great Eastern“, einem britischen Schiff aus den | |
| 1850/1860er Jahren mit dreierlei Antrieb: Segel, Schaufelräder und | |
| Schiffsschraube. Die war damals doppelt so groß wie alle bisherigen | |
| Schiffe. Als Passagier- und Auswandererschiff war sie finanziell ein | |
| Desaster. Aber weil sie so schön groß war, wurde mit ihr das erste | |
| Transatlantikkabel verlegt. | |
| Wie groß wird so ein Modell? | |
| Etwas mehr als ein Meter. Es ist aber noch lange nicht fertig. Es hat etwas | |
| Kontemplatives, so ein Modell zu bauen. Für mich jedenfalls. Man muss sich | |
| um die Details kümmern und meist ein paar Schritte vorwegnehmen, damit am | |
| Ende alles passt. So wie im Journalismus eben auch. | |
| 16 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Pfaff | |
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