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# taz.de -- Frauenrechtlerinnen in Saudi-Arabien: Ein geplatzter Traum von Glei…
> In Saudi-Arabien wird das Fahrverbot für Frauen aufgehoben. Doch die
> jüngste Verhaftung von Frauenrechtlerinnen zerstört den Optimismus.
Bild: Gefangen im Kreisverkehr des Patriarchats
Die jüngsten Verhaftungen von Frauenrechtlerinnen haben kaputt gemacht, was
eigentlich in diesem Monat ein historisches Ereignis in Saudi-Arabien hätte
sein sollen – die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen.
Im vergangenen Oktober habe ich, kurz nachdem bekannt gegeben worden war,
dass Frauen von diesem Juni an Auto fahren dürfen, geschrieben: „Zum ersten
Mal wage ich es, von einem anderen Saudi-Arabien in den kommenden Jahren zu
träumen.“ Und jetzt tut es mir weh, zu sehen, wie meine Hoffnungen und
Träume sich in Luft auflösen.
Ich war gerade dabei, letzte Hand an die „Miles4Freedom“- Website
anzulegen, eine neue Kampagne zur Unterstützung saudischer Frauen, die Auto
fahren wollen. Dann erreichte mich diese Nachricht: Mindestens sieben
saudische Vorkämpferinnen wurden in ihren Wohnungen festgenommen, ohne
Haftbefehl, ohne irgendeine Erklärung, ohne Begründung.
## „Agentinnen ausländischer Botschaften“
Es fällt mir schwer, zu verstehen, was hier passiert ist und warum. Drei
der Verhafteten sind Freundinnen von mir, die unermüdlich für Frauenrechte
gekämpft haben. Nur sehr langsam wird klarer, was in meiner Heimat gerade
geschieht. Der Schluss, den man daraus ziehen muss: Am 24. Juni wird das
Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien endlich aufgehoben. Aber die
Verhaftungen sprechen dagegen, dass in dem Königreich wirklich
fortschrittliche Veränderungen stattfinden.
Zunächst war ich vollkommen überrascht, ich konnte es nicht glauben. Ich
fragte die Familien der festgenommenen Frauen, um eine Bestätigung zu
bekommen, bevor ich etwas auf Twitter postete. Aber die Familien wurden
vollkommen darüber im Dunkeln gelassen, warum die Aktivistinnen am ersten
Tag des heiligen Monats Ramadan festgenommen wurden, eines Monats der
Vergebung und der Gnade.
Die am folgenden Tag veröffentlichte offizielle Erklärung war genauso vage
und alarmierend wie die Festnahmen selbst. Darin wurden die sieben
Verhafteten beschuldigt, eine „Zelle“ gebildet zu haben, die eine Bedrohung
der Sicherheit des Staates darstelle, weil sie „mit ausländischen
Organisationen Kontakt“ habe, „deren Ziel es ist, die Stabilität des Landes
und sein soziales und religiöses Gefüge zu bedrohen“. In den sozialen
Medien kursierte bereits ein Hashtag, der sie als „Agentinnen ausländischer
Botschaften“ bezeichnete, zusammen mit einer Grafik, auf der ihre Gesichter
mit dem Wort „Verräter“ überstempelt sind.
Nach dem ersten Schock über die Festnahmen gab es immer mehr Nachrichten:
Drei weitere Frauenrechtlerinnen waren festgenommen worden, diesmal von
jener Gruppe, die schon 1990 gegen das Fahrverbot protestiert hatte. Eine
von ihnen, Aisha Almane, ist gerade 70 Jahre alt geworden. Ich kenne sie
persönlich gut: Für mich ist sie die Großmutter der Frauenrechtsbewegung in
Saudi-Arabien. Jedes Mal, wenn ich sie treffe, inspiriert mich ihre
Entschlossenheit und spornt mich ihre Leidenschaft an. Das ist eine Frau,
die ihr gesamtes als Geschäftsfrau verdientes Vermögen investiert hat, um
saudische Frauen durch Bildung zu stärken.
## Dritte Verhaftungswelle vom neuen Kronprinzen
Bis zu den Festnahmen hatte ich vorgehabt, vor dem 24. Juni nach
Saudi-Arabien zurückzukehren. Ich wollte das Ende des Ramadan mit Aisha
Almane und meinem 12-jährigen Sohn Aboudi feiern, der in Saudi-Arabien
lebt. Er darf mich nicht in Australien besuchen, wo ich mit meinem anderen
Sohn lebe, dem dreijährigen Daniel. Daniel seinerseits darf Saudi-Arabien
nicht besuchen, weil sein Vater Brasilianer ist und er weder die saudische
Staatsangehörigkeit noch ein Visum für das Heimatland seiner Mutter
bekommt.
Ich musste Aboudi am Telefon erklären, warum ich im Juni nun doch nicht
komme, warum der erste gemeinsame Roadtrip, den wir mit mir am Steuer je
geplant haben, nun doch nicht stattfinden wird. Denn natürlich geistert es
mir im Kopf herum: Wäre ich in Saudi-Arabien, wäre ich wahrscheinlich unter
den festgenommenen Frauen.
Seit Kronprinz Mohammed bin Salman, im Volksmund MBS, im Juni letzten
Jahres zum Nachfolger des Königs bestimmt wurde, ist das jetzt die dritte
Verhaftungswelle. Die erste gab es im September, als über 80 Geistliche,
einflussreiche Social-Media-Autoren und Universitätsprofessoren ohne
erklärten Grund eingesperrt wurden. Die Behörden weigerten sich, Auskunft
über die Festnahmen zu geben. Die Begründung dafür: Die Privatsphäre der
Häftlinge solle gewahrt werden. Die zweite Welle folgte im November, als
Hunderte Geschäftsleute und Beamte festgenommen oder unter Arrest gestellt
wurden, angeblich als Schlag gegen die Korruption.
Die Festnahmen stehen im völligen Widerspruch zu den jüngsten ermutigenden
Veränderungen, insbesondere den Einschränkungen, die der Religionspolizei
auferlegt wurden und den Verbesserungen der Lage von Frauen. Diese
wichtigen und mutigen Reformen haben das Profil des jungen und ehrgeizigen
Kronprinzen deutlich aufgewertet.
## Es herrschte Optimismus
Es ist sicher nicht übertrieben, zu sagen, dass sich das Image von
Saudi-Arabien bereits zu wandeln begonnen hat. Es wird im Ausland nicht
mehr ausschließlich als das rückständige Königreich unter der Kontrolle
religiöser Fanatiker gesehen, die unser Land als Nachwirkung der Belagerung
der Großen Moschee in Mekka seit 1979 beherrschen. Es wird als ein Land
gesehen, das sich verändern, das sich modernisieren will, wobei die
Befreiung der Frauen eine zentrale Rolle spielt.
Auch ich hatte mich, wenn auch vorsichtig, dieser wieder erwachten Hoffnung
und dem neuen Optimismus hingegeben. Ich hatte gute Dinge über den
Kronprinzen gehört und die schnellen und entscheidenden Veränderungen, die
das Land unter seiner Führung erleben würde. Ich war zuerst skeptisch, aber
ich hatte mich überzeugen lassen, denn nicht nur das Fahrverbot fiel,
Frauen dürfen neuerdings auch ins Fußballstadium gehen und Spiele
verfolgen.
Im Ausland ist die Bedeutung solcher Veränderungen kaum zu ermessen, für
unser Land sind sie radikal. Ebenso wichtig ist das vom Kronprinzen
ausgegebene Ziel, den Anteil der Frauen an den Beschäftigten auf 30 Prozent
zu erhöhen. Das alles schafft ganz neue Möglichkeiten für uns, öffnet uns
den Weg aus dem Privaten in die Gesellschaft und wird sie grundlegend
verändern.
Die meisten Saudis sind unter 30, kennen aber nur alte Männer in der
Regierung. Dann kam plötzlich jemand, der zumindest altersmäßig zu uns
gehört, er ist der Erste, der jünger ist als ich. Als der Kronprinz vom
Time Magazine unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt
wurde, schrieb ich die Laudatio für ihn, verbunden mit großen Hoffnungen:
„Ich möchte erleben, dass die Veränderungen auch zu politischen Reformen
führen, vielleicht sogar zu einer konstitutionellen Monarchie und
Meinungsfreiheit. Würde MBS das machen, dann wären meine Erwartungen für
dieses Land größer als der Himmel.“
## Ein gemeinsamer Traum
Aber mein Optimismus ist infolge der staatliche Verleumdungskampagne gegen
die verhafteten Aktivistinnen dahin. Diese Frauen wegen Hochverrat
anzuklagen ist empörend. Ihr einziges „Verbrechen“ besteht darin, gegen das
unmenschliche System der männlichen Vorherrschaft in Saudi-Arabien gekämpft
zu haben, gegen die institutionalisierte Diskriminierung, die wir an jedem
Tag unseres Lebens erfahren haben. Ihr eigentlicher „Verrat“ besteht darin,
ihr Heimatland zu sehr zu lieben.
Ich kenne diese Frauen sehr gut. Sie haben die Reformen der vergangenen
Monate unterstützt und viel darüber getweetet. Wir haben in den Jahren
zuvor Tränen des Schmerzes und der Freude geteilt, wir haben Jobs verloren
und sind von unseren Kindern getrennt worden, oder es ist uns verboten
worden, ins Ausland zu reisen. Aber wir haben nie unseren gemeinsamen Traum
verloren oder aufgegeben: ein Land zu schaffen, in dem Frauen frei und
gleichberechtigt leben können. Wir hatten die Hoffnung, dass wir endlich
Zeuge einer Wende würden, dass Frauen endlich als Erwachsene, vollwertige
Bürgerinnen ihrer Heimat anerkannt würden.
Vor sieben Jahren nahm die Bewegung #Women2Drive Fahrt mit der Forderung
auf, das Fahrverbot für Frauen aufzuheben. Aber das ist nur ein Element
einer größeren Kampagne zur Abschaffung der restriktiven
Vormundschaftsgesetze, die Frauen jeden Alters wie Minderjährige behandeln.
Dank des unermüdlichen Einsatzes von Frauen, die für eine gerechtere
Gesellschaft aufgestanden sind, werden Frauen am Sonntag in einer Woche
Auto fahren dürfen. Aber die jüngsten Festnahmen lassen diesen von uns
zunächst gefeierten Fortschritt nun blass und stumpf erscheinen.
Die Frauenrechtlerinnen wurden trotz ihrer Liebe zu Saudi-Arabien
festgenommen – denn in der absoluten Monarchie sind die Dissidenten die
wahren Patrioten.
Aus dem Englischen von Bernd Pickert
21 Jun 2018
## AUTOREN
Manal al-Sharif
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