# taz.de -- Gedenken Brandanschlag von Solingen: Warum Erdoğans Minister reden… | |
> Der türkische Außenminister Çavuşoğlu spricht nicht nur in Solingen, | |
> sondern auch in Düsseldorf. Anders die Kanzlerin: Sie fährt nicht zum | |
> Tatort. | |
Bild: Fünf Menschen sind beim Brandanschlag 1993 in Solingen ums Leben gekommen | |
BOCHUM taz | Sein Auftritt sorgt seit Wochen für Aufregung – nicht nur in | |
Solingen, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen. 26 Tage vor der Wahl in der | |
Türkei wird Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Dienstag am Gedenken zum | |
[1][Brandanschlag von Solingen] teilnehmen. | |
Türkische Oppositionelle bezeichnen [2][Çavuşoğlu] als Nationalisten. | |
Sprechen wird er auf gleich zwei Veranstaltungen: zunächst auf Einladung | |
von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet in der nordrhein-westfälischen | |
Staatskanzlei, wo auch Kanzlerin Angela Merkel erwartet wird – und am | |
Nachmittag dann in Solingen selbst. | |
Kritiker fürchten, dass die türkische Regierungspartei AKP den Auftritt | |
ihres Ministers für Wahlkampfpropaganda ausschlachten könnte – schließlich | |
könnte am 24. Juni der Umbau der Türkei in ein autoritäres Präsidialsystem, | |
das Erdoğan eine ungekannte Machtfülle sichern soll, abgeschlossen werden. | |
Allerdings steht der Präsident wegen des seit Monaten anhaltenden massiven | |
Wertverlusts der türkischen Lira unter Druck: Obwohl Oppositionelle etwa im | |
Fernsehen nicht auftauchen und der Vorsitzende der kurdisch-linken HDP, | |
Selahattin Demirtaş, wegen „Terrorpropaganda“ im Gefängnis sitzt, wird ein | |
zweiter Wahlgang immer wahrscheinlicher. | |
Aus Laschets nordrhein-westfälischer Staatskanzlei heißt es, die Einladung | |
von Außenminister Çavuşoğlu sei „auf ganz ausdrücklichen Wunsch der Fami… | |
Genç“ erfolgt – bei dem Neonazi-Anschlag auf das Solinger Haus von Durmus | |
und Mevlüde Genç starben am frühen Morgen des 29. Mai 1993 zwei ihrer | |
Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 14 weitere Familienmitglieder | |
wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Täter waren Rechtsextreme. | |
## „Das Boot ist voll“ | |
Anfang der neunziger Jahre hatten CDU und CSU eine jahrelange Kampagne zur | |
Verschärfung des Asylrechts gefahren, Bild machte mit der Parole „Das Boot | |
ist voll“ Stimmung gegen MigrantInnen. Was folgte, waren pogromartige | |
Attacken auf MigrantInnen in mehreren Städten. Mevlüde Genç, Mutter und | |
Großmutter der Toten, rief trotzdem schon kurz nach dem Brandanschlag zur | |
Versöhnung auf. | |
„Mevlüde Genç ist die beeindruckendste Frau, die ich je kennengelernt | |
habe“, sagt deshalb der Christdemokrat Laschet. Den türkischen | |
Außenminister Çavuşoğlu wollte der Ministerpräsident ursprünglich sogar im | |
Düsseldorfer Landtag reden lassen. „Unerhört“ sei diese Idee Laschets | |
gewesen, findet die grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz, die die HDP | |
2015 mit einem Wahlaufruf unterstützt hat. | |
„Es wäre ein fatales Zeichen, ausgerechnet im Hohen Haus der Demokratie in | |
NRW einem Vertreter des autoritären Erdoğan-Regimes eine Bühne zu bieten – | |
auch mit Blick auf die bevorstehenden Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen in der Türkei wäre das inakzeptabel“, sagt sie. Auch | |
SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty warnte, der Landtag könne „für einen | |
Wahlkampfauftritt missbraucht“ werden. | |
Sozialdemokraten und Grüne stellten sich deshalb quer und drohten, einen | |
Landtagsauftritt Çavuşoğlus zu boykottieren. Eine Rede des Ministers vor | |
halbleerem Parlament aber wollte Laschet offenbar nicht riskieren – und lud | |
deshalb in seine Staatskanzlei. Läuft alles planmäßig, wird Erdoğans | |
Minister dort am Mittag gemeinsam mit dem NRW-Ministerpräsidenten Kanzlerin | |
Merkel begrüßen dürfen. | |
## Maas und Stamp statt Merkel und Laschet | |
Am Nachmittag fährt er dann nach Solingen, wo er gegen 16 Uhr reden soll – | |
im Gegensatz zu Merkel und Laschet, die in Düsseldorf zurückbleiben. „Es | |
wäre anständig, an diesem Tag zumindest einmal in Solingen gewesen zu | |
sein“, kritisiert der stellvertretende Landessprecher der Linkspartei, | |
Jasper Prigge. | |
Doch statt Merkel und Laschet werden am Ort des Brandanschlags | |
SPD-Bundesaußenminister Heiko Maas und Nordrhein-Westfalens | |
Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp von der FDP erleben, ob Çavuşoğlu das | |
Gedenken für Wahlkampfzwecke missbraucht – in Deutschland leben 1,4 | |
Millionen wahlberechtigte türkeistämmige MigrantInnen. | |
Sozialdemokrat Maas jedenfalls hat seinen Amtskollegen schon vor einem | |
Monat gewarnt: „Ich gehe davon aus“, sagte er Ende April nach einem Treffen | |
mit Çavuşoğlu, „dass auch in der Türkei niemand ein Interesse daran hat, | |
die Beziehungen zu Deutschland noch einmal zu verkomplizieren“. | |
29 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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