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# taz.de -- 25 Jahre Anschlag von Solingen: Der kurze Weg vom Wort zum Mord
> Bei Gedenkveranstaltungen für den Brandanschlag von Solingen 1993
> dominierten Warnungen vor Fremdenhass. Ein gefürchteter Auftritt fiel ins
> Wasser.
Bild: Gedenken an die Toten: Fotos von Opfern in Solingen
DÜSSELDORF/ SOLINGEN taz | Am 25. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen
hat die Mutter und Großmutter der Opfer, Mevlüde Genç, zur Versöhnung
aufgerufen. “Lasst uns zum Guten nach vorne schauen“, sagte die 75-Jährige
bei einer Gedenkveranstaltung in der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei,
zu der Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) eingeladen hatte. „Dem Hass
muss Einhalt geboten werden“, betonte Genç. Sie selbst trage in sich „keine
Rache, keinen Hass – außer auf die vier Männer, die mein Haus für meine
Kinder zum Grab machten“.
Am frühen Morgen des 29. Mai 1993 hatten vier junge deutsche Männer im
Alter zwischen 16 und 23 Jahren, davon zwei stadtbekannte Neonazis, das
Haus von Durmuş und Mevlüde Genç mit Benzin angezündet. Es starben zwei
Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte des Ehepaars. Die jüngste Tote
wurde nur vier Jahre alt. 17 weitere Familienmitglieder wurden zum Teil
lebensgefährlich verletzt.
CDU und CSU hatten zuvor eine Kampagne zur Verschärfung des Asylrechts
gefahren. Medien wie „Bild“ prägten Hass-Slogans wie „Das Boot ist voll�…
Es folgten pogromartige Attacken auf MigrantInnen etwa in Hoyerswerda,
Rostock-Lichtenhagen, Mölln – und eben Solingen. Mevlüde Genç, Mutter und
Großmutter der Toten, forderte trotzdem schon kurz nach dem Brandanschlag
zu friedlichem Zusammenleben auf: „Lasst uns Freunde sein“, erklärte sie.
## „Mein Bruder“ Laschet
„Die beeindruckendste Frau“, die er „je kennengelernt“ habe, sei Mevlü…
Genç, sagt deshalb NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Als ehemaliger
Integrationsminister hat er einen persönlichen Kontakt zur Familie: Bei der
Gedenkveranstaltung nannte ihn Mevlüde Genç „meinen Bruder“. Den 25.
Jahrestag des Neonazi-Mordanschlags wollte Laschet deshalb in großem Rahmen
begehen: In seine Staatskanzlei hatte er auch Bundeskanzlerin Angela Merkel
und den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu geladen.
Eine ursprünglich geplante Rede Çavuşoğlus im Düsseldorfer Landtag war
allerdings am Widerstand von SPD und Grünen gescheitert: Der Minister des
autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat noch vor einem
Jahr in Hamburg betont, Menschen mit türkischem Migrationshintergrund
blieben ohne Rücksicht auf ihre faktische Staatsbürgerschaft
„Volksgenossen“ – und zeigte dabei den „Wolfsgruß“ der rechtsextremen
Grauen Wölfe.
Sozialdemokraten und Grüne fürchteten deshalb, dass Çavuşoğlu die Rede im
Landesparlament für Wahlkampfpropaganda nutzen könne: Die Türkei steht in
knapp vier Wochen vor den wichtigsten Wahlen seit Jahrzehnten, mit denen
Erdoğan den Umbau des Landes in ein autoritäres Präsidialsystem vollenden
will.
Sein Außenminister gab sich vor PolitikerInnen und JournalistInnen in
Düsseldorf aber extrem zurückhaltend. Mit seiner Teilnahme an der
Gedenkveranstaltung wolle er einzig und allein ein Zeichen gegen
„Rassismus, Xenophobie und Ausländerfeindlichkeit“ setzen, sagte der
50-Jährige. Auch Kanzlerin Merkel warnte vor fremdenfeindlichen
„Tabubrüchen“ durch PolitikerInnen, ohne die rechtspopulistische AFD beim
Namen zu nennen. „Wer mit Worten Gewalt sät, nimmt zumindest billigend in
Kauf, dass auch Gewalt geerntet wird.“
## Etwa 1000 Menschen
Mit Spannung war deshalb die Frage diskutiert worden, ob sich der von
Oppositionellen als Nationalist kritisierte Çavuşoğlu bei einer weiteren
Veranstaltung in Solingen radikaler äußern würde – doch die fiel dem Wetter
zum Opfer. Nach wolkenbruchartigen Regenfällen wurde das „Zentrale
Gedenken“ der Stadt, zu dem etwa 1000 Menschen gekommen waren, wegen einer
Unwetterwarnung abgebrochen. Die Rede des türkischen Außenministers fiel
deshalb ebenso ins Wasser wie die seines deutschen Amtskollegen Heiko Maas
– Ministerpräsident Laschet war wie Kanzlerin Merkel in Düsseldorf
geblieben.
Allerdings: Vor Abbruch konnte auch Solingens Oberbürgermeister Tim
Kurzbach noch vor einer „Verrohung der politischen Sprache“ warnen: Erst
die habe zu Hoyerswerda, Rostock und Solingen geführt, und auch heute
sollten „die sogenannten Fremden die Gefahr sein für alles mögliche in
unserem Land“, warnte der Sozialdemokrat unter Applaus. Die AFD aber nannte
auch Kurzbach nicht beim Namen.
29 May 2018
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Solingen
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