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# taz.de -- Die Wahrheit: Hausierer auf Wahlfahrt
> Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu möchte am 29. Mai in
> Solingen Krokodilstränen gegen den Faschismus vergießen.
Bild: Kritik mag der Kochtopfverkäufer Çavuşoğlu gar nicht
Als am Morgen des 29. Mai 1993 vier Solinger Nazisprosse loszogen, um ihren
Traum vom Biodeutschtum zu befeuchten und das Leben einer türkischen
Familie zu verfeuern, markierten sie nur den vorläufigen Höhepunkt einer
Serie von Pogromen, die artverwandte Nachgeburten des Dutzendjährigen
Reichs zuvor in Hoyerswerda, Rostock und Mölln veranstaltet hatten.
Drei Tage vor dem fünffachen Mord hatte die Regierung Kohl das Asylrecht
massiv verschärft und auch am Tag der Trauerfeier hatte der gewichtige Chef
dickere Bretter zu bohren, als, so sein damaliger Sprecher, „in einen
Beileidstourismus aus[zu]brechen“.
Mevlüt Çavuşoğlu, Klassenbester seines Präsidenten und Außenminister der
heutigen Türkei, ist da aus anderem Mehl geschwitzt. Der publikumshungrige
Springinsfeld hat den Eventbraten sofort bis Ankara gerochen und sich der
nordrhein-westfälischen Landesregierung als Redner für die Gedenkfeier zum
25. Jahrestag des Solinger Brandanschlages aufgebrummt.
Wie Erdoğans Ratschluss es zufällig will, findet in der Türkei vier Wochen
später eine vorgezogene Dressurnummer statt, die Knecht Mevlüt, ganz sicher
ohne zu erröten, vermutlich als Parlaments- und Präsidentschaftswahlen
bezeichnen würde. Ein Kurde, wer Böses dabei denkt.
## Werbetrommel für Frühjahrsputz
Letztere haben sich, geht es nach Erdoğans Hofmarschall, ohnehin warm
anzuziehen. Seitdem die Türkei nicht mehr nur das eigene Territorium,
sondern auch Syrien und demnächst den Irak von einer Ethnie säubert, die so
tollkühn ist, sich zur selben Spezies wie Çavuşoğlu zu rechnen, wird dieser
nicht müde, im Ausland die Werbetrommel für seinen Frühjahrsputz zu rühren.
„Der Siedepunkt des Volkes ist sehr nah“, drohte der Kochtopfhausierer
unlängst all jenen, welche den Hygienebegriff dieses Volkes nicht teilen
und die Kurden in Syrien davor beschützen möchten.
Hochtemperiert und rassenrein geht es auch sonst zur Sache, wenn der
versierte Anheizer in fremden Landen auf seine Leute trifft: „Überall auf
der Welt kommen wir mit unseren Volksgenossen zusammen! Niemand kann diese
Bande mit Volksgenossen zerschneiden! Wir beugen uns nur vor Gott, sonst
vor niemandem“, fauchte Mevlüt Çavuşoğlu im März 2017 vom Balkon des
türkischen Konsulats in Hamburg und warf faschistische Wolfsgrußhändchen in
den johlenden Mob. Als die Niederländer dem strammen Volksaufklärer
daraufhin eine ähnliche Propagandaparty in Rotterdam strichen, bekamen sie
selbstredend und von allerhöchster Stelle erklärt, wer die wahren Nazis
sind.
## Meisterstück der Germanen
Dass die Deutschen indes bei all dem Spalier stehen, indem sie neben der
militärischen neuerdings auch die akustische Logistik zur Verfügung
stellen, bedient eine gloriose wilhelminische Tradition, von der die
Armenier schon vor hundert Jahren ein Liedchen trällern konnten. 25 Jahre
später hatte der germanische Lehrling den osmanischen Gesellen überholt und
schnitzte sein eigenes Meisterstück, dessen Splitter 2018 genauso
umherschwirren wie 1993.
Insofern passt die Begegnung von Erdoğans Grillanzünder Çavuşoğlu mit der
Solinger Vergangenheit am 29. Mai wie Arsch auf Eimer.
14 May 2018
## AUTOREN
Roland Bursch
## TAGS
Mevlüt Çavuşoğlu
Solingen
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