| # taz.de -- Wolfgang Seibert über Chabad-Bewegung: „Uns war klar, dass sie m… | |
| > Dem Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pinneberg bereitet der wachsende | |
| > Einfluss der orthodoxen Chabad-Bewegung Unbehagen. | |
| Bild: Der Rabbiner Shlomo Bistritzky bei einer Prozession der Chabad-Bewegung i… | |
| Hinweis: [1][Wolfang Seibert wurde vom Amtsgericht Itzehoe] wegen | |
| „gewerbsmäßiger Veruntreuung“ verurteilt. | |
| taz: Herr Seibert, Hamburgs Landesrabbiner, der der orthodoxen | |
| Chabad-Bewegung angehört, hat fünf Rabbiner ausgebildet und am Mittwoch | |
| ordiniert. Was bedeutet das für die jüdische Community? | |
| Wolfgang Seibert: Für uns als liberale Juden bedeutet es gar nichts. Ich | |
| habe aber insgesamt Probleme mit Chabad. | |
| Inwiefern? | |
| Ich finde es schwierig, wenn Gruppen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft | |
| denken, sie hätten als einzige die richtige Lehre und als einzige das | |
| Judentum richtig verstanden. Ich finde auch problematisch, dass sie in | |
| jüdischen Gemeinden missionieren oder sogar versuchen, jüdische Gemeinden | |
| komplett zu übernehmen, was ihnen teilweise schon gelungen ist. | |
| Wo zum Beispiel? | |
| In Hamburg mit Shlomo Bistritzky als Landesrabbiner ist das bereits der | |
| Fall, und es gibt das auch in anderen Gemeinden. Es gibt aber auch | |
| Gemeinden, die sich heftig dagegen wehren – Düsseldorf und Frankfurt zum | |
| Beispiel. Außerdem finde ich problematisch, dass Chabad – und die haben | |
| sehr viel Geld – Leute anlocken, indem sie sie zum Essen einladen und | |
| solche Dinge. Ich kenne viele Leute, die sagen: „Wir gehen zu Chabad, weil | |
| die so super Essen haben.“ | |
| Wie verlaufen die Gottesdienste von Chabad? | |
| Sie werden in einem rasend schnellen Tempo auf Hebräisch abgehalten, sodass | |
| kein Mensch versteht, was da passiert. | |
| Würden Sie Chabad als Sekte bezeichnen? | |
| Von ihrem Verhalten her haben sie zumindest etwas Sektenähnliches. Ich habe | |
| allerdings Schwierigkeiten damit, irgendwen als Sekte zu bezeichnen, weil | |
| ich den Begriff teilweise als abwertend verstehe. | |
| Seit wann ist Chabad in Europa so aktiv? | |
| Genau kann ich es nicht sagen. Ich jedenfalls habe sie zum ersten Mal vor | |
| zehn, 15 Jahren kennen gelernt. Damals sind sie ganz massiv mit sehr vielen | |
| Chabad-Rabbinern hier nach Deutschland gekommen. | |
| Haben Sie persönlich Erfahrung mit Chabad-Rabbinern? | |
| Wenig. Es gab mal das Angebot von Herrn Bistritzky, in unserer Pinneberger | |
| jüdischen Gemeinde einen Gottesdienst abzuhalten. Das haben wir abgelehnt, | |
| weil uns klar war, dass Chabad missioniert. | |
| Aktiv? | |
| Ja. Sie gehen auf die Menschen zu und versuchen sie zu überzeugen. Dabei | |
| ist diese Verhaltensweise im Judentum eigentlich verpönt. Es gibt ein | |
| Missionsverbot. | |
| Wofür steht Chabad im Detail? | |
| Ich weiß nur, dass sie ultraorthodox sind und dass sie – wie andere | |
| orthodoxe Juden auch – auf den Messias warten. Für mich allerdings ist so | |
| ein Warten auf den Messias als Person irrational. Wir liberale Juden hoffen | |
| eher auf messianische Zeiten, die der Ankunft des Messias vorausgehen | |
| sollen. | |
| Das bedeutet? | |
| Dass es keine Kriege mehr gibt, Menschen gleichberechtigt leben und überall | |
| Harmonie und Gerechtigkeit herrschen. | |
| Bildet Chabad in der weltweiten jüdischen Community die Mehrheit? | |
| Nein. Es gibt auch sehr viele orthodoxe Juden, die Chabad ablehnen. Es ist | |
| in der Tat sehr schwierig, mit Chabad klarzukommen: Sie sind so überzeugt | |
| von ihrer Sicht, dass sie Argumenten nicht zugänglich sind. | |
| Wie beurteilen Sie die interne Demokratie von Chabad und deren Umgang mit | |
| Kritikern? | |
| Über die interne Demokratie kann ich wenig sagen; aber ich hege Zweifel. | |
| Und bei Kritikern aus den eigenen Reihen wird schnell behauptet, dass sie | |
| das Judentum nicht verstünden und keine richtigen Juden seien. | |
| Sie waren eine Zeit lang Delegierter im Zentralrat der Juden. Wie steht der | |
| zu Chabad? | |
| Der Zentralrat ist ambivalent, aber tendenziell eher ablehnend. Dieses | |
| Gremium hat sich sehr oft mit dem Einfluss befasst, den Chabad zu bekommen | |
| versucht, aber ich darf aus diesen vertraulichen Sitzungen keine Details | |
| erzählen. | |
| Der frühere israelische Oberrabbiner Jonah Metzger galt als Chabad-nahe. | |
| Bildete er eine Ausnahme unter Israels Oberrabbinern? | |
| Ich sehe das nicht als Ausnahme. Auch der jetzige Oberrabbiner Izchak Josef | |
| ist ultraorthodox, und es wird gesagt, dass er sehr Chabad-nahe sei. Er war | |
| ja auch jüngst bei der Hamburger Ordination anwesend. | |
| Dabei gibt es bereits zwei Rabbiner-Ausbildungsstätten in Deutschland: das | |
| liberale Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam und das orthodoxe Berliner | |
| Rabbinerseminar. | |
| Ja. Und beide kann man – völlig zu Recht – nur mit abgeschlossenem | |
| Hochschulstudium besuchen. | |
| Dann wäre Hamburg das dritte Rabbinerseminar deutschlandweit. | |
| Ja, ich war sehr überrascht, dass Chabad hierzulande jetzt Rabbiner | |
| ausbildet. | |
| Erlaubt ist es ja. Jede Chabad-Gemeinde könnte Rabbiner ausbilden. | |
| Ja. Und das wiederum könnte dazu führen, dass man irgendwann gar nicht mehr | |
| auf andere Rabbis zurückgreifen kann. | |
| Zwei der frisch ordinierten Rabbis gehen in die jüdischen Gemeinden Lübeck | |
| und Flensburg. Wie beurteilen Sie das? | |
| Ich würde sagen, dass da durchaus eine Ausdehnung des Machtbereichs | |
| dahinter steht. Chabad bekommt mehr Einfluss – auch im orthodoxen | |
| Landesverband Schleswig-Holstein. Der umfasst die Gemeinden Kiel, Lübeck, | |
| Flensburg, wovon zwei jetzt unter Chabad-Einfluss stehen. | |
| Warum bekümmert Sie das? | |
| Weil Teile der Community immer orthodoxer werden. Chabad versucht die | |
| Menschen zu einem Leben zu drängen, das man gar nicht führen kann. Die | |
| Anforderungen, die an Ultra-Orthodoxe gestellt werden – koscher leben, sich | |
| genau nach den jüdischen Gesetzen richten – sind im normalen Alltag gar | |
| nicht umsetzbar. Das könnte irgendwann zur Entstehung einer | |
| Parallelgesellschaft führen. | |
| 30 May 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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