# taz.de -- Namensstreit: Keine Mehrheit für den Rebben | |
> Die CDU in Charlottenburg-Wilmersdorf findet keine Unterstützer für ihren | |
> Antrag, eine Wendeschleife in Wilmersdorf nach einem ultraorthodoxen | |
> Rabbiner zu benennen. Eine Ausschuss-Sitzung offenbart tiefe Konflikte in | |
> der Jüdischen Gemeinde. | |
Bild: Die Rabbiner Shmuel Segal (l) und Yehuda Teichtal (r.), hier beim Aufstel… | |
„Sie dürfen ihm nicht die Hand geben“, wird einigen der weiblichen Gäste … | |
Mittwochabend im BVV-Saal des Charlottenburger Rathauses zugeflüstert. | |
Gemeint ist Shmuel Segal. Der junge Mann mit dem langen Bart ist Rabbiner | |
der ultraorthodoxen jüdischen Vereinigung Chabad Lubawitsch. UItraorthodoxe | |
Juden meiden Berührungen mit ihnen unbekannten Frauen. | |
Im Rathaus geht es aber um etwas ganz anderes: Die Chabad Lubawitsch möchte | |
vor ihrem Berliner Bildungszentrum in Wilmersdorf ein Stück Straße nach | |
ihrem siebten Rebben benennen: dem 1994 in New York gestorbenen Rabbiner | |
Menachem Schneerson. Den Antrag hat die CDU eingebracht. | |
Im Grunde geht es aber um mehr als den Namen eines „Stücks Bordstein“, wie | |
die Wendeschleife der Münsterschen Straße, einer kleinen Sackgasse am | |
U-Bahnhof Konstanzer Straße, von den SPD-Bezirksverordneten genannt wird. | |
Deutlich wird der schwelende Konflikt zwischen Liberalen und Orthodoxen in | |
der Jüdischen Gemeinde, bei dem die orthodoxe Kräfte mehr und mehr die | |
Oberhand gewinnen. Die Chabad Lubawitsch ordnet der am Mittwoch als | |
Sachverständiger eingeladene Wissenschaftler Micha Brumlik einer | |
„neo-orthodoxen Tradition“ zu. | |
Doch sowohl Gegner als auch Befürworter der Benennung mühen sich, die | |
Brisanz des Themas zu umschiffen. Darüber, dass der gewünschte Namensgeber | |
des Areals sowohl in religiöser als auch gesellschaftlicher Hinsicht | |
erzkonservative Ansichten vertrat, soll möglichst nicht gesprochen werden. | |
Auch nicht darüber, dass die Chabad rechtszionistische Ansichten vertritt – | |
trotz der ultraorthodoxen Ausrichtung, die einem Einsatz für den Staat | |
Israel üblicherweise entgegensteht. Und noch weniger darüber, dass die | |
Vereinigung derzeit in die jüdischen Gemeinden in Deutschland drängt. Im | |
Gender-Ausschuss der BVV soll es einzig um die Frage gehen, ob in diesem | |
Fall von der Regel abgewichen werden soll, dass Orte im Bezirk nur noch | |
nach Frauen benannt werden. Oft wird an diesem Abend von Normalität | |
zwischen Juden und Nichtjuden gesprochen. Das krampfhafte Bemühen, keine | |
Kritik an Chabad zu äußern, zeigt, wie fern diese Normalität noch ist. | |
„Wir haben da ein recht heißes Eisen in der Hand“ stellt Christiane Timpert | |
von der SPD fest. Ihre Fraktion lehnt den Antrag geschlossen ab, müht sich | |
aber, allein die Frauenfrage dafür verantwortlich zu machen. | |
Sobald doch Kritik an den Positionen der Chabad aufkommt, reagiert die | |
antragstellende CDU mit dem Vorwurf, die Sozialdemokraten missachteten die | |
Religionsfreiheit: „Sind Sie gegen den Antrag, weil es ein Mann ist, oder | |
weil Ihnen die religiöse Ausrichtung nicht passt?“ fragt die CDUlerin | |
Marion Halten-Bartels scharf in Richtung SPD. „Die Geschehnisse in der | |
jüdischen Gemeinde haben uns nicht zu beeinflussen“ meint sie. | |
Das sehen die zahlreich anwesenden Mitglieder der liberalen Gemeinden | |
Berlins ganz anders. Michael Jänecke spricht von einer „Binnenmission“ der | |
Chabad, die verstärkt versuche, Einwanderer aus der Ex-Sowjetunion, aber | |
auch Kinder zu missionieren. „Am Ende laufen wir alle mit Pejes herum“ | |
prophezeit Rachel Kohn von der Synagoge in der Oranienburger Straße und | |
meint die Schläfenlocken der Ultraorthodoxen. | |
Erfolge der „Binnenmission“ sind schon sichtbar: Der Chabad-Rabbiner Yehuda | |
Teichtal ist bereits Gemeinderabbiner – dabei sind die Lubawitscher gar | |
nicht Teil der Jüdischen Gemeinde. | |
Auch wenn die Auseinandersetzung erst in jüngster Zeit durch | |
Abwahlforderungen gegen den Vorsitzenden Gideon Joffe wieder Aufmerksamkeit | |
erhielt, der Konflikt schwelt schon viel länger. Walter Rothschild war | |
eines seiner ersten Opfer. Der aus England stammende Rabbiner vertrat ab | |
1998 die liberalen Gemeinden Berlins in der Oranienburger und der | |
Pestalozzistraße. Seine Gottesdienste waren geprägt von politischen | |
Bezügen, aber auch von oftmals derben Witzen. Die wurden ihm zum | |
Verhängnis: Bei Monty Python sei er besser aufgehoben als in einer | |
Synagoge, hieß es bei seiner Kündigung im Jahr 2000. | |
Am Ende scheitert der Antrag der CDU. Bis auf eine Enthaltung der Grünen | |
stimmen die Verordneten aller anderen Fraktionen dagegen. Vor dem | |
endgültigen Votum der BVV berät nun der Ausschuss für Stadtentwicklung. | |
25 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Jörn Wegner | |
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Rabbiner | |
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