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# taz.de -- Jüdische Gemeinde im Clinch: Von Streithähnen und Zankäpfeln
> Seit Jahren macht die Jüdische Gemeinde Berlins mit Streit von sich
> reden. Es geht um Macht und Geld, Russen gegen Ur-Berliner, Konservative
> gegen Liberale. Eine Annäherung.
Bild: Kein Friede unterm Davidstern: Seit Jahren gibt es Zoff in der Jüdischen…
Die Zeit, in der Berlins Jüdische Gemeinde für stetiges Wachstum, neue
Synagogengemeinden und ein Aufblühen jüdischer Kultur stand, ist vorbei.
Stattdessen macht sie mit Skandalen, wirtschaftlichen Problemen und
heftigen Auseinandersetzungen von sich reden. Gemeindevorstand und eine
aktive Opposition stehen sich in Deutschlands größter jüdischer Gemeinde
mit ihren rund 10.000 Mitgliedern unversöhnlich gegenüber.
Seit im Januar 2012 Gideon Joffe mit seinem Bündnis „Koach“ – übersetzt
„Kraft“ – die Mehrheit in der Repräsentantenversammlung erringen konnte …
den Vorsitz der Gemeinde übernahm, sind die Konflikte offen ausgebrochen.
Für Außenstehende sind die teils heftigen Auseinandersetzungen kaum
durchschaubar. Rational begründete Meinungsverschiedenheiten über die
Führung der Gemeinde überlagern sich mit kulturellen Aversionen und tiefen
persönlichen Zerwürfnissen.
Micha Guttmann ist einer der Wortführer der Opposition und macht sich um
die demokratische Verfasstheit der Gemeinde Sorgen. Der Journalist und
Rechtsanwalt erzählt von der vergangenen Wahl zum Gemeindeparlament. Die
Koach-Kandidaten seien vor allem dank Briefwahlstimmen aus einem
Seniorenheim gewählt worden. „Wir können keinen Einzelfall beweisen“, sagt
Guttmann, aber dass jene Wahlzettel komplett identisch ausgefüllt gewesen
seien, sei zumindest merkwürdig.
Die andere Seite, den Vorstand um Joffe, repräsentiert dessen
Pressesprecher Ilan Kiesling. Guttmanns Vorwürfe weist er zurück. Es habe
sich um eine Wiederholungswahl gehandelt. Zuvor sei es zu
Unregelmäßigkeiten in eben genau jenem Seniorenheim gekommen, die zulasten
der Koach-Liste ausgefallen wären. Koach habe lediglich verstärkt Wähler
mobilisieren können, erklärt Kiesling den Stimmenzuwachs.
Doch die Vorwürfe der Opposition hören nicht bei den Wahlen auf. Auch
mangelnde Transparenz und einen undemokratischen Umgang mit dem
Gemeindeparlament wirft sie dem Vorstand vor, der das Gremium kaum noch
informieren würde. Der Schiedsausschuss der Gemeinde sei aus Protest
zurückgetreten, sagt Guttmann. Deswegen sei die Opposition bereits den Weg
vor ein Gericht außerhalb der Gemeinde gegangen, das aber seine
Zuständigkeit für die innerorganisatorischen Konflikte verneinte. Kiesling
wiederum sagt, Mitglieder des Schiedsausschusses hätten sich nach Ablauf
ihrer Amtszeit geweigert, ihre Posten zu räumen. „Mit dem Rücktritt sind
diese nur einer drohenden einstweiligen Verfügung zuvorgekommen“, weist er
Guttmanns Vorwürfe zurück.
Die betroffenen Ausschussmitglieder allerdings greifen Vorstand und
Präsidium des Gemeindeparlaments scharf an: Diese hätten gerichtliche
Aktionen der ordnungsgemäßen Neubesetzung des Schiedsgremiums vorgezogen.
Der Streit um den Schiedsausschuss ist nur ein Beispiel für die
undurchschaubare Gemengelage in der Gemeinde.
Wer den Weg zu den Wurzeln des Streits sucht, wird oft auf Differenzen
zwischen „alteingesessenen“ Westberlinern und den aus der ehemaligen
Sowjetunion eingewanderten Juden hingewiesen. Letztere stellen längst die
Mehrheit in der Gemeinde, 7.000 Menschen kamen seit dem Mauerfall nach
Berlin. Auch der Gemeindevorsitzende Joffe stammt aus einer
lettischstämmigen Familie, ist in Tel Aviv geboren und spricht fließend
Russisch. Das verkürzt den Draht zur meist älteren ersten
Einwanderergeneration, die vielfach die deutsche Sprache kaum beherrscht.
Im Gemeindeblatt finden sich seit Joffes Antritt vermehrt Beiträge, die auf
die Lebenssituation älterer russischsprachiger Menschen eingehen.
Doch die Gemeinde teilt sich nicht nur in Westberliner und Zuwanderer auf.
Ralf Bachmann gehört zu einer Gruppe unter Berlins Juden, die im Konflikt
kaum Erwähnung findet: die jüdische Bevölkerung aus dem Osten der Stadt,
die zur Wendezeit keine 100 Personen zählte. Der Journalist hat den
Holocaust überlebt und war unter der Modrow-Regierung stellvertretender
Regierungssprecher. „Die wenigen, die noch da sind, halten sich raus und
machen konkrete Gemeindearbeit“, beschreibt Bachmann die Rolle der
Ostberliner Juden im Konflikt.
Er erzählt von der Praxis sowjetischer Behörden, die Religionszugehörigkeit
im Pass zu vermerken. Auch viele Nichtjuden hätten sich seinerzeit „Jewrej“
in den Ausweis stempeln lassen, das garantierte die problemlose Einreise
nach Deutschland. Mit jüdischer Religion und Kultur hatten diese dann
natürlich nicht viel zu tun. Ist der Gemeindekonflikt also einer zwischen
„Russen“ und Alteingesessenen? Für Ralf Bachmann wäre das zu einfach.
Guttmann sieht das ähnlich: Über die Hälfte der Oppositionellen käme aus
Einwandererfamilien, sagt er. Für ihn liegt der Unterschied in der
Generation: Viele „Integrierte“, die vorwiegend aus der zweiten
Einwanderergeneration stammen, würden zum oppositionellen Gemeindeflügel
zählen, während Joffes Anhänger eher aus der ersten Generation kämen.
Ilan Kiesling sieht noch eine Konfliktlinie: „Wenn man einen essenziellen
Konflikt konstruieren möchte, dann würde ich sagen, dass es hier um modern
und aufgeschlossen gegen rückwärtsgewandt und unbeweglich geht.“
Schon einmal, in Kaiserzeit und Weimarer Republik, trennte die Berliner
Juden ein tiefer Graben, der zwischen dem arrivierten jüdischen Bürgertum
aus Charlottenburg und Zehlendorf und den sogenannten „Ostjuden“ – aus
Osteuropa eingewanderten und oft genauso tiefgläubigen wie armen Menschen –
verlief. Auch heute scheint sich der Konflikt wieder entlang von
Lebensweisen und Kulturen zu bewegen. Erst kürzlich wurde etwa Yehuda
Teichtal offiziell zum Gemeinderabbiner ernannt. Der aus den USA stammende
Teichtal gehört der orthodoxen bis ultraorthodoxen Chabad Lubawitsch an.
Die „Russen“ seien heute vielfach in einem Existenzkampf, sagt auch Ralf
Bachmann. Wenn die Lubawitscher ihnen Jobs und materielle Sicherheit geben,
dann nähmen sie auch gern deren religiöse Grundsätze an. Auf der anderen
Seite fürchten sich viele aus den liberalen oder liberal-konservativen
Synagogengemeinden vor einer drohenden Übermacht der Ultraorthodoxie.
Die letzte Eskalation des Streits begründete sich jedoch an den
wirtschaftlichen Zuständen in der stark verschuldeten Gemeinde. Bachmann
versucht dieses Problem aus der Geschichte der Berliner Gemeinde zu
rekonstruieren. „Damals sind schreckliche Geschäfte gemacht worden“, sagt
er über die Nachkriegszeit. Von den Nazis „arisierte“ Gebäude seien auf d…
Jüdische Gemeinde rückübertragen worden, da die meisten Besitzer im
Holocaust ermordet wurden. Die kleine Gemeinde verfügte so plötzlich über
einen großen Immobilienbesitz. „Wie der kölsche Klüngel“ habe sich der
Umgang mit diesen Häusern entwickelt, sagt Bachmann. Joffe sei auch
angetreten, um „die Trümmer von Jahrzehnten“ beiseitezuräumen.
Als es im Mai im Gemeindeparlament zu einer handfesten Rangelei kam, ging
es auch um Immobilien. Der Vorstand hatte den Antrag gestellt, aufgrund der
angespannten finanziellen Lage ein Gebäude zu beleihen. Die Diskussion sei
etwas lauter geworden, danach hätten die Anhänger Joffes begonnen, ihre
politischen Gegner zu schubsen. Ilan Kiesling weist in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass der amtierende Vorstand keinen Gemeindebesitz verkaufen
wolle und stattdessen auf Sparpotenziale setze. Der Vorgängervorstand unter
Lala Süsskind hätte hingegen Immobilien und Wertpapiere in Höhe von 12
Millionen Euro veräußert.
Im Juni äußerte sich die Allgemeine Rabbinerkonferenz besorgt über die
Zustände: „Ohne sachliche Themen hier beurteilen zu wollen, stelle ich
fest, dass es so nicht weitergehen darf, zu unser aller Wohl“, Berlins
Jüdische Gemeinde möge „ihr Haus in Ordnung bringen“, schrieb
Landesrabbiner Henry Brandt. Das dürfte nicht einfach werden.
2 Oct 2013
## AUTOREN
Jörn Wegner
## TAGS
Chemnitz
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