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# taz.de -- Religiöse auf dem Vormarsch: Das Lächeln des Rabbi
> Shlomo Bistritzky wird am Montag neuer Landesrabbiner der Jüdischen
> Gemeinde in Hamburg. Er gehört der umstrittenen religiös-orthodoxen
> Chabad-Bewegung an.
Bild: Liebe zum Gesetz: Rabbiner Shlomo Bistritzky im August 2010 mit einer neu…
HAMBURG taz | Der Rabbi ruft nicht zurück. Dabei hat er das immer getan,
sogar wenn er im Auto saß und wieder irgendwohin fuhr, um jüdische
Angelegenheiten zu regeln, "das Judentum", wie er sagt. Wenn er nicht
abnahm, war wenigstens seine Mailbox dran. Jetzt klingelt das iPhone, das
er immer bei sich trägt, ins Leere. "Es ist derzeit sehr schwierig", sagt
seine Sekretärin.
Am Montag wird Rabbi Shlomo Bistritzky, 34, offiziell als Landesrabbiner
der Jüdischen Gemeinde Hamburg eingeführt, der Oberrabbiner von Israel wird
kommen. Und vielleicht auch Bistritzkys Großvater Loeb Bistritzky, der in
Hamburg geboren ist, bevor die Familie vor den Nazis floh. "Ich hoffe sehr,
dass mein Großvater kommen kann", sagt Rabbi Bistritzky mit seinem Akzent,
der ein wenig nach Russisch klingt.
Seit acht Jahren lebt Bistritzky mit seiner Frau Chani und inzwischen
sieben Kindern in Hamburg, der Stadt seiner Vorfahren, die doch nicht seine
ist. Die Bistritzkys sind in Israel geboren, sie kamen als "Shluchim",
Gesandte der Bewegung Chabad Lubawitsch, um den Juden in der Hamburger
Diaspora "ihr Jüdischsein näherzubringen", wie Bistritzky sagt.
Besucher empfängt er immer noch in seinem alten Chabad-Büro, einem
winzigen, vollgestellten Raum, in dem ein Foto von einem alten Rabbi mit
weißem Bart und Hut hängt: Menachem Mendel Schneerson, letztes Oberhaupt
der Chabad-Bewegung, von seinen Anhängern auch nur "der Rebbe" genannt.
Shlomo Bistritzkys Großvater lebte im selben Bezirk in Brooklyn wie der
Rebbe. Seine Urgroßmutter kam direkt aus dem russischen Lubawitsch, wo sie
mit der späteren Frau des Rebbe in den Kindergarten ging.
Im Chabad-Zentrum feierte Bistritzky Gottesdienste, zu denen viel mehr
Menschen kamen als in die Gemeinde-Synagoge. In der Küche ihrer Wohnung
hielten er und seine Frau die Sonntagsschule ab. Zu einer
Tora-Veranstaltung sollen so viele Leute gekommen sein, dass man die
Polizei rufen musste. Das Laubhüttenfest habe er zu einer "rauschenden
Party" gemacht, sagen Leute, die dabei gewesen sind.
Nicht allen in der jüdischen Gemeinde war das geheuer. Als das
Chabad-Zentrum vor gut einem Jahr eine ehemals arisierte Villa in der
feinen Hamburger Rothenbaumchaussee kaufen wollte, um zu expandieren,
intervenierte der damalige Gemeindevorsitzende Ruben Herzog, ein eher
linksliberal orientierter Schuldirektor. Er habe nichts gegen Chabad, sagte
er, aber die Chabad-Leute dürften nicht das Hamburger Judentum
repräsentieren.
Kurz zuvor hatte die Jüdische Allgemeine über einen Konflikt im Tel Aviver
Stadtteil Ramat Aviv berichtet: Die dort wohnenden säkularen Juden würden
sich zunehmend über Chabadniks beklagen, die sie zu missionieren versuchten
- "immer wieder freitags probieren Männer in dunklen Anzügen mit Hüten und
Bärten, junge Leute zum Gebet oder Tora-Stunden einzuladen und versuchen
Eltern gleichzeitig, ihre Kinder vor den Bekehrungsversuchen zu schützen",
schreibt die Wochenzeitung, die vom Zentralrat der Juden herausgegeben
wird.
Auch die Jüdische Gemeinde Hamburg ist eher säkular eingestellt. Offiziell
nennt sie sich zwar "orthodox": In der Synagoge sitzen Männer und Frauen
getrennt, die Liturgie ist hebräisch, und eine Rabbinerin wäre undenkbar.
"Aber was die Leute in ihrem Privatleben machen, ist ihre Sache", erklärt
Roy Naor, Mitglied des neu gewählten Vorstands und Sprecher der Gemeinde.
Vielleicht wären Rabbi Bistritzky und die Hamburger Gemeinde nie
zusammengekommen, hätte sich die Gemeinde nicht unter unguten Vorzeichen
von ihrem vormaligen Landesrabbiner getrennt. Der Mann habe seine
Rabbinerurkunde gefälscht, behauptet der damalige Gemeindevorsitzende
Herzberg. Deshalb habe man ihn entlassen müssen.
In der rabbinerlosen Zeit war es Bistritzky, der die Tora-Lesungen hielt
und Beerdigungen durchführte. Landesrabbiner werden konnte er aber erst,
nachdem im Sommer ein neuer Vorstand gewählt worden war. "Ich glaube, dass
wir bei allen Unterschieden dasselbe Ziel haben", sagt der neue Vorsitzende
Bernhard Effertz. "Wir wollen das Judentum stärken."
Dabei ist Effertz schon äußerlich genau das Gegenteil von Shlomo
Bistritzky. Der neue Vorsitzende trägt keinen schwarzen Anzug und keinen
Hut, den Bart lässt er sich auch nicht wachsen. Effertz, 65, sieht aus wie
ein leutseliger Landarzt, die Koteletten wuchern über die Backen. Früher
hat er in den USA gelebt, als Social Worker gearbeitet und als Manager. In
der Hamburger Gemeinde hat er das "Mittwochs-Café" aufgebaut, in dem sich
ältere jüdische Einwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion
treffen. Verkehrssprache ist Russisch, es gibt Kuchen und Kaffee mit Milch,
die koscher ist, das schon. "Wissen Sie, es gibt koscher erster und zweiter
Klasse. Dies hier ist zweiter Klasse", sagt Effertz.
Bistritzky würde solche Milch vermutlich nie trinken, und Frauen gibt er
nicht die Hand, wie eine Reporterin des Hamburger Abendblatts verstört
notierte. In einer Erklärung auf Facebook distanziert sich der neue
Hamburger Landesrabbiner zwar von den Vorfällen in Israel, wo
ultraorthodoxe Juden junge Mädchen bespuckten, die ihrer Meinung nach zu
freizügig angezogen waren. Diese Leute würden die Orthodoxie insgesamt in
den Schmutz ziehen, schreibt Bistritzky, und dass er sich dafür schäme.
Interessant ist allerdings die theologische Begründung: "Die Frau heißt im
Judentum ,Akeret Habait'. Sie ist der wichtigste Teil des Hauses (Ikar),
und sie nimmt einen bedeutenden Platz in der Familie ein." Dazu passt, dass
Chabad offen dafür wirbt, dass verheiratete Frauen eine Perücke, den so
enannten "Schaitel" tragen: Sie sollen schön sein, sicher - ihre wahre
Schönheit soll sich aber nur ihren Männern zeigen.
Hinter vorgehaltener Hand ist von "harten Verhandlungen" die Rede, die die
Gemeinde mit Bestritzky geführt hat. Vorstand, Beirat und Kulturausschuss
seien eingeschaltet gewesen und hätten einen Vertrag aufgesetzt. "Wir
werden ihm auf die Finger schauen", sagen Leute, die an den Verhandlungen
teilgenommen haben.
Doch das sind nur kleine Scharmützel am Rande. Die Gemeindemitglieder
kennen Bistritzky ja längst, und bei vielen ist er sehr beliebt. "Der ist
ja ein Lubawitscher", sagt eine ältere Frau, die mit ihrem Mann am
Freitagabend zum Kerzenanzünden in die Synagoge geht. "Aber er hat uns
versprochen, uns nicht umzukrempeln." Sie lacht.
Das Kerzenanzünden hat Bistritzky von seinem Chabad-Zentrum in die Synagoge
verlegt, und seit er danach einen "Kiddusch" eingeführt hat, bei dem es
Traubensaft gibt und ein großes Buffet mit warmen Platten, kommen mehr
Leute in die Synagoge. Rabbi Bistritzky spricht den Segen, dann geht er
umher, einen Teller in der Hand, er wirkt gelöst.
Auch seine Frau Chani schwirrt durch den Raum, mal hat sie ein Baby im Arm,
in der nächsten Sekunde spricht sie mit Leuten. Sie trägt ein schwarzes
Kleid und Stiefel mit sehr hohen Absätzen. "Wissen Sie", sagt die ältere
Frau von vorher, "ich stehe ja mit dem da auf Kriegsfuß", sie zeigt nach
oben. "Aber die Bistritzkys sind einfach eine nette Familie."
13 Jan 2012
## AUTOREN
Daniel Wiese
Daniel Wiese
## TAGS
Jüdisches Leben
Rabbiner
Judentum
Rabbi
Israel
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