| # taz.de -- 10. Berlin Biennale: Kunst auf Entzug | |
| > Die üblichen Erwartungen wollen die Kurator*innen der 10. Berlin Biennale | |
| > unterlaufen – und machen neugierig mit unbekannten Namen im Programm. | |
| Bild: Raum für Neues: Das Kurator*innenteam der 10. Berlin Biennale | |
| Berlin taz | Erwartungen zu enttäuschen, scheint das Programm von Gabi | |
| Ngcobo für die 10. Berlin Biennale zu sein, die an diesem Samstag eröffnet. | |
| Auf Entzug und Zurückweisung deuten schon das von Tina Turner geborgte | |
| Biennale-Motto „We don’t need another hero“ und mehr noch der Titel für … | |
| Begleitprogramm „I am not who you think I am not“ hin. Der für das Design | |
| verantwortliche New Yorker Grafiker Maziyar Pahlevan lässt dann auch das X | |
| der Jubiläums-Biennale in Camouflage verschwinden. | |
| Die stärkste Setzung, Erwartungen zu unterlaufen, wäre es, relevante | |
| zeitgenössische Kunst zu zeigen, die mehr ihr eigenes Herkommen reflektiert | |
| als das ihrer Produzent*innen. Oder generell einmal die Strukturen des | |
| Ausstellungswesens in den Blick zu nehmen, anstatt die von der Kunstwelt | |
| vernachlässigten Orte und Räume zu kartografieren. Denn darum ging es | |
| zuletzt sehr stark in der Kunst. Man will Diversität stärken und verengt | |
| doch erneut den Blick. Zum Beispiel darauf, dass zusammen mit der aus | |
| Südafrika stammenden Leiterin der Berlin Biennale, Gabi Ngcobo, gleich ein | |
| durchgängig schwarzes Kurator*innenteam die Jubiläums-Biennale bestreitet. | |
| Doch nicht seine schwarze, sondern seine internationale Herkunft und | |
| Ausbildung qualifiziert das Team dafür, den Überblick über das weltweite | |
| Kunstgeschehen zu haben. Die Berliner Kuratorin Yvette Mutumba ist | |
| Mitbegründerin der Zeitschrift C& für zeitgenössische afrikanische Kunst. | |
| Nomaduma Rosa Masilela promovierte an der Columbia University in New York | |
| und befasst sich in ihren kunsthistorischen Untersuchungen mit Kunst im | |
| öffentlichen Raum. Der freie Kurator und Autor Moses Serubiri stammt aus | |
| Kampala, er veröffentlicht in The Trans-African oder auch Frieze und war | |
| 2015 Stadtschreiber in Bayreuth. Thiago de Paula Souza schließlich kommt | |
| aus São Paulo und arbeitete schon mit Gabi Ngcobo zusammen, als sie die 32. | |
| Biennale von São Paulo leitete. | |
| Gerade Kunst, die ihr Material befragt, ihre Form, ihr Ausstellungsformat | |
| und damit ihre Chance auf Öffentlichkeit, kann individuell wie | |
| gesellschaftlich starke emanzipatorische Kräfte entwickeln. Das zeigt die | |
| Erfahrung der feministischen Kunst in den 1970er Jahren – auch wenn der | |
| Einbruch auf breiter Front von Video, Fotografie, Performance und Body-Art | |
| in den Kunstbetrieb am Ende doch nur wieder auf das Konto der Männer | |
| gegangen sein soll. Durch ihre Repräsentationskritik machten die | |
| Künstlerinnen die Mechanismen sozialer Vergeschlechtlichung deutlich. Nur | |
| deshalb erkennen wir heute den effektivsten dieser Mechanismen im | |
| Kunstmarkt, auf dem 80 Prozent des dort umlaufenden Geldes einem einzigen | |
| Geschlecht zugesteckt werden. Wo es doch davon mehrere gibt. | |
| ## Genügend Namen, die weniger bekannt sind | |
| Deswegen ist es aber nicht unangebracht, auch das Herkommen der Kunst und | |
| ihrer Produzent*innen zu thematisieren. Sie stammen dann vielleicht wie | |
| Gabi Ngcobo aus Afrika, arbeiten aber im europäischen Kontext wie etwa die | |
| aktuelle Turnerpreisträgerin Lubaina Himid, die auf Ngcobos | |
| Künstler*innenliste steht. Oder ihre Kunst handelt wie beim | |
| neuseeländischen Künstler Luke Willis Thompson vom US-amerikanischen | |
| Rassismus. Die Zusammenhänge sind heute eben komplex. Und sofern man sich | |
| darauf einlässt und nicht gleich überall Urheber- und sonstige kulturelle | |
| oder ethnische Besitzrechte erhebt, sollte das Leben und Kunst bereichern. | |
| Ngcobos Künstler*innenliste macht neugierig, schon weil sie mit genügend | |
| Namen aufwartet, die eher weniger bekannt sind. Sie könnte eine sein, die | |
| dem Eigensinn des künstlerischen Herstellungsprozesses Rechnung trägt. Man | |
| wird es sehen. | |
| Wenn Gabi Ngcobo in einem der vielen zuletzt in der Presse veröffentlichten | |
| Gespräche und Interviews sagt, sie sei kein Körper, der für eine einzige | |
| historische Lesart stünde, denn bezeugen schon ihr Lebenslauf und ihre | |
| Karriere diese Aussage. Denn hier zeigt sich, dass sie Wege ging, die ihr | |
| durch Elternhaus und Umfeld nicht schon gebahnt waren. 1974 in Durban in | |
| Südafrika geboren, studierte sie dort in den 1990er Jahren Kunst. Ihre | |
| Eltern, sagt sie, konnten sich keine Vorstellung davon machen, worum es | |
| sich da handelte. | |
| Nach dem Bachelor ging sie nach Kapstadt, wo sie in der South African | |
| National Gallery arbeitete, bevor sie in New York ihren Masterabschluss in | |
| Curatorial Studies machte. Zurück in Johannisburg, gründete sie die | |
| selbstorganisierte Kunstplattform Nothing Gets Organised. Die Frage, wie in | |
| der zeitgenössischen Kunst historisches Erbe verhandelt wird, untersuchte | |
| sie mit dem gleichfalls selbstorganisierten Center for Historical | |
| Reenactment, mit dem sie an der 8. Berlin Biennale teilnahm. | |
| Der Ruf, die 10. Berlin Biennale zu gestalten, erreichte sie als Leiterin | |
| der 32. Biennale von São Paulo. Davor war ihre zusammen mit Yvette Mutumba | |
| kuratierte Ausstellung „A Labour of Love“ im Frankfurter | |
| Weltkulturen-Museum viel gelobt worden (siehe taz vom 11. 1. 2016). Die | |
| Ausstellung würdigte den hessischen Pfarrer Hans Blum, der in den späten | |
| 1980er Jahren für das Frankfurter Museum eine Sammlung mit südafrikanischer | |
| Kunst aufbaute. Die Kuratorinnen zeigten 150 Arbeiten aus der Sammlung mit | |
| neuen Arbeiten von vier jungen südafrikanischen Kunststudenten und Arbeiten | |
| von Gabi Ngcobo selbst. | |
| Dass sie sich noch immer auch als Künstlerin definiere, helfe ihr als | |
| Kuratorin, Dinge anzufassen, vor denen viele andere Kuratoren | |
| zurückschreckten, sagt sie. Es sei ihre Möglichkeit als Kuratorin, | |
| abzuweichen von den üblichen Erwartungen. Dazu zählt wohl auch, dass der | |
| Begriff „postkolonial“ im offiziellen Statement der Berlin Biennale fehlt. | |
| Was nicht heißen muss, die entsprechenden Themen und Fragen blieben außen | |
| vor. Doch braucht es, nach dem Debakel um die strukturellen Defizite des | |
| Humboldt Forums (samt Söder-Kreuz auf dem Dach), wirklich die Berlin | |
| Biennale, um zu verstehen, dass wir längst in der postkolonialen Welt und | |
| ihren unausweichlichen Anforderungen an Aufklärung und Neuverständigung | |
| angekommen sind? | |
| Der Prozess der Dekolonisierung wird notwendigerweise in den Kunstwerken | |
| selbst verhandelt. Das Kollektiv Keleketla! Library aus Johannesburg | |
| erforscht etwa die Geschichte des Kwaito, einer Musikrichtung, die Anfang | |
| der neunziger Jahre in Soweto entstand. Des 1976 blutig niedergeschlagenen | |
| Schüleraufstands gedenkt das Kollektiv mit Auftritten am 15. und 16. Juni. | |
| Und Dekolonisierung umfasst auch das „Legends Project“, für das die | |
| brasilianische Künstlerin Cinthia Marcelle immer wieder ein Foto aus dem | |
| Jahr 1942 nachstellt, das die aus Europa geflüchteten Künstler Max Ernst, | |
| Piet Mondrian und Marcel Duchamp in New York zeigt. Ihre Arbeit wird in den | |
| Kunst-Werken gezeigt, fester Standort der Berlin Biennale seit ihrer | |
| ersten, 1998 von Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Nancy Spector | |
| organisierten Ausgabe. | |
| Der Ehrgeiz der folgenden Biennalen, immer wieder ganz neue, überraschende | |
| Ort für die Kunst aufzutun, hat sich im 20. Jahr gelegt. In Berlin herrscht | |
| Immobilienboom und damit ist die Zeit der Entdeckung neuer Räume vorüber. | |
| Neben den KW sind die schon bekannten Spielorte der Biennale die Akademie | |
| der Künste im Hanseatenweg, das HAU und der gläserne Pavillon neben der | |
| Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Nur das Zentrum für Kunst und | |
| Urbanistik in Moabit kommt neu hinzu. | |
| 5 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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