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# taz.de -- „War Games“ im Kunstmuseum Basel: Schule der Autonomie
> In einer Ausstellung in Basel reflektieren die Künstlerinnen Hito Steyerl
> und Martha Rosler die Beziehung von Medien und Politik.
Bild: Installationsansicht der Ausstellung „War Games“ während der Verniss…
Säbelrasseln war mal ein Begriff, der antiquiert erschien und ins frühe 20.
Jahrhundert gehörte, als junge Männer etwas erleben wollten und der Ruf
nach Krieg durch Europa hallte. Überraschend schnell kommt jetzt der
Begriff in unser Bewusstsein zurück. Spätestens seit der Wahl Donald Trumps
sind die politischen Töne schriller geworden und der berühmte rote Knopf
ist plötzlich wieder im Gespräch. Forscher stellten gerade die
Weltuntergangsuhr auf 2 vor 12. In der Gesellschaft wachsen
Militarisierung, Populismus und Extremismus. Und wer kann eigentlich noch
zwischen Fake News und Realität klare Grenzen ziehen?
Seit Jahrzehnten schon beschäftigen sich Martha Rosler (*1943) und Hito
Steyerl (*1966) mit dem Einfluss von audiovisuellen Medien bei der
Vermittlung gesellschaftlicher Realität und reflektieren dies in ihrer
künstlerischen sowie theoretischen Produktion. Das Kunstmuseum Basel macht
nun unter dem Titel „War Games“ ihre Analysen von Kriegstreiberei,
Hegemoniebestrebungen und unterschiedlichen Arten von Dominanz zugänglich.
Die beiden hier zum ersten Mal miteinander auszustellen, das wird schon in
den ersten Sälen klar, ist ein genialer Coup von Kurator Søren Grammel.
Obwohl der Generationenunterschied zwischen den Künstlerinnen in der
Ästhetik ihrer Arbeiten durchaus deutlich ist, wachsen Roslers
nostalgisch anmutende Fotomontagen, Videos und Buchinstallationen
organisch mit Steyerls futuristischen Installationen zusammen.
## Hannah Arendt lesen
Zum Einstieg schreitet man zwischen transparenten Vorhängen, auf denen
Zitate aus Hannah Arendts philosophischen Plädoyers gegen den
Totalitarismus gedruckt sind. Roslers „Reading Hannah Arendt“ (2006) stimmt
darauf ein, dass dieser Parcours das Publikum fordern will: „Denken ist
dieser Tage ausdrücklich erwünscht“, merkte die Künstlerin bei der
Einweihung dieser Arbeit im Gebäude der ehemaligen jüdischen Mädchenschule
in Berlin 2006 an.
Zehn Jahre später ist kritisches Denken unerlässlich. In „Babenhausen 1997�…
von Steyerl erzählt die Stimme eines Antifa-Aktivisten von der einzigen
jüdischen Familie, die in den 1990er Jahren aus der hessischen Kleinstadt
durch antisemitische Hetze und Anschläge verjagt worden ist.
Die Ausstellung vereint frühe und aktuelle Arbeiten beider Künstlerinnen,
die ihre Finger in Wunden legen und aufrütteln wollen, ob es nun um
Ausbeutung von Leihmüttern oder nahende Dystopien geht. Steyerls „The
Tower“ amalgamiert Vergangenheit mit Zukunft, Realität mit Fiktion in einer
filmisch-digitalen Collage: Auf drei Displays wird die Geschichte der Firma
Program-Ace von ihrem Gründer Oleg Fonaryov aus Charkow in der Ukraine
erzählt.
## Ständige Bedrohung aus Russland
Der ehemalige Programmierer der sowjetischen Weltraumforschung hat sich auf
Ego-Shooter spezialisiert und erzählt von der ständigen Bedrohung aus
Russland. Betrachten lässt sich diese Erzählung über die Komplexität
globaler Konfliktfelder auf roten Ledersesseln, die an Kommandozentralen
erinnern.
Der Kurator und die Künstlerinnen schaffen es in dieser dichten Ausstellung
durch wechselnde Displays sowie ein gut strukturiertes Narrativ, die
Spannung zu halten. Roslers „House Beautiful: Bringing the War Home, New
Series“ 2004–2008 verbindet die Darstellungen aus dem gleichnamigen
Hochglanzmagazin des westlichen Lifestyles mit Bildern aus dem Irak- und
Afghanistankrieg.
Verstümmelte Opfer sind auf Designersesseln platziert, während im
Bildvordergrund ein Model mit einem Mobiltelefon posiert – das Bildmaterial
findet Rosler interessanterweise im gleichen Heft, dort ist es freilich auf
unterschiedlichen Seiten verstreut. Die montierten Arbeiten setzen die
Serie fort, die ursprünglich zwischen 1967 und 1972 mit Bildern aus dem
Vietnamkrieg entstand und zunächst gar nicht als Kunstwerk gedacht war,
sondern für die freie Verbreitung auf Flyern der Protestbewegung.
## Die Zollfreilager der zeitgenössischen Kunst
Doch der Kunstbetrieb schafft es auch, den Dissens einzuverleiben. Diesem
Mechanismus geht Steyerl in der Ausstellung mit den Arbeiten „Duty Free
Art“ und „Is the Museum a Battlefield?“ nach. In der guten Tradition von
Hans Haackes Darstellungen von der Korruption des Kunstmarkts werden
Zollfreilagerung im Bereich der zeitgenössischen Kunst sowie deren Funktion
innerhalb globaler Besitz- und Machtstrukturen thematisiert.
Ein weiterer Aspekt ist das „Whitewashing“ einer menschenverachtenden
Industrie durch Sponsoring zeitgenössischer Kunst auf internationalen
Biennalen. Rosler und Steyerl haben keine Skrupel vor Nestbeschmutzung und
fordern lautstark Autonomie. Die Eingebundenheit ist noch keine Endstation
in den heutigen Konfliktfeldern, denn Widersprüche können durchaus eine
Energiequelle sein für Denkprozesse und Handlungen.
Beide Künstlerinnen zeigen eindrücklich, wie schwere Themen nicht
schwerfällig, sondern leichtfüßig angegangen werden, leisten
Verständnishilfe und zeichnen ein Mindmap der komplexen War Games in den
Massenmedien. Allerdings muss der/die Besucher*in mündig bleiben und sich
immer wieder in einer reflektierten Distanz zum Gezeigten wissen.
30 May 2018
## AUTOREN
Elena Korowin
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Bildende Künstler
Berlin Biennale
Ukraine
Documenta
Basel
Fotografie
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