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# taz.de -- Ausstellung von Wolfgang Tillmans: Ein Blick ins Kaleidoskop
> Es ist die erste Einzelausstellung eines Fotografen in der Fondation
> Beyeler: Sie zeigt die visuelle Wunderkammer eines feinen Beobachters.
Bild: Ein Sammelsurium oder eine Wunderkammer: Des Künstlers Perspektive
Wenn sich die Fondation Beyeler, dieses stattliche Kunstmuseum in Riehen am
nördlichen Rand von Basel, erstmals in seiner 20-jährigen Geschichte
umfassend mit dem Medium Fotografie auseinandersetzt, kann man schon mal
hellhörig werden. Wenn man dann auch noch erfährt, dass es zugleich die
erste Einzelausstellung eines Fotografen überhaupt ist, zumal eines
deutschen, dann wundert es nicht, dass sich Museumsdirektor Sam Keller und
Kuratorin Theodora Vischer für die Ausnahmeerscheinung Wolfgang Tillmans
entschieden haben.
Dabei gehört Tillmans in keinem fotografischen Sujet zu den Besten. Er ist
nicht der beste Landschafts- und nicht der beste Porträtfotograf, er
fotografiert nicht die besten Stillleben und nicht die besten Akte. Er ist
nicht der Wildeste unter den Wilden und er ist nicht der Sensibelste unter
den Sensiblen. Er ist weder ein begnadeter Inszenierer noch ein
fantastischer Lichtsetzer. Aber er ist einer der größten Entdecker und
(Neu-)Erfinder des Mediums. Und mit Sicherheit einer der
Experimentierfreudigsten und -süchtigsten, der Vielseitigsten und
Neugierigsten.
Tillmans ist ein Fotograf, der das Sehen liebt. Das feine Beobachten, das
Entdecken und das Sammeln. Und das Hinterfragen. Gleichzeitig kann er
mittlerweile auf eine 30-jährige künstlerische Karriere zurückblicken. Sein
umfangreiches Œuvre ist deshalb weit mehr als die Summe der einzelnen Teile
– davon kann man sich in der nun eröffneten Ausstellung, die die Hälfte des
von Renzo Piano entworfenen Gebäudes einnimmt, überzeugen.
Zu sehen bekommen wir dabei eine für Wolfgang Tillmans typische
Installation, in der alles nebeneinander hängen kann, ohne nachvollziehbare
Reihenfolge oder Gewichtung. Es ist dieser Gedanke einer fotografischen
Wunderkammer, in der alles mit allem im Bezug zu sein scheint – oder es
zumindest sein kann. Es ist dieses intuitive Wirrwarr aus
unterschiedlichsten Einzelaufnahmen und -erfahrungen, die zu seinen
bekannten, mit Tesastreifen und Binder Clips befestigten
Wandinstallationen führen, die Tillmans immer selbst vor Ort vornimmt.
Zwei Wochen lang war er persönlich in Riehen und hat die Hängung begleitet,
drei Jahre haben er und die Kuratorin Vischer die Schau geplant.
## Ein Sammelsurium
Innerhalb dieses Sammelsuriums ist jedes der 200 gezeigten Bilder ein Teil
des Ganzen, das aber auch alleine funktionieren müsse und niemals für das
Ganze stehe: der junge Mann mit dem Irokesenhaarschnitt, der auf einen
grünen Stuhl uriniert; die Sequenz der startenden Concorde; ein
Zeitungsartikel über Beuys’ Fettecke und einer über die Hamburger
Hausbesetzerszene, die Tillmans zu einem neuen Artikel montiert hat; Fotos
aus dem Cockpit eines Flugzeugs, in dem die Hände der Piloten scheinbar
nach den gleichen Instrumenten greifen; Demonstrationen von verschiedenen
Bürgerrechtsbewegungen; die Grenzmauer in Gaza und der Grenzzaun zwischen
Mexiko und den USA; ein Bundeswehr-Gefreiter, der mit seiner grünen
Tarnuniform im Türrahmen eines Bahnabteils wartet; ein riesiger
Schlüsselbund in einem Türschloss; ein Vorstadthaus, dessen Treppen so
eingeschneit sind, dass man die Stufen nicht mehr erkennt und nur noch das
schwarze Geländer surreal herausragt.
Und dazwischen: Immer wieder Porträts von Freunden und Fremden, explizite
Aufnahmen von weiblichen wie männlichen Geschlechtsorganen, Blicke in sein
Atelier und auf Privatpartys. Stillleben. Eine Serie über den kleinen
Apfelbaum, den er im Balkongang vor seiner Londoner Wohnung von der Blüte
bis zum reifen Apfel dokumentiert hat. Die Falten seiner verwaschenen
Kleidung. Die Halogenlampe eines Fotokopiergerätes. Farbverläufe am
Horizont, die er aus dem Flugzeug fotografiert hat. Und dann Tillmans
spannende Ausflüge in die Konkrete Fotografie, als er mit Licht auf
Fotopapier „gemalt“ oder das belichtete und gefaltete Fotopapier selbst zur
Skulptur in einem Plexiglaskasten erklärt hat.
Tillmans betrachtet seine Ausstellungen auch als „Bildvorschläge und
Einladungen zum Gucken“, wie er sagt. Woanders spricht er davon, dass „ein
Bild immer ein Schärfen des Sehens“ bedeute. Knackige Sätze eines
reflektierten Künstlers, die aber trotzdem vage bleiben. Jeder könne selbst
in den Arbeiten etwas entdecken, er wollte da nichts vorgeben, sagt er. Und
er habe schon Erfolg mit seiner Arbeit, wenn der Betrachter mit nur fünf
Prozent etwas anfangen könne. Das klingt bescheiden, ist zugleich aber eine
Bankrotterklärung an den eigenen Anspruch. Denn wenn der Betrachter mit 95
Prozent nichts anfangen kann, mag das für Tillmans in Ordnung sein. Aber
sicher nicht für den Besucher.
## Keine Schnappschüsse
Dabei hat der 48-Jährige einen hohen Anspruch. Vielleicht sogar einen zu
hohen. An sich selbst, an seine Bilder und vor allem auch an die
Betrachter. „Es ist ein ständiges Nachdenken über meine Arbeit: Was glaube
ich, was das ist? Was will ich, was das ist? Und was ist es vielleicht
wirklich?“, erklärt er im privaten Gespräch. Das wird möglicherweise in
keiner seiner bisherigen Ausstellungen – und auch in keinem seiner Bücher –
so deutlich wie in dieser. Selbst nicht in seiner großen Show in der Tate
Modern in London, die noch bis zum 11. Juni zu sehen ist. Denn mit der
Baseler Schau wollen Tillmans und Vischer die Aufmerksamkeit auf die
Gestaltung der Bilder lenken. Insofern betont Tillmans auch gerne, dass
seine Bilder keine Schnappschüsse seien, wenngleich sie häufig als solche
bezeichnet werden. Vielmehr habe er sie bewusst gestaltet, fotografiert und
ausgewählt.
Aber ist das nicht selbstverständlich? Würde ein solcher Hinweis in einer
Ausstellung von Hobbyfotografen in der Volkshochschule Erlangen fallen,
hätte dies noch einen gewissen Bildungsauftrag. Aber Tillmans ist Gewinner
des renommierten Turner-Preises und wird schon heute zu den wichtigsten
Künstlern des 21. Jahrhunderts gezählt. In diesem Kontext erscheint der
Hinweis geradezu absurd. Und auch ein wenig verzweifelt. Weil Tillmans
trotz seines Renommees immer noch auf das Was in seinen Bildern reduziert
wird.
Das ist bitter, aber er steht damit nicht alleine da: Wolfgang Tillmans
teilt dieses Schicksal mit nahezu allen Fotografen. Die Frage lautet immer:
„Was fotografieren Sie?“, aber niemals „Wie fotografieren Sie?“. Der
Verhaftung der Fotografie an die Realität, das „Es-ist-so-gewesen“, wie es
Roland Barthes in „Die helle Kammer“ formuliert hat, macht eine
distanzierte und analytische Betrachtungsweise des Mediums vielen unmöglich
– im Gegensatz beispielsweise zur Malerei.
Gerade deshalb wäre es äußerst wünschenswert, wenn Tillmans’ Baseler
Ausstellung einen Anstoß geben könnte, wie wir uns Fotos anschauen –
gleichgültig, ob es Fotografien von Wolfgang Tillmans sind oder die von
anderen Künstlern, Fotografien in den Medien oder in unseren sozialen
Netzwerken. Wenn eine Diskussion stattfände, welche Bilder wir zu sehen
bekommen und warum wir wie darauf reagieren. „Ich glaube, wir können unsere
Augen trauen. Wir müssen nur wissen, wie sie funktionieren“, sagt der
gebürtige Remscheider optimistisch. Doch genau diese Diskussion findet in
der Ausstellung nicht statt. Am Ende werden die Besucher doch mit sich und
dem Tillmans’schen Kaleidoskop allein gelassen. Leider. Das Potenzial für
mehr hätte die Ausstellung jedenfalls.
4 Jun 2017
## AUTOREN
Damian Zimmermann
## TAGS
Fotografie
zeitgenössische Fotografie
zeitgenössische Kunst
BDI
Basel
Schwerpunkt Klimawandel
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