# taz.de -- Basquiat-Retrospektive in Basel: Der Kamikazeheld | |
> Die Fondation Beyeler legt eine erste große Retrospektive von Jean-Michel | |
> Basquiats Werk vor. Das ist wie kein anderes geeignet, den Mythos vom | |
> einsamen Genie aufzurufen | |
Bild: Basquiats expressiver Furor hat seine Blütezeit hinter sich: Ausschnitt … | |
Ein Körper wie auf einem Röntgenbild, die knöcherne Faust gegen den Himmel | |
gereckt, die Krone auf dem Totenschädel. "Untitled" aus dem Jahr 1982 hat | |
alle Ingredienzien eines Basquiat-Bildes: Den Willen zur Provokation, die | |
Selbstüberschätzung des Protagonisten, das Spiel mit dem Tod. | |
Zur Eröffnung der ersten großen Retrospektive, mit der die Basler Fondation | |
Beyeler pünktlich zum 50. Geburtstag Jean-Michel Basquiats in diesem | |
Frühsommer aufwartete, gingen die Kritiker in die Knie. Keine Rezension kam | |
ohne den Hinweis auf die Energie aus, die von diesen Bildern immer noch | |
ausginge. Dennoch überdeckten diese Elogen die Ratlosigkeit darüber, wo im | |
Bermudafünfeck zwischen Neoexpressionismus, Graffiti, Pop, Art Brut und | |
Appropriation-Art dieses Werk denn nun einzustufen ist. Wer die opulente | |
Schau durchstreift, ist hin- und hergerissen. Wenn man ein Bild gesehen | |
hat, meint man alle Bilder gesehen zu haben, so oft wiederholen sich | |
Basquiats Motive. Und so richtig will der Funke doch nicht (mehr) | |
überspringen. Im Grunde misstraut man diesem expressiven Furor. Kennt man | |
das ganze ungestüme, Street-Art-&-Black-Pride-Vokabular inzwischen nicht | |
auch schon aus der Nike-Werbung? | |
Das Werk des am 12. August 1988 mit 27 Jahren an einer Überdosis | |
verstorbenen Künstlers ist wie kein anderes geeignet, die Schablone des | |
einsamen Künstlergenies, des tragischen Einzelgängers und "Kamikazehelden" | |
(Robert Storr) wieder aufzurufen, der sich aus der Gosse erst an die Spitze | |
der Boheme und dann des Kunstmarkts katapultiert hat. In den USA Richard | |
Nixons ist das nicht wenig für einen Afroamerikaner, auch wenn er aus | |
gutbürgerlichem Hause kam, wie der 1960 in New York geborene Jean-Michel. | |
Und dem man den unbedingten Willen zum Ausdruck abnimmt, den jede Art von | |
Expressionismus so mit sich bringt. Aber seien wir ehrlich: Auf einer | |
Biennale heute hätte Basquiat keine Chance. Die Konzeptualisten würden | |
Sturm laufen gegen ihn. | |
Zeichner und Rebell | |
Trotzdem ist sein Werk nicht allein zu begreifen als Aufstand des ganz | |
großen Gefühls, des Unmittelbaren und der großen Geste gegen die verkopfte | |
Minimal-und die Concept-Art der späten siebziger Jahre. Auch wenn der | |
Künstler selbst das Stichwort dazu liefert. "Damals herrschte die Minimal | |
Art vor und mit dieser Kunst konnte ich wenig anfangen. Ich glaube, dass | |
die die Leute ein wenig spaltete und die meisten von der Kunst wegführte", | |
erläuterte Basquiat drei Jahre vor seinem Tod in einem Interview mit Becky | |
Johnston und Tamra Davis die Beweggründe seiner frühen Jahre. | |
Basquiats strategisches Genie ist nicht nur hinter dem cleveren Künstlerduo | |
Samo© erkennbar, das er zusammen mit seinem Freund Al Diaz aus der Taufe | |
hob: Mit graffitiähnlichen Zeichnungen an New Yorker Hauswänden "diesen | |
Galerienzirkus zu attackieren" - zumindest so lange, bis man selbst darin | |
war. Und natürlich in den Bildern selbst. So wie sie das Alltägliche in das | |
Bild integrieren, gehören sie mehr zur Pop-Art eines Robert Rauschenberg | |
als zur Graffitikunst. Von Cy Twombly hat Basquiat die Eigenart, | |
Satzkaskaden in sein Werk zu integrieren. Er zitiert afrikanische | |
Stammeskunst. Und auch die mehrmals übermalten Bildgründe, die manche | |
Einzelheiten durchscheinen lassen, sind mehr als eine Affekthandlung. Wenn | |
auf die Kunst des Jean-Michel Basquiat eine Kennzeichnung zutrifft, dann | |
vielleicht die des konzeptuellen Expressionismus. Basquiat nahm sich von | |
allem das Beste. Und vielleicht ist noch das Genuinste die Symbolwirkung | |
die von der Krone mit dem (Toten-)Schädel, seinem Markenzeichen, ausgeht: | |
ein Künstler zwischen Selbstermächtigung und Todesgewissheit. | |
Sam Keller, Chef der Fondation Beyeler, will Basquiat als den "ganz großen | |
Maler und Zeichner" ehren, der er zweifellos ist. Gleichzeitig soll er auch | |
als Rebell "gegen den Konsumkapitalismus" durchgehen. Rezeption und | |
Distribution sprechen eine andere Sprache. Das New Yorker MoMA besitzt | |
gerade mal fünf Werke Basquiats. Der Großteil der Bilder in Basel sind | |
private Leihgaben. Seine Sammler verhelfen dem konsumkritischen Vorbild mit | |
schöner Regelmäßigkeit zu Auktions-Höchstpreisen. Zuletzt ersteigerte 2008 | |
ein Unbekannter ein "Untitled"-Bild Basquiats aus dem Besitz des | |
Metallica-Drummers Lars Ulrich für 14,6 Millionen US-Dollar. Bis heute ist | |
die Wirkung von Madonnas Lebensabschnittspartner aus dem Jahr 1982 als | |
glamouröses role model stärker als die des Alten Meisters. | |
Die konsumkritischen Arbeiten der ersten Stunde, die bemalten Postkarten | |
mit dem schönen Titel "Anti-Products", mit denen er in der Lower East Side | |
und im East Village in den siebziger Jahren seinen Lebensunterhalt | |
verdiente, liegen wie Reliquien in den erlesenen Hallen der Fondation, | |
einer erstrangigen Institution der Hochkultur. Nicht dass wir meinten, der | |
Rebell habe am Hungertuch zu nagen und das Establishment zu meiden. Aber | |
irgendetwas ist bei dieser Revolte wohl doch schief gelaufen. | |
24 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
Ingo Arend | |
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