| # taz.de -- taz-Serie Datenschutz in der EU: Er hat's erfunden | |
| > Jan Philipp Albrecht ist der Vordenker der neuen Datenschutzgesetze in | |
| > Europa. Jetzt wird der grüne Überflieger Minister in Schleswig-Holstein. | |
| Bild: „Im Rausch der Daten“: Über Albrechts Clinch mit den dunklen Mächte… | |
| Die Daten von rund 500 Millionen Europäer*innen stehen ab 25. Mai 2018 | |
| unter besonderem Schutz. Dann gilt die EU-Datenschutzgrundverordnung – kurz | |
| DSGVO. Sie gilt als Meilenstein und Zeitenwende im europäischen | |
| Datenschutzrecht. Während Verbraucherschützer*innen jubeln, ärgern sich | |
| Blogger*innen, Vereinsleute oder Kleinunternehmer*innen über das | |
| bürokratische Ungetüm. Die taz beleuchtet [1][in einer Serie] die | |
| verschiedenen Aspekte der DSGVO. | |
| Brüssel taz | Ganz schön lässig, immer locker. Wer Jan Philipp Albrecht zum | |
| ersten Mal trifft, hat Mühe, ihn richtig einzuordnen. Mit seinem | |
| weiß-blauen Ringelpullover erinnert der ziemlich häufig gut gelaunte | |
| 35-Jährige auf den ersten Blick mehr an einen bretonischen Fischer als an | |
| einen gestandenen Europaabgeordneten. | |
| Dabei ist Albrecht einer der bekanntesten – und einflussreichsten – | |
| EU-Politiker in Brüssel. Sein Name steht für Datenschutz und Demokratie. | |
| Der Grüne gilt als Vordenker und Mastermind der | |
| EU-Datenschutzgrundverordnung. Die DSGVO ordnet die digitalen Rechte und | |
| Pflichten ab kommenden Freitag in der gesamten EU neu. Experten sagen, die | |
| Verordnung habe sogar das Zeug, langfristig zum Weltstandard zu werden. | |
| All das war nicht absehbar, als Jan – so nennen ihn Kollegen und Freunde – | |
| 2009 zum ersten Mal für das Europaparlament kandidierte. Damals war der | |
| nette junge Kerl aus Braunschweig in Deutschland komplett unbekannt. Nur | |
| bei den Grünen hatte er sich schon von 2006 bis 2008 einen Namen gemacht – | |
| als Bundeschef der Grünen Jugend. | |
| „Er war kein Nobody“, sagt das grüne Urgestein Reinhard Bütikofer, | |
| ebenfalls EU-Parlamentarier. „Wir suchten damals neue, frische Gesichter | |
| mit Gestaltungswillen.“ Gemeinsam mit Sven Giegold und Barbara Lochbihler | |
| schaffte es Albrecht auf die Europaliste. Er war 26 Jahre jung, | |
| interessierte sich fürs Digitale – also die personifizierte Zukunft. Das | |
| gab den Ausschlag. Außerdem hatte es der als eher links geltende Albrecht | |
| geschafft, auch die Realos im Parteirat und -vorstand zu überzeugen. | |
| ## Auch Mark Zuckerberg lobt Albrechts DSGVO | |
| Neun Jahre später gilt Albrecht als Überflieger – und gehört fast schon zum | |
| Establishment. Alle reden über seine relativ userfreundliche | |
| Datenschutzreform, auch in den USA. Sogar Facebook-Chef Mark Zuckerberg | |
| hatte die Datenschutzgrundverordnung gelobt. Die Europäer hätten „die Dinge | |
| richtig gemacht“, sagte er bei einer Anhörung im US-Kongress. | |
| Das freut den jungen Juristen, der in Berlin, Bremen und Brüssel studiert | |
| hat. Ausgesprochen ärgerlich findet Albrecht, dass Zuckerberg sich keiner | |
| öffentlichen Anhörung im EU-Parlament stellen möchte. „Der US-Kongress | |
| konnte ihn dazu zwingen, wir leider nicht“, sagt Albrecht. Die Befragung im | |
| EU-Parlament findet nun hinter verschlossenen Türen statt. Mit einem | |
| freundlichen Empfang darf Zuckerberg hier nicht rechnen. Albrecht will ihn | |
| auf das umstrittene Geschäftsmodell von Facebook, das auf der Verwendung | |
| von Kundendaten beruht, ansprechen. Es könnte munter werden. | |
| Noch mehr hätte der Grüne sich allerdings über den Besuch eines anderen | |
| Amerikaners gefreut: Edward Snowden. Monatelang kämpfte Albrecht dafür, | |
| Snowden zu einer Anhörung nach Straßburg zu holen, um über die | |
| NSA-Abhöraffäre zu sprechen. Am Ende scheiterte er nicht nur an den USA und | |
| ihrem weltweiten Snowden-Bann, sondern auch am damaligen | |
| Parlamentspräsidenten Martin Schulz – der SPD-Mann wollte sich nicht in die | |
| Nesseln setzen. | |
| ## Geheimdienste als „schwarzes Loch des Rechtsstaats“ | |
| Eine Niederlage war das aber nicht, sagt Albrecht, heute stellvertretender | |
| Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses. Schließlich habe das | |
| Parlament zwei Resolutionen vorgelegt, die die Überwachung durch die | |
| Geheimdienste einschränken sollen. Allerdings beerdigten die EU-Staaten die | |
| Affäre hinterher klammheimlich. „Die nationale Sicherheit hat Vorrang“, | |
| klagt Albrecht. Die Geheimdienste seien ein „schwarzes Loch des | |
| Rechtsstaats“. | |
| Auch beim Datenschutz haben die Regierungen versagt, findet Albrecht. | |
| „Nicht ein einziger Mitgliedsstaat hat den Bürgern und den Unternehmen die | |
| neuen Regeln erklärt, das ist ein Skandal.“ Deutschland hat die | |
| Datenschutzgrundverordnung zwar schon in nationales Recht umgesetzt. Die | |
| Bundesregierung habe jedoch zu wenig getan, um die „Exzesse“ der | |
| Abmahnbranche einzuschränken. Einige spezialisierte Anwälte nutzten dies | |
| nun, um „Panik“ zu verbreiten. | |
| Überhaupt, die deutsche Politik. Im Gespräch mit Albrecht spürt man, wie | |
| sehr sie ihn umtreibt – und aufregt. Viele in Berlin würden sich zwar in | |
| Sonntagsreden zur EU bekennen, sagt Albrecht, doch die „europäische | |
| Perspektive“ sei nicht wirklich vorhanden, „in der Praxis ist doch alles | |
| sehr deutsch“. | |
| Vielleicht kann er jetzt daran etwas ändern: Ab September muss Albrecht | |
| beweisen, dass er nicht nur Fachexperte, sondern auch Minister kann. Dann | |
| wird der grüne Jungstar Ressortchef für Umwelt, Landwirtschaft und | |
| Digitales in der schleswig-holsteinischen Jamaika-Koalition. Mit seinem | |
| Wechsel nach Kiel will Albrecht, der neben dem deutschen auch einen | |
| französischen Pass hat (seine Großeltern leben in der Provence), „Europa | |
| und die Digitalisierung nach Deutschland tragen“. | |
| ## Digitalnerd und Duzminister | |
| Neben seinem Mentor, dem Grünenchef und noch amtierenden Kieler | |
| Umweltminister Robert Habeck („er ist mein Traum-Nachfolger“) zählt | |
| Albrecht auch die Grünen-Kovorsitzende Annalena Baerbock zu seinen | |
| politischen Freunden. Die Erwartung in Kiel ist klar: Albrecht soll hier | |
| weniger den Digitalnerd als vielmehr den volksnahen Minister geben, der | |
| sich nach der Stallbesichtigung mit den Bauern duzt. Wie Habeck. Aber: | |
| Während Habeck als Realo gilt, den auch die Parteilinke schätzt, ist | |
| Albrecht der Grünen-Linke, den auch die konservativeren Teile der Partei | |
| gut finden. | |
| Die meisten Fans hat Albrecht wohl im Norden. Er ist bekennender | |
| St.-Pauli-Anhänger. Dennoch dürfte ihm der Wechsel von Brüssel nach Kiel | |
| nicht ganz leicht fallen. „Ich hätte auch gut in Brüssel bleiben können“, | |
| räumt er ein. Neben der Arbeit im Parlament gefällt ihm das multikulturelle | |
| Flair. Vor allem die Place Flagey im Szeneviertel Ixelles mit dem | |
| Wochenmarkt und den vielen Kneipen wird ihm wohl fehlen. | |
| Doch die Arbeit als Europaabgeordneter hat auch Schattenseiten. Die | |
| EU-Politik sei nicht genug an die Bürger „rückgekoppelt“, findet Albrecht. | |
| Außerdem hätten die Lobbyisten in Brüssel zu großen Einfluss. Allein zur | |
| Datenschutzgrundverordnung wurden dem zuständigen | |
| Parlaments-„Berichterstatter“ Albrecht 4.000 Änderungsanträge eingereicht, | |
| beinahe hätten die Interessenvertreter und ihre Freunde bei den | |
| Europaabgeordneten die parlamentarische Arbeit lahmgelegt. | |
| Ein weiteres Problem: die Mitgliedsstaaten. „Die Intransparenz im | |
| Ministerrat hat mich am meisten heruntergezogen“, sagt Albrecht. In der | |
| Vertretung der 28 EU-Länder gehe es alles andere als offen und demokratisch | |
| zu. „Das ist eine Blackbox“, klagt der Abgeordnete. Die Mitgliedsstaaten | |
| versuchten, unter dem Deckmantel der Diplomatie die EU-Gesetzgebung zu | |
| beeinflussen – oder zu hintertreiben. | |
| ## Praktikum bei der taz Bremen | |
| Auch Deutschland stand auf der Bremse – oft zusammen mit den Briten, die es | |
| mit dem Datenschutz nicht immer so genau nehmen. Doch Albrecht wusste sich | |
| zu wehren – auch durch offensive Öffentlichkeitsarbeit. Wie man mit | |
| Journalisten umgeht, hat er – unter anderem – auch 2005 bei einem Praktikum | |
| in der Lokalredaktion der taz in Bremen gelernt. Über Albrechts Clinch mit | |
| den dunklen Mächten wurde sogar ein Film gedreht. „Im Rausch der Daten“ – | |
| so der Titel – zeigt, wie schwer Demokratie in Zeiten der Digitalisierung | |
| geworden ist. | |
| Albrecht und die damalige EU-Justizkommissarin Viviane Reding „versuchen | |
| das vermeintlich Unmögliche und stellen sich einem harten, fast | |
| undurchdringlichen politischen Machtapparat, in dem Intrigen, Erfolg und | |
| Scheitern so nahe beieinander liegen“, heißt es im Trailer. Auf jeden Fall | |
| zeigt der Film gut, wie spannend, komplex und undankbar EU-Politik sein | |
| kann. | |
| Ob sich Jan Philipp Albrecht im deutschen Politikbetrieb genauso wohlfühlt | |
| wie im europäischen, steht auf einem anderen Blatt. Kiel ist nicht Berlin. | |
| Doch er wäre nicht der erste Europäer, der sich in Deutschland schwertut. | |
| Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, das | |
| Geschäftsmodell von Facebook sei der Verkauf von Kundendaten. Das ist nicht | |
| korrekt: Facebook reicht nach aktuellem Kenntnisstand keine Datensätze von | |
| Kunden weiter. Statt dessen bietet es Unternehmen, Verbänden und Parteien | |
| an, Werbung gezielt auszuspielen, etwa nach Geschlecht, Alter und | |
| Vorlieben, das sogenannte Targeting. Dafür gehen keine Daten an die | |
| Werbetreibenden, sondern der Werbetreibende sagt, an welche Gruppe seine | |
| Werbung gehen soll. Facebook schaltet gezielt Anzeigen. | |
| *** | |
| Teil 1 unserer Datenschutz-Serie: [2][Interview mit der | |
| Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff] | |
| Teil 2 unserer Datenschutz-Serie: [3][Was steht drin im DSGVO?] | |
| Teil 3 unserer Datenschutz-Serie: [4][Auch kleine Firmen beklagen die | |
| Rechtsunsicherheit des neuen Gesetzes] | |
| Teil 4 unserer Datenschutz-Serie: [5][Interview mit dem Verbraucherschützer | |
| Christian Gollner] | |
| Teil 5 unserer Datenschutz-Serie: [6][Porträt des grünen Vordenkers der | |
| neuen Datenschutzgesetze Jan Philipp Albrecht] | |
| Teil 6 unserer Datenschutz-Serie: [7][Das Recht auf Vergessenwerden] | |
| Teil 7 unserer Datenschutz-Serie: [8][Ein Vereinsvorsitzender und eine | |
| Bloggerin sprechen über Nachteile des EU-Datenschutzgesetzes] | |
| Teil 8 unserer Datenschutz-Serie: [9][Kommentar zur digitalen Zeitenwende] | |
| 20 May 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!t5506996/ | |
| [2] /taz-Serie-zum-Datenschutz-in-der-EU/!5504988 | |
| [3] /taz-Serie-Datenschutz-in-der-EU/!5506516 | |
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| [5] /taz-Serie-Datenschutz-in-der-EU/!5506519 | |
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| [7] /taz-Serie-Datenschutz-in-der-EU/!5506518 | |
| [8] /taz-Serie-Datenschutz-in-der-EU/!5506520 | |
| [9] /taz-Serie-Datenschutz-in-der-EU/!5504095 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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