# taz.de -- Verbindungen im Bundestag: Aufbruchszeit für die Burschen | |
> Bis vor Kurzem galten Burschenschaften und Korporierte als politisch | |
> erledigt in Deutschland. Nun steigt ihr Einfluss wieder – dank der AfD. | |
Bild: Früher begünstigte eine Mitgliedschaft höchstens eine Karriere in der … | |
In dem Blatt Der Burschenschafter war man sichtlich stolz. In der ersten | |
Ausgabe nach der Bundestagswahl listete das „Periodikum der Allgemeinen | |
Deutschen Burschenschaft“ die Namen von Bundestagsabgeordneten „aus den | |
Reihen der Burschenschaften“ auf, unter anderen Albrecht Glaser, Enrico | |
Komning, Jörg Schneider und Christian Wirth von der AfD. Insgesamt neun | |
seien es, vier von der AfD, drei CDU-Mitglieder und zwei aus der CSU, | |
darunter der frühere Bundesverkehrsminister Peter Raumsauer (CSU) aus | |
Bayern. | |
„Gegenüber früheren Jahren ist dies schon ein Anstieg“, freuen sich die | |
Autoren. Nicht mitgezählt wurden die Mitglieder anderer | |
Studentenverbindungen, wie Landsmannschaften, Corps, Gildenschaften oder | |
der christliche Wingolfsbund. Experten schätzen, dass rund 40 der derzeit | |
709 Bundestagsabgeordneten Mitglieder von Studentenverbindungen sind – | |
zumeist aus konfessionellen oder zumindest nicht explizit politischen | |
Bünden. | |
Auch ein Blick in die Riege der Mitarbeiter der AfD im Bundestag zeigt: | |
Eine Reihe Mitglieder unterschiedlicher Verbindungen haben dort Arbeit und | |
Einkommen gefunden, darunter mindestens vierzehn Burschenschafter und | |
einzelne aus Landsmannschaften und Corps. | |
Und sie haben so auch Einfluss auf die Bundespolitik gewonnen. Der sei | |
zuletzt „über viele Jahre geschwunden“, die Burschenschafter „wurden | |
politisch marginalisiert“, beklagte Der Burschenschafter. Doch nun gebe es | |
endlich „eine Trendwende“. Der Grund dafür wird offen benannt: der Aufstieg | |
der AfD. | |
Ritualisiertes Saufen war nicht mehr angesagt | |
Der Bedeutungsrückgang von Burschenschafter und Studentenverbindungen in | |
den letzten Jahrzehnten hatte – vereinfacht gesagt – zwei Gründe. | |
Erstens, und zentral: Im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungen, dem | |
Abbau von Bildungshürden und veränderter Elitenrekrutierung schwand die | |
Bedeutung und die Zahl der Mitglieder aller Studentenverbindungen, nicht | |
nur der Burschenschaften. Es war für die Karriere nicht mehr nötig, sich | |
Schmisse ins Gesicht zu schlagen oder nach dem ritualisierten Saufen | |
gemeinsam in den Bierpapst zu kotzen – „Fuxenstunden“ und „Kommerse“ … | |
unter Studierenden nicht mehr angesagt. | |
WGs und Studierendenwohnheime ersetzten das billige Wohnen in den miefigen | |
Verbindungsbuden. Und Job-Portale wie Xing oder Debattierwettbewerbe sind | |
für das berufliche Vorankommen heute zielführender als die Seilschaften der | |
alten Burschenherrlichkeit. | |
Zweitens haben sich die Burschenschaften – trotz aller politischen | |
Unterschiede in den drei burschenschaftlichen Dachverbänden und anders als | |
andere Strömungen der Studentenverbindungen – einen denkbar schlechten Ruf | |
erarbeitet. Vor allem die Deutsche Burschenschaft schien zuletzt politisch | |
erledigt zu sein. | |
„Ehre – Freiheit – Vaterland“ | |
Das offene Bekenntnis zur Mitgliedschaft dort galt höchstens noch für eine | |
Karriere in der NPD oder beim Salonblatt der Rechtsradikalen, der Jungen | |
Freiheit, als förderlich. Erinnert sei an Michael Büge, Staatssekretär für | |
Soziales der CDU in Berlin, der 2013 aufgrund seiner Burschenbiografie | |
gehen musste. Heute ist er, kaum verwunderlich, Mitarbeiter der | |
AfD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz. | |
Dennoch ist die Deutsche Burschenschaft bis heute der größte Dachverband | |
der Burschenschaften. Ein Männerbund mit dem Wahlspruch „Ehre – Freiheit �… | |
Vaterland“, in dem deutsche Gebietsansprüche gegenüber Nachbarstaaten auch | |
nach 1990 noch diskutiert wurden und die Ehre der Wehrmachtssoldaten | |
hochgehalten wird. | |
Traditionell gab es in der Deutschen Burschenschaft immer zwei Flügel: | |
Konservative und offen Völkische oder extrem Rechte. Die DB verstand sich | |
als überparteilich – von der CDU/CSU über die Republikaner bis zur NPD. | |
Über Jahrzehnte störte sich offenbar kaum jemand ernsthaft daran, dass | |
Aktive des Rings Christlich-Demokratischer Studenten im selben Verband wie | |
Neonazis organisiert waren. Nur hin und wieder gab es Skandale, wenn mal | |
wieder irgendwo im Suff der Hitlergruß gezeigt oder ein Holocaustleugner | |
zum Vortrag eingeladen wurde. | |
Der „Arierparagraf“ leitete das Ende ein | |
Doch nachdem der Verband im Jahr 2011 eine Neuregelung seiner | |
Aufnahmekriterien diskutiert hatte, liefen Mitglieder in Scharen davon. Die | |
DB war nicht mehr schicklich, der Ruf ruiniert. Von damals etwa 120 Bünden | |
aus Deutschland und Österreich blieben nur noch 70. Das Ziel der | |
diskutierten Satzungsänderung war es, ein Mitglied mit chinesischen Eltern | |
auszuschließen. Burschenschafter könne nur sein, wer deutsch ist – und das | |
bestimme nicht der Pass, sondern das Blut. Ein „Arierparagraf“ sei das, | |
lautete die einhellige Kritik. | |
Der völkische Kern war nun unübersehbar freigelegt. Für Experten und | |
AntifaschistInnen war zwar schon lange klar, dass der rechte Flügel im | |
Verband über die Konservativen gesiegt hatte, doch nun mussten das auch | |
CDU/CSU und die konservative Presse erkennen, die bis dahin über den | |
rechten Rand des Verbindungswesens lieber geschwiegen hatten. Der Verband | |
verlor seinen konservativen Flügel, Bundestagsabgeordnete und den letzten | |
Bundesminister, denn auch die Burschenschaft von Peter Ramsauer trat aus. | |
Für die Union seien Burschenschaften „unter Merkel“ ein „Tabu“ geworde… | |
bemängelt nun rückblickend die Zeitschrift der Allgemeinen Deutschen | |
Burschenschaft (ADB). Der Dachverband hatte sich im Jahr 2016 in Konkurrenz | |
zur DB gegründet – angeblich weitaus weniger rechts. Doch eine Distanz zur | |
AfD und nach rechts ist auch hier kaum zu erkennen. Ein Beispiel: In der | |
aktuellen Ausgabe schreibt Dieter Stein, Chef der neurechten Wochenzeitung | |
Junge Freiheit. | |
Der ADB freut sich in der aktuellen Ausgabe seiner Zeitschrift. „Erstmals | |
seit Jahrzehnten scheinen Burschenschafter in Deutschland politisch wieder | |
aus der Defensive zu kommen.“ Die Wahlerfolge der AfD hätten „eine ganze | |
Welle von Korporierten in die Parlamente getragen“. | |
Österreich als Vorbild | |
Gerade die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) scheint zu einem | |
Sammelbecken Korporierter geworden zu sein. Ein AfD-Abgeordneter aus dem | |
Landtag von Nordrhein-Westfalen und JA-Funktionär schätzte, dass 20 Prozent | |
der Jugendorganisation zugleich Mitglieder von Studentenverbindungen sind. | |
Vorbild ist für viele von ihnen Österreich. Denn dort sitzen in der | |
regierenden FPÖ seit Jahren völkische Burschenschafter und andere | |
Korporierte fest im Sattel und an den Schalthebeln der Macht – die | |
geknüpften Netzwerke halten. | |
„Die Zeichen stehen auf Aufbruch“, heißt es nun in dem Blatt Der | |
Burschenschafter mit Blick auf die Stärkung von Burschenschaftern und | |
Korporierten in der Politik. Ihr Bedeutungsverlust in der Bundesrepublik | |
war vor allem den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen im Gefolge | |
von 1968 zu verdanken. Die Wahlerfolge der AfD spülen nun erneut Rechte und | |
Reaktionäre aller Couleur in die Parlamente – und drehen so tatsächlich das | |
Rad der Geschichte zurück. | |
Mehr Texte sowie eine interaktive Dokumentation aus dem Rechercheprojekt | |
NetzwerkAfD finden Sie unter [1][www.taz.de/netzwerkafd]. | |
3 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ernst Kovahl | |
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