# taz.de -- Debatte Frauenanteil in der Politik: Lernen durch sanften Zwang | |
> Wahlberechtigt sind mehrheitlich Frauen – doch in den Parlamenten sind | |
> sie unterrepräsentiert. Zeit, Parteien den Geldhahn zuzudrehen. | |
Bild: Blumen im Parlament zum Frauentag sind schön, Parlamentsmandate wären s… | |
In den letzten Wochen kamen zwei bemerkenswerte geschlechterpolitische | |
Nachrichten zusammen. Da war zuerst die Rede von Angela Merkel bei der | |
Jubiläumsveranstaltung der Frauen-Union zum 70-jährigen Bestehen. Merkels | |
Kernaussage war, dass die CDU nicht den „Ansprüchen einer Volkspartei | |
genüge“, weil sie nicht genug Frauen in ihren Reihen habe. | |
Diese für die sonst [1][nie feministisch auftretende Kanzlerin] | |
erstaunliche Einsicht wurde zu einem Zeitpunkt geäußert, zu dem ihre Partei | |
als einzige wenigstens von der Größe her noch den Titel Volkspartei | |
verdient hätte. Da sieht offensichtlich jemand über den Tellerrand der | |
nächsten Wahl weit hinaus. | |
Im Südwesten Deutschlands passierte derweil etwas ganz anderes, etwas | |
Rückwärtsgewandtes. In Baden-Württemberg hatten Grüne und CDU fest | |
verabredet, im Rahmen ihrer gemeinsamen Regierung auch das | |
Landtagswahlrecht zu ändern. Das Bundesland ist hier etwas speziell: EinE | |
WählerIn kann nur eine Stimme in regionalen Wahlkreisen vergeben. | |
Dieses System führte dazu, dass weniger Frauen im Parlament sind, als rein | |
rechnerisch zu erwarten wäre. Baden-Württemberg trägt deshalb, was den | |
[2][Frauenanteil in den Landtagen] angeht, die rote Laterne. Kein Wunder | |
also, dass hier viele Handlungsbedarf sahen. | |
Allein, es kam anders. Obwohl fest vereinbart, kippte die Landtagsfraktion | |
der CDU jetzt das Vorhaben. Zu stark war wohl die Angst der überwiegend | |
männlichen Platzhirsche dort, sich weiblicher Konkurrenz (auch noch mit | |
Erfolgschancen) stellen zu müssen. Die Grünen und auch die | |
baden-württembergische Frauen-Union der CDU maulten darob ein wenig, aber | |
die Machtfrage wollte deshalb dann doch niemand stellen. | |
## Klassisches Mittel für „sanften Zwang“: Geld | |
Dabei gäbe es durchaus Handlungsbedarf: Parteien sollten, da ist Angela | |
Merkel zuzustimmen, die Wählerschaft auch in ihrer Zusammensetzung | |
repräsentieren, sonst wird es, laut Kanzlerin „natürlich immer schwieriger, | |
die Wünsche einer Mehrheit der Bevölkerung auszudrücken, zu artikulieren | |
und zu erkämpfen“. | |
Unter den Wahlberechtigten stellen Frauen seit Langem die Mehrheit, in den | |
Landtagen liegt zurzeit der Frauenanteil jedoch nur zwischen 25 und 41 | |
Prozent und im Bundestag bei 31 Prozent, mit wenig Veränderung in den | |
letzten Wahlperioden. | |
Wenn es aber so schwierig ist, wie Baden-Württemberg erneut gezeigt hat, | |
weibliche Repräsentanz über eine Änderung des Wahlrechts zu erreichen, | |
vielleicht geht es dann besser mit anderen Mitteln, die mehr einem „sanften | |
Zwang“ gleichen? Ein solcher bedeutet, dass eine Partei nicht zwingend der | |
Wunschvorgabe einer Geschlechterparität folgen muss. Aber wenn sie sich | |
verweigert, erleidet sie gewisse Nachteile. | |
Das klassische Mittel für einen sanften Zwang ist Geld. Und das ist im | |
politischen Bereich ein durchaus starker Hebel. Die Parteien in Deutschland | |
sind von der öffentlichen Wahlkampffinanzierung abhängig. Für das aktuelle | |
sogenannte Wählerstimmenkonto haben die Parteien für die jeweils letzten | |
Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen Ansprüche an staatliche Zuflüsse im | |
Umfang von 112 Millionen Euro akquiriert. | |
## Eine einfache Rechnung für die Männer | |
Man könnte hier nun die zusätzliche Vorschrift einführen, dass künftig die | |
Mittel nur dann in voller Höhe ausgezahlt werden, wenn mindestens die | |
Hälfte der so erzielten Parlamentssitze weiblich besetzt ist. Sind es | |
weniger, kommt es zu entsprechenden Abschlägen. Wenn etwa eine Fraktion nur | |
ein Zehntel weibliche Abgeordnete aufweist, dann müsste die Partei | |
entsprechend auf 80 Prozent der ihr zustehenden staatlichen Mittel | |
verzichten, bei zwei Zehnteln auf immer noch 60 Prozent. | |
Solche finanziellen Einbußen würden die Chancen bei der nächsten Wahl | |
erheblich mindern wegen geschrumpfter Budgets für Plakate, Flyer, | |
Veranstaltungen, Anzeigen. Eine solch einfache Rechnung dürften auch die | |
Männer verstehen, die sich sonst automatisch nach vorne drängeln würden. | |
Die Verfassung steht der Einführung einer solchen zusätzlichen Bedingung | |
nicht entgegen. Artikel 3 des Grundgesetzes besagt in Absatz 2 durchaus | |
handlungsorientiert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat | |
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und | |
Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ | |
Und dass die Wahlkampffinanzierung nicht blind gegenüber den Aktivitäten | |
von Parteien sein muss, sondern an Bedingungen geknüpft werden kann, darauf | |
hat das Verfassungsgericht in seinem Urteil zum NPD-Verbot explizit | |
hingewiesen. Bundestag und Bundesrat haben das aufgegriffen und werden der | |
rechtsradikalen Partei die öffentlichen Zuschüsse entziehen. | |
## Ein schönes schwarz-grünes Projekt | |
Jetzt könnte die Zeit gekommen sein, auch gegenüber der zählebigen | |
Geschlechtsdiskriminierung auf dieses Mittel zu setzen, um Parteien zu | |
einer aktiven Gleichstellungspolitik zu animieren. Es hätte noch dazu den | |
angenehmen Nebeneffekt, dass die rechtspopulistische AfD davon besonders | |
betroffen wäre. Denn diese sich neuerdings gern als Frauenrechte-Partei | |
gerierende Partei ist letztlich eine recht männliche Angelegenheit. | |
Das gilt nicht nur für ihre Wählerschaft, sondern auch für ihre | |
Repräsentanten. Der Frauenanteil unter den AfD-Abgeordneten liegt in ihrer | |
Hochburg Sachsen bei 22 Prozent und im Bundestag bei gerade mal 11 Prozent, | |
also erheblich unter den Durchschnittswerten. | |
Nach der baden-württembergischen Klatsche könnten es gut die Grünen sein, | |
die den Vorstoß versuchen, die öffentliche Parteienfinanzierung an eine | |
angemessene weibliche Repräsentanz in den Parlamenten zu koppeln. | |
Vielleicht bemühen sich Annalena Baerbock und Robert Habeck mal um einen | |
Termin bei der Kanzlerin, die ja neuerdings eine gewisse Sympathie für | |
Geschlechtergerechtigkeit im politischen Raum zeigt. | |
Und auch wenn man zunächst sicher mit Übergangsfristen und anderen | |
Abfederungen rechnen muss: Gelänge es, wäre das doch mal ein schwarz-grünes | |
Projekt, das vielen gefiele! | |
27 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Gerd Grözinger | |
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