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# taz.de -- Raser und Poser nerven am Sielwalleck: Mehr Fußball, bitte!
> Jedes Wochenende fahren Vollidioten mit fetten Karren um die Wette und
> verstopfen damit das Sielwalleck. Und die Polizei schaut zu
Bild: Selbst am Donnerstagabend sind Prollkarren am Sielwalleck unterwegs.
Wäre der öffentliche Raum ein Kinderspiel, dann hieße es: „Der Boden ist
Lava“. Wäre der Asphalt tatsächlich Lava, überbrückt nur von Zebrastreifen
und Ampelübergängen: Würde sich irgendetwas an der Art ändern, wie sich
Fußgänger*innen durch die Stadt bewegen? Sie haben ein Minimum an
öffentlichem Raum, müssen ewig an Ampeln warten und sich über enge Gehwege
quetschen, während Autos mehrspurige Asphaltpisten haben, um die Ozonwerte
in die Höhe zu treiben.
Noch immer ist Raumaufteilung in Städten unserer Zeit ganz klar auf das
Auto ausgelegt – kein Ort in Bremen verdeutlicht das so sehr wie die
Kreuzung Sielwalleck im Viertel. Die Aushandlung städtischen Raums ist
dort bereits häufig Gegenstand von Konflikten gewesen.
In lauen Sommernächten wiederholte sich am Eck bis vor ein paar Jahren
öfter ein betrunken-anarchisches Ritual: Nachdem Leute mit ein paar Bier am
Osterdeich gesessen hatten und die Mücken anfingen zu nerven, gingen sie
irgendwann in Richtung Viertel auf der Suche nach mehr Bier,
Ein-Euro-Hotdogs und Kneipen. Praktischerweise gibt es davon reichlich am
Sielwalleck. Auf allen Ecken der Kreuzung cornerte dann eng gedrängt
Partyvolk – fraß, trank und feierte.
Und vielleicht war es gar kein bewusster Kampf um öffentlichen Raum, aber
bis vor ein paar Jahren gab es spätabends regelmäßig öffentliche
Fußballspiele am Eck. Irgendwann schoss jemand einen Fußball quer über die
Straße, die Gegenseite schoss zurück und schon stürmte die auf dem Gehweg
versammelte Mannschaft die Kreuzung, um sich in Zweikämpfen zu messen,
Zielschießen auf offene Fenster zu veranstalten, den Ball hochzuhalten,
kurzum: den Platz in Beschlag zu nehmen.
## Fußball verboten
Die Polizei fand das weniger witzig: Nachdem es bei den friedlichen
Fußballspielen immer wieder zu Verkehrsbehinderungen kam, griff sie zu
rigorosen Mitteln: den Ball einkassieren. Das war tatsächlich ein ums
andere Mal dann doch Anlass für regelrechte Ausschreitungen mit Verletzten
auf beiden Seiten sowie Festnahmen und Anzeigen wegen Landfriedensbruchs.
Dabei flogen nicht selten auch Flaschen auf Polizist*innen.
Unvergessen das Zitat des damaligen Polizeipräsidenten und heutigen
BKA-Chefs Holger Münch: „[1][Wenn wir das Fußballspiel nicht unterbinden,
folgen Lagerfeuer und dann Vandalismus.“] Dazu gab es viel CDU-Aufregung
über die vermeintlich linken und Randale-Fußballspieler*innen – obwohl die
in Folge der Krawalle Festgenommenen eben nicht aus politischen
Zusammenhängen bekannt waren.
Die Polizei begann, präventiv zu patrouillieren – zu besonders bedrohlichen
Zeiten postierte sie gar ein paar Mannschaftswagen direkt in der Nähe der
Kreuzung. Die Botschaft war klar: Fußballspielen verboten, der Raum gehört
den Autos und Straßenbahnen. Etwaige Verstöße wurden schnell und
unverzüglich geahndet.
Wer heute samstagabends am Sielwalleck mit einem Bier in der Hand cornert,
kann das Ergebnis dieser restriktiven Exekutive bewundern: Fette Karren
veranstalten Wettrennen. Nissans mit goldenen Radkappen driften mit
quietschenden Reifen um die Ecke, aufgemotzte SUVs fahren im sogenannten
Kavaliersstart an, um inmitten von Menschenmengen auf 80 zu beschleunigen.
Ein Fahrradfahrer, der aus Richtung Osterdeich noch gerade bei Gelb
rübergehuscht ist, wird fast von einem aggressiv anfahrenden CL-500
umgenietet. Die Reaktion des Mercedes-Fahrers, der fast einen Menschen
totgefahren hätte: Er betätigt ausdauernd seine Hupe und pöbelt. Der Nissan
mit den goldenen Radkappen, der mehrfach über die Kreuzung brettert,
driftet wie im Actionfilm nur einen Meter am prall gefüllten Bürgersteig
vorbei. Nicht auszudenken, was passiert, wenn mal jemand inmitten einer
solchen Aktion auf die Straße torkelt oder der Fahrer beim Driften die
Kontrolle über das schlingernde Auto verliert.
## Prollkarren bleiben in Bremen unbehelligt
Die Bremer Polizei, die auch an diesem Wochenende wieder in der Nähe
postiert ist, scheinen solche Dinge kaum zu interessieren. Dabei fühlen
sich nach [2][Angaben des Umweltbundesamtes] 50 Prozent der Bevölkerung von
Verkehrslärm gestört. Das sei auch in Bremen so, sagt Ralph Saxe,
verkehrspolitischer Sprecher der mitregierenden Grünen. In den letzten
Wochen seien mehrfach Personen mit Beschwerden über rücksichtslose Auto-
und Motorradfahrer auf ihn zugekommen, man müsse sich dringend
ordnungspolitisch darum kümmern, zumal sich die Probleme nicht auf das Eck
beschränkten.
Die Innenbehörde weiß allerdings relativ wenig von Posern und Rasern. Für
eine Bestandsaufnahme erbittet sie mehr Zeit zur Beantwortung. Generell sei
Auto-Posertum in Städten wie Hamburg und Berlin ein größeres Problem als
hier. „Aber wir nehmen Beschwerden wahr und die Polizei hat das auch auf
dem Schirm“, sagt Nesrin Kök-Evcil, eine Sprecherin der Innenbehörde. Ob es
ein zunehmendes Problem sei, könne man gegenwärtig nicht sagen. Die Anfrage
bei der Polizei blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Wie es anders ginge, zeigt Hamburgs Polizei, die auf Nachfrage stolz
verkündet, dass ihre Kontrollgruppe „Auto-Poser“ ein Erfolgsmodell sei. Es
gebe viel Zuspruch von der Bevölkerung, zudem sei die Verkehrslage sicherer
und es würden illegale Rennen verhindert. Seit September 2017
kontrollierten neun für Kfz-Technik fortgebildete Beamt*innen elektrisch
gesteuerte Auspuffklappen und ähnliche Dinge bei 1.761 Fahrzeugen. Sie
beschlagnahmten 204 Prollkarren, erteilten 89 Verkehrsstrafanzeigen,
führten 467 Mängelverfahren sowie 205 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen
unzulässigen Lärms. 35 Fahrer standen unter Drogeneinfluss. Nicht schlecht
für neun Monate.
In Bremen bleiben die getunten Karren Woche für Woche unbehelligt.
Vielleicht wird es mal wieder Zeit für ein Fußballspiel – schließlich sind
die Straßen ja nicht aus Lava.
2 Jun 2018
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5112575&s=Jean-Philipp+Baeck+Sielwall%252A/
[2] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltbewusstsein-in-deutschla…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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Raser
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