| # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Rolletarier, vereinigt euch! | |
| > Der Kampf um die Straße zwischen Auto und Rad eskaliert. Gut so. Wenn | |
| > Richtiges eine Chance haben soll, muss Falsches weichen. | |
| Bild: Keine Illusion: Die Revolution fährt Zweirad | |
| Als Kind war ich großer Western-Fan, begeistert von Winnetou und Old | |
| Shatterhand und „Spiel mir das Lied vom Tod“. Nur die Selbstjustiz passte | |
| mir nicht. Die Maximen „Indianer einfach abknallen“, „Wer schneller zieht, | |
| hat Recht“ und „Pferdediebe einfach an den nächsten Baum hängen“ kamen … | |
| doch sehr barbarisch vor. | |
| Bis zum 15. April. Da kam ich vor die Tür und mein Fahrrad war | |
| verschwunden. Einfach so. Mein schönes, sonnengelbes taz-Dienstrad, zwei | |
| Jahre alt, geklaut trotz eines guten Metall-Faltschlosses. Ohne meinen | |
| treuen Drahtesel fühlte ich mich nackt und verloren im Wilden Westen von | |
| Berlin. Hätte ich den Dieb gehabt, ein Seil und einen Baum, wer weiß. | |
| „Verkehrspolitisch ein gutes Zeichen“, sagte mein Freund L. „Fahrräder | |
| werden in den Metropolen so wichtig, dass sie in großem Stil gestohlen | |
| werden.“ Ist die Herrschaft der Bike-Mafia also das Opfer, das wir alle für | |
| die Verkehrswende bringen müssen? | |
| ## Wenn die Mafia den nachhaltigen Verkehr sabotiert | |
| Jedenfalls kümmert es niemanden, wenn Räder geklaut werden: Die Polizei hat | |
| eine eigene „Internetwache“, wo man den Diebstahl meldet. Vier Wochen | |
| später kommt ein Standardbrief, das Verfahren sei eingestellt. Nur die | |
| Versicherung lässt sich Zeit mit der Erstattung des Schadens. Schon | |
| interessant, wie wenig Aufregung herrscht, wenn das organisierte Verbrechen | |
| den nachhaltigen Verkehr sabotiert. | |
| Dabei ist die Straße derzeit das heißeste Schlachtfeld im Kampf um eine | |
| bessere Zukunft. Den Diesel-Stinkern geht es mit Fahrverboten an den | |
| Auspuff, Falschparker auf der Radspur sollen schneller abgeschleppt werden, | |
| immer mehr Städte wollen Radwege auf der Fahrbahn statt auf dem Gehweg. Der | |
| Konflikt zwischen Zwei- und Vierrädern eskaliert. Das ist furchtbar, denn | |
| das Leben auf der Überholspur fordert viele Tote und Verletzte, und oft | |
| sind Radler und Fußgänger die Opfer. | |
| Aber der Straßenkampf ist wichtig. Denn im Verkehr passiert etwas, das | |
| andernorts nicht funktioniert: Wenn das Bessere, Saubere, Grüne wachsen | |
| soll, muss das Schlechtere, Dreckige, Schwarze verschwinden. Was die Radler | |
| gewinnen, muss man den Autofahrern wegnehmen. Das sorgt für böses Blut bei | |
| denen, die ihre Freiheit in PS berechnen. Aber es ist der richtige Weg. | |
| ## Fahrwege sind ein knapper Rohstoff und umkämpft | |
| Anderswo stellen uns Politik und Industrie nämlich gern mit | |
| Augenwischereien wie vermeintlichen „win-win“-Optionen ruhig: Man könne das | |
| Richtige fördern, ohne dem Falschen weh zu tun. Aber das ist Quatsch: Mehr | |
| Ökostrom heißt nicht, dass die Kohle verschwindet. Mehr Ökobauern führen | |
| nicht dazu, dass die Agrarindustrie weniger Gift spritzt. Mehr | |
| Recyclingtonnen im Hof bringen uns nicht weniger Plastikmüll. Und mehr | |
| ethische Geldanlagen bremsen nicht den Turbo-Kapitalismus. Im Gegenteil: | |
| Die Ökovariante des Falschen führt immer noch zu immer mehr Wachstum und | |
| mehr Problemen. | |
| Das ist auf der Straße anders. Zumindest in den Städten sind Fahrwege eine | |
| sehr knappe Ressource. Jeder Fahrradstreifen nimmt den Autos eine halbe | |
| Spur. Denn Räder gehören auf die Straße, nicht auf den Geh-Radweg, wo sie | |
| um Omas Lumpi und Papas Kinderwagen herumkurven müssen. Amokradler auf dem | |
| Bürgersteig sind genauso asozial wie PS-Raser in der 30er-Zone. Denn | |
| während der Autofahrer der natürliche Fressfeind des Radlers ist, sind | |
| Fußgänger seine geborenen Verbündeten für saubere Luft, ruhigen Verkehr und | |
| eine lebenswerte Stadt. | |
| In Berlin werden wir das am Wochenende wieder demonstrieren. Bei der | |
| traditionellen Sternfahrt des Radclubs ADFC legen 100.000 RadlerInnen die | |
| Stadt lahm. Oder besser: Sie machen sie mobil. Das wird wieder lustig, denn | |
| die Rettung der Welt muss Spaß machen. Es wird politisch, wenn wir uns die | |
| Stadt von den Verbrennungsmotoren zurückholen. Und es wird ein Vorbild für | |
| die anderen Bereiche, in denen eine Revolution nötig ist, sich aber viele | |
| noch mit halbgaren Reformen abspeisen lassen. Wir Rolletarier jedenfalls | |
| haben, wie es schon Karl Marx so schön formulierte, nichts zu verlieren | |
| außer unsere Ketten. | |
| 3 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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