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# taz.de -- Debatte Auswirkung der DSGVO: Jetzt noch mehr wegklicken
> Die Datenschutzgrundverordnung ist eine gigantische Vernichtung von
> Lebenszeit. Sie befördert bürokratische Rituale ohne besondere Wirkung.
Bild: Die DSGVO gestattet es jeden, von Firmen Auskunft über die gespeicherten…
Das Wort „[1][Datenschutzgrundverordnung]“ hat eine ähnliche Wirkung wie
das Fingerschnipsen eines Hypnotiseurs. Sobald es fällt, beschäftigen sich
die meisten Menschen reflexartig mit irgend etwas völlig anderem. 2009 hat
sich keiner dafür interessiert, als die Verhandlungen in den EU-Gremien
begannen. Und auch nicht, als die DSGVO vor zwei Jahren in Kraft trat, aber
wegen einer Schonfrist noch keine Wirkung entfaltete. Erst in den Tagen vor
dem 25. Mai brach Hektik aus.
Vor allem Blogger und Selbstständige fingen an, ihre Webseiten irgendwie
datenschutzkonform zurechtzuzimmern. Viele brüten nun über der Frage, was
für personenbezogene Daten sie eigentlich so erheben und speichern. Die
müssen nämlich bis ins letzte Detail in einem „Verzeichnis von
Verarbeitungstätigkeiten“ aufgeschrieben werden: Jedes erfasste Einzeldatum
will darin verewigt sein mit genauer Angabe, zu welchem Zweck es
gespeichert wird, auf welcher gesetzlichen Grundlage und auch welche
Kollegen für diese Daten zuständig sind. Dazu gehört ein Löschkonzept und
natürlich muss man in der Lage sein, Auskunft zu erteilen, wenn Kunden oder
Geschäftspartner erfragen, welche Daten eigentlich über sie im Unternehmen
vorliegen.
Dabei ist die Datenschutzgrundverordnung so weit gefasst, dass sie alle
möglichen Vorgänge betrifft, die bisher ganz alltäglich und
selbstverständlich abliefen. So rätseln Fotografen gemeinsam mit Juristen
darüber, ob das Kunsturhebergesetz noch gilt. Das gestattete ihnen bisher,
in der Öffentlichkeit zu fotografieren, ohne alle Leute um Einverständnis
zu fragen, die zufällig in der Gegend herumstehen. Sogar eine Visitenkarte
kann ein Fall für den Datenschutz werden, wenn ihr Inhalt nach
Entgegennahme in ein Adressbuch übertragen wird. Klingt absurd, hat aber
ein Sprecher der Berliner Landesdatenschutzbeauftragten bestätigt.
Ein Grund, warum viele sich erst kurz vor Schluss mit der Umsetzung der
DSGVO beschäftigen, war das Gefühl, dass es nur um große Unternehmen gehe.
Das ist nicht so. Schon ein Blog, das über einen rein privaten und
familiären Charakter hinausgeht und sich an die Öffentlichkeit wendet, ist
davon betroffen. Die DSGVO gilt für Webforen von Vereinen und Privatleuten,
in denen sich Menschen über Kochrezepte oder Motorradteile austauschen,
genauso wie für Weinhändler, die eine Kundenkartei pflegen. Letztere auch,
wenn sie gar keine Webseite haben, denn die DSGVO ist „technikneutral“ und
betrifft nicht nur den Computer und die Cloud, sondern auch den
Aktenschrank. Und auch Angestellte sind davon betroffen, die von ihren
Vorgesetzten zur Erstellung von allerlei Dokumenten verdonnert wurden. Als
hätten sie nichts Besseres zu tun.
## Die bürokratischen Pflichten
Dabei hat die DSGVO durchaus ihren Sinn. Sie vereinheitlicht endlich das
bisher zersplitterte Datenschutzrecht in der EU. Sie gibt den Behörden
Mittel an die Hand, [2][Datenschutzverstöße von Facebook oder Google] zu
ahnden und [3][mit empfindlichen Geldbußen zu belegen]. Sie versaut
Datenhändlern vielleicht das Geschäftsmodell. Sie gestattet es jederfrau
und jedermann, von Unternehmen Auskunft über die gespeicherten Daten zu
verlangen – und deren Löschung.
Aber die bürokratischen Pflichten, die Millionen von Menschen jetzt haben,
tragen kaum etwas zu diesen positiven Effekten bei. Niemandem ist geholfen,
wenn mein Klempner ein Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten pflegt.
Niemandem hilft es weiter, wenn neben einer Newsletter-Anmeldung jetzt eine
Datenschutzbelehrung nebst Einwilligungserklärung steht, die beide von
irgendwelchen Webseiten abgeschrieben wurden. Die Zahl an Cookie-Warnungen,
die vor dem Lesen einer Webseite weggeklickt werden müssen, sind noch mal
dramatisch angestiegen, ohne dass klar wäre, wem sie nützen sollen. All
diese Tätigkeiten erinnern an ein bürokratisches Ritual ohne besondere
Wirkung. Die DSGVO ist eine einzige gigantische Vernichtung von Lebenszeit.
Den Betroffenen ist auch unklar, wie sie die DSGVO nun genau einhalten
sollen. So beschwichtigt der „Vater“ der Datenschutzreform, der grüne
EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht, dass niemand Angst vor hohen
Bußgeldern haben müsse, während gleichzeitig der Thüringer
Datenschutzbeauftragte verkündet, ab Montag würden Bußgelder fällig und er
freue sich schon darauf. Immerhin wurde in der Verordnung explizit das
Prinzip von Verhältnismäßigkeit festgeschrieben. Wer belegen kann, nach
bestem Wissen und Gewissen das Datenschutzrecht einzuhalten, dürfte außer
einer Ermahnung nichts zu befürchten haben. Menschen, die mit Behörden
schon andere Erfahrungen gemacht haben, trauen dem nicht so ganz.
Viele Webseitenbetreiber haben ohnehin keine Angst vor Ermahnungen durch
Datenschutzbehörden, sondern vor Abmahnungen. Und die ist nicht ganz
unberechtigt: Schließlich dürfen Betroffene und Verbraucherschutzvereine
sich künftig nicht nur bei einer Aufsichtsbehörde beschweren, sondern
direkt vor Gericht klagen. Und ein Verbraucherschutzverein ist von windigen
Anwälten, die ein Geschäft daraus machen wollen, schnell gegründet. Wie
hoch das Risiko tatsächlich ist, ist derzeit noch völlig unklar. [4][Die
ersten wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen wurden jedenfalls bereits am 25.
Mai verschickt.]
## Verhältnismäßigkeit auch für die Großen
Aber selbst Juristen debattieren weiterhin über die Details der neuen
Verordnung. Die Rechtsunsicherheit dürfte erst in mehreren Jahren durch
Gerichtsurteile einigermaßen behoben sein, wie die
Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff selbst anmerkte. Die 99 Artikel
der DSGVO kommen mit einem Apparat von 173 sogenannten Erwägungsgründen,
die versuchen zu erklären, wie das Gesetz gemeint ist. Hinzu kommt das
reformierte Bundesdatenschutzgesetz, 16 unterschiedliche
Landesdatenschutzgesetze und in ein bis zwei Jahren wohl noch [5][die
E-Privacy-Verordnung]. Dabei ist auch das Wechselspiel mit anderen Gesetzen
zu beachten, zwischen denen abgewogen werden muss, wenn sie der DSGVO
widersprechen. Um etwas mehr Klarheit zu schaffen, arbeiten die Ministerien
an einem Omnibusgesetz, das die Änderungen vieler anderer Gesetze
zusammenfasst. Das ist allerdings auch zwei Jahre nach Inkrafttreten der
DSGVO noch nicht fertig.
Zugleich ist aber alles andere als sicher, ob die DSGVO das erklärte Ziel
überhaupt erreichen kann: Facebook & Co. in die Schranken zu weisen.
Einerseits hat der österreichische Datenschutzaktivist Max Schrems
innerhalb kürzester Zeit mehrere Beschwerden gegen große IT-Konzerne
eingereicht. Andererseits gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit auch für
die Großen. Wenn ein Handwerker oder Blogger ohne Bußgeld davonkommt, weil
er belegen kann, dass er zumindest versucht hat, sich datenschutzkonform zu
verhalten, kann Facebook das mit einem Heer an Juristen und Experten erst
recht.
Vor allem aber dürfte die Verunsicherung dazu führen, dass sich das
Internet noch stärker auf den großen Plattformen konzentriert. Start-ups,
die sich keinen juristischen Apparat leisten können, werden es schwerer
haben, möglichen Investoren hinreichend zu belegen, dass ihr
Geschäftsmodell keine Risiken birgt. Und Blogger, denen Aufwand und
Unsicherheit zu hoch sind, veröffentlichen Gedanken und Kochrezepte künftig
eben auf Facebook. Überhaupt Facebook: Dass der Konzern die Einführung der
DSGVO zum Anlass genommen hat, die [6][Gesichtserkennung auch in Europa
freizuschalten] und künftig die Daten aus WhatsApp mit Facebook abgleicht,
wirkt fast schon wie eine Kriegserklärung. Schwer zu glauben, dass Mark
Zuckerberg und seine Berater nicht wissen, was sie da tun.
1 Jun 2018
## LINKS
[1] /!5508116
[2] /!5505806
[3] /!5506459
[4] https://www.ratgeberrecht.eu/abmahnung/abmahnung-erich-andreas-speck-dienst…
[5] /Datenschutz-im-Netz/!5455587/
[6] /!5507332
## AUTOREN
Enno Park
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