# taz.de -- BSAG-Vorstand über ÖPNV-Tarife: „Preissenkung ist überlegenswe… | |
> Damit mehr Leute auf Bus und Bahn umsteigen, fordert die Bremer Fraktion | |
> der Grünen ein Jahresticket für einen Euro am Tag. Hajo Müller von der | |
> BSAG ist nicht abgeneigt. | |
Bild: Bahnfahren muss nicht teuer sein. Kann Bremen diesbezüglich von Wien ler… | |
taz: Herr Müller, was halten Sie von der Idee, dass die Jahreskarte für Bus | |
und Bahn nur noch 365 Euro kostet? | |
Hajo Müller: Das ist eine schwierige Frage. Erst mal begrüße ich es | |
außerordentlich, dass eine Diskussion angestoßen wird, die den ÖPNV in | |
Bremen stärken soll. Dafür die Tarife zu senken, ist sicherlich sehr | |
überlegenswert. Ich würde das aber etwas einschränken: Der Vorschlag muss | |
sehr gut überlegt sein und kann nicht ohne begleitende Maßnahmen | |
funktionieren. Zunächst muss sichergestellt werden, wie so ein Angebot | |
finanziert wird. | |
Wie könnte so eine Finanzierung aussehen? | |
In der Diskussion ist das Wiener Modell. Die Wiener haben den Preis für ihr | |
Jahresticket auf einen Euro pro Tag gesenkt. Dadurch sinken auch die | |
Einnahmen. Die werden dann an anderer Stelle teilweise gegenfinanziert. In | |
Wien haben sie etwa die Parkraumüberwachung ausgebaut, das Parken teurer | |
gemacht und die Strafe fürs Schwarzfahren auf 100 Euro erhöht. Wichtig ist | |
aber vor allem das Plus an Fahrgästen. Dieses Beispiel zeigt, wie es gehen | |
kann. Der Anteil der PKW am Verkehr hat sich da zwischen 1993 und 2015 von | |
40 auf 27 Prozent verringert – während der Anteil des ÖPNV von 29 auf 39 | |
Prozent gestiegen ist. | |
Lässt sich das denn auf Bremen übertragen? | |
Das wesentliche Erfolgskriterium ist: Man muss so eine Preissenkung | |
wirklich wollen und die Realisierung konsequent angehen. Natürlich hat | |
Bremen andere Strukturen als die Metropole Wien, aber im Nahverkehr lässt | |
sich schon eine Vergleichbarkeit herstellen. | |
Was genau müsste passieren, damit das auch hier klappt? | |
Wir müssten das Angebot ausweiten, die Takte verkürzen und genug Fahrzeuge | |
haben. Unter Umständen muss es mehr Buslinien geben oder sogar mehr | |
Bahnschienen. Das hat zum Teil erhebliche Vorlaufzeiten, daran muss man | |
denken. Nur den Preis zu senken, wäre kontraproduktiv. Der Nahverkehr | |
müsste außerdem eine Vorrangstellung bekommen. Zürich zum Beispiel macht | |
das konsequent: Wenn da Bus oder Bahn an die Ampel kommen, springt die | |
direkt auf grün. Denn nichts ist frustrierender, als wenn die Leute den | |
ÖPNV nutzen wollen und dann kommt kein Fahrzeug oder es steht auch im Stau. | |
Dann fragt sich jeder: Was soll der Quatsch? | |
Das denken sich die Bremer jetzt vielleicht bei den Ticketpreisen. Ein | |
Schüler-Jahresticket kostet 570 Euro, fast doppelt so viel wie in Berlin… | |
Bei dem Vorschlag der Grünen müsste man sich natürlich das gesamte | |
Ticketangebot anschauen und die Preise insgesamt senken, nicht nur den | |
eines Jahrestickets. | |
Den Grünen geht es insbesondere um Umweltschutz. Fühlt sich die BSAG in dem | |
Bereich auch verantwortlich oder geht es Ihnen in erster Linie um | |
Wirtschaftlichkeit? | |
Nein, das definitiv nicht. Wir fahren immerhin schon seit 1892 mit | |
elektrischen Straßenbahnen, was ein wesentlicher Umweltbeitrag seit über | |
100 Jahren ist. Wir fühlen uns in hohem Maße den Klimaschutzzielen | |
verpflichtet. 60 unserer Busse haben bereits den Euro-6-Standard und wir | |
arbeiten sehr stark daran, mehr Elektromobilität zu nutzen. | |
Gab es zu dem Positionspapier Gespräche zwischen der BSAG und den Grünen? | |
Über einige der Inhalte reden wir regelmäßig mit den Parteien, das gilt | |
aber genauso für SPD und CDU. Und es gibt auch immer wieder Anfragen zu | |
Fachfragen. | |
Ist das Ziel, den Anteil des Nahverkehrs auf 20 Prozent zu steigern auch | |
Ihres? | |
Das Ziel ist schon älter, es stand im Verkehrsentwicklungsplan. Da hatte | |
man sich auf 18 Prozent geeinigt, die Grünen haben ambitioniert noch etwas | |
draufgeschlagen. Da sollte aber definitiv nicht Schluss sein. Eine | |
Größenordnung von 25 Prozent ist überhaupt kein Problem. Auch andere | |
Städte, die mit uns vergleichbar sind, liegen bei 19 oder 20 Prozent. Das | |
muss auch für Bremen eine Messlatte sein, die wir immer wieder ein Stück | |
höher legen. | |
Ein weiteres Ziel des Positionspapiers ist es, den Tarifdschungel zu | |
beseitigen … | |
Ja. Ich empfinde die ganzen verschiedenen Tarife als Zumutung für den | |
Kunden. Ich beobachte immer wieder, dass Kunden Schwierigkeiten haben, ein | |
einfaches Ticket von A nach B auszuwählen. Da sind alle Verantwortlichen | |
gefordert, das zu vereinfachen. | |
Könnten Sie als BSAG das nicht einfach tun? | |
Tariffragen sind Verbundangelegenheiten. Ich will nicht die Schuld auf den | |
Verkehrsverbund schieben, wir sind schließlich der größte Partner. Aber wir | |
müssen mit allen gemeinsam eine Lösung finden. Und auf der anderen Seite | |
fordern auch Politikerinnen und Politiker, den Tarifdschungel zu | |
vernichten, wollen gleichzeitig aber Sondertickets für Senioren und | |
Jugendliche, und, und, und. Das ist dann schwierig. | |
Wäre das 365-Euro-Ticket nicht für beides die Lösung: zu teure Tickets und | |
komplizierte Tarife? | |
Es könnte ein sehr guter Einstieg sein und die Menschen überzeugen, den | |
Nahverkehr statt dem Auto zu nutzen – vorausgesetzt, dass parallel die | |
notwendigen Maßnahmen mitentwickelt werden. | |
Wäre in Bremen auch eine Nahverkehrsabgabe denkbar, wie sie die Grünen etwa | |
für Stuttgart fordern? | |
Naja, das wäre eine der Gegenfinanzierungsmaßnahmen zu Preissenkung oder | |
sogar kostenlosem Nahverkehr. Ich halte das unter bestimmten Bedingungen | |
für durchaus überlegenswert, zum Beispiel in Bezug auf die Entscheidung der | |
Europäischen Kommission, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu | |
verklagen, weil wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen. Durch so eine | |
Abgabe könnte man den Anteil des Nahverkehrs in besonders stark betroffenen | |
Städten schnell erhöhen. Das ist aber keine generelle Lösung. | |
Wie geht es nach dem Vorschlag der Bremer Grünen jetzt weiter? | |
Das, was wir als BSAG aktuell planen, machen wir alles nach dem | |
Verkehrsentwicklungsplan, zusammen mit der Stadt. Es ist nicht so, dass wir | |
jetzt vorauseilenden Gehorsam praktizieren. Das können wir auch gar nicht, | |
da brauchen wir erst einen Auftrag. | |
Und bis es den gibt, passiert bei Ihnen erst mal gar nichts? | |
An Teilen dessen, was in dem Positionspapier der Grünen steht, arbeiten wir | |
bereits intensiv, aber Tarifmaßnahmen sind stark davon abhängig, was die | |
Politik entscheidet. Zu dem Positionspapier muss es also zunächst einen | |
politischen Diskurs und dann eine Entscheidung des Senats geben. | |
23 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Milena Pieper | |
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