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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Reich der Blütenträume
> London 2048. Ein Tennisroboter gewinnt Wimbledon. Auf der Tribüne:
> Kronprinz Louis. Allein mit seinen Erinnerungen an eine Traumhochzeit.
Die Beerdigung des Jahres rückt näher. Prinz Louis läuft der kalte Schweiß
den herrschaftlichen Nacken herunter, es hält ihn kaum noch auf dem Sitz in
der letzten Ehrenloge, die ihm und seiner Familie noch geblieben ist. Unten
serviert Arthur Esc, der erste Roboter, der es ins Wimbledon-Finale
geschafft hat, zum Satzgewinn im zweiten Satz auf. 6:3, 5:3. „15:Love“.
Hier in Wimbledon hatten sie sich kennen gelernt damals, Tante Meggi, das
andere noch lebende Mitglied der königlichen Familie, und Onkel Harry
selig, hier in diesem ehrwürdigen Stadion, auf dessen Rasen sich der
rüstige Roger Federer (66) bei „30:Love“ noch einmal ausgiebig dehnt, um
den nächsten gnadenlosen Aufschlag des Roboters Esc entgegenzunehmen.
Im Juli 2016 war das, vor genau 32 Jahren also, da kam Meghan Markle nach
Wimbledon. Natürlich nicht zufällig, nicht einfach so. Nein, arrangiert
wurde der Besuch von Violet von Westenholz, einer Frau, die ihren Namen
ganz zu Recht trug, weil sie nämlich wirklich so hieß. Die
Public-Relation-Frau kannte die als Schauspielerin weitgehend unbekannt
gebliebene Amerikanerin, die von ihren deutschen Fans in weiser Voraussicht
nur „Maggie Merkel“ genannt wurde, aus „beruflicher Zusammenarbeit“, wi…
damals beim Spiegel hieß. Und Harry kannte sie „aus Kindheitstagen“, warum
auch immer – jedenfalls arrangierte sie ein Blind Date, bei dem der Prinz
tatsächlich mit verbundenen Augen und gerade noch so ohne Hakenkreuzbinde
auftauchte, was die damals noch schönere Magic Maggie direkt zum Lachen
brachte. Das Eis war gebrochen, die Traumhochzeit unter dem Motto
„Brautkleid, Gästeliste, Live-Stream“ konnte geplant werden.
Die schöne US-Schauspielerin und ihr Traumprinz, der Enkel der Queen – ein
Märchen wurde kitschige Wirklichkeit und zur großen Reality-Show. Am 19.
Mai 2018 gaben sich Prinz Harry (damals 33) und Meghan Markle (damals 36),
genannt „die Amerikanerin“, vor Freunden und Familie das Ja-Wort, während
Milliarden das Spektakel vor dem Bildschirm verfolgten. Eine royale
Hochzeit der Extraklasse, fast so schillernd wie die hoffentlich bald
kommende „Beerdigung des Jahres“, auf die Prinz Louis und sein ganzes Volk
bereits seit Tagen, Wochen, Monaten, wenn nicht Jahren und Jahrzehnten und
noch viel länger hinfieberten.
## Es waren schöne und unschuldige Zeiten
Ja, das waren schöne Zeiten, damals in den zehner Jahren, Zeiten, an die
sich Prinz Louis natürlich nicht erinnert, jetzt, in der sengenden Sonne
Londons, hier in diesem tropischen Klima. Er war damals noch viel zu klein.
Sein Papa, Prinz William, stand damals in der Blüte seines Lebens, bis ihm
der Hang zum Geschwindigkeitsrausch in viel zu schnellen Autos mehr und
mehr zu schaffen machte. Und die Affären mit den Töchtern der Scheichs.
Auch da folgte er dem Vorbild seiner Mutter Diana. Das waren
ereignisreiche, unschuldige Zeiten, in denen man von den kommenden Dramen
kaum etwas ahnte. Da man dachte, die Thronfolge würde sich schon regeln,
ganz natürlich, die Zeit stünde ja nicht still.
Doch dann kam der Brexit, an diesem schwarzen Donnerstag – ganze zwei
Wochen, bevor sich Maggie the Witch und Prinz Harry zum ersten Mal trafen.
Der Brexit kam und der Scoxit, die Wiedervereinigung Irlands und die
Unabhängigkeitserklärungen der Kanalinseln Jersey und Guernsey wie der Isle
of Man. Inzwischen war schon ein Crowdfunding bei den
Klatschblattleserinnen des Kontinents nötig, um die Royals am Leben zu
halten: Die Labour-Regierung hatte unter den Lasten ihres defizitären
Haushalts 2026 beschlossen, die königliche Familie nicht länger auf
Staatskosten zu alimentieren. Und jetzt war Louis’ kommendes Reich nur noch
ein Zwergenstaat.
Das kommende Reich. „Mein Reich komme“, denkt Louis in einer Art
katholischer Anwandlung, während der rüstige vierzehnmalige
Wimbledon-Sieger Roger Federer mit einem ächzenden Becker-Hecht unten auf
dem Rasen ein letztes Mal ein Re-Break schafft. Mein Reich komme. Mein
Wille geschehe. Denn ja, sie lag endlich im Sterben, die Queen. Uroma
Elizabeth. Die Queen, gleichzeitig Königin und älteste Frau der Welt, die
nicht nur ihren Sohn Charles (Herzinfarkt im Klimawandel-Brutalsommer
2020), sondern ebenso ihre Enkel William (Unfalltod im Tiergartentunnel zu
Berlin im Alter von 36 Jahren), George (Alkohol) und Charlotte (verzichtete
auf den Thron für eine Heirat mit einem muslimischen Pakistani) überlebt
hat, sie liegt nun endlich im Sterben.
„Finally, this is happening to me“, summt der Thronfolger oben auf dem
Oberrang eine kleine Melodie, auf dem Sitz mit der in die Lehne
eingravierten Krone, dem letzten königlichen Sitz in London. Ein sehr, sehr
altes Lied. Der Lieblingssong seiner Mutter.
Auch die Nation bereitet sich allmählich vor. So eine royale Beerdigung ist
schließlich mit sehr viel Aufwand verbunden. Welches Trauerkleid wird
Meghan Markle anhaben? Wer kommt alles zur Beerdigung, und wo wird sie
übertragen? Noch hat niemand die Informationen rund um die große
Beerdigungssause 2048. Aber sie werden bestimmt irgendwann demnächst
irgendwo in irgendeinem Hologramm-Livestream durchgegeben.
Und Meghan hat alles gut eingefädelt. Die Kontakte zum CIA, zum NSA, zu
Präsidentin Chelsea Clinton, sie waren wohl wieder einmal mehr als
hilfreich gewesen. Sie hat wie üblich nichts dem Zufall überlassen.
Patientenverfügung, neues Testament, Schürfrechte im Garten des Buckingham
Palace, zumindest an dem kleinen Flügel, der Louis und ihr noch geblieben
war, die Verhandlungen mit der Arbeiterpartei, alles war wie immer
reibungslos verlaufen.
Die Queen war jetzt 122 Jahre alt. Es wurde Zeit. Sie hat sämtliche Rekorde
gebrochen, die zu brechen waren. Man nannte sie nicht umsonst die
„Methusaqueen“ und verglich sie mit dem Wimbledon-König Roger Federer:
längste Amtszeit, dickste Waden, älteste Frau der Welt. Die Ärzte haben sie
bereits aufgegeben, die Online-Agenturen lassen ihre Drohnen schon seit
Tagen über dem Royal Hospital downtown London kreisen. Alle Welt sieht auf
diese Stadt, das erste Mal seit damals, seit diesem Samstag im Mai 2018!
Und das alles bei dieser unfassbaren Hitze! Louis schwitzt unablässig aus
allen Poren. Und wo kommt jetzt eigentlich dieser merkwürdige stechende
Schmerz im Brustkorb her? Und fühlt sich sein linker Arm nicht auch etwas
taub an? Unten wirft Arthur Esc, der silbern glänzende Roboter, ausgerüstet
von Nasa und Google, ein letztes Mal die gelbe Filzkugel in die Luft. 6:3,
6:3, 5:1. „40:15“ bei eigenem Aufschlag. Zwei Matchbälle. Millionen sind
via Hologrammübertragung live zugeschaltet. Die Queen genießt ihren letzten
Atemzug. Herzogin Meghan von Sussex hat ihr Ziel erreicht.
19 May 2018
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Queen Elizabeth II.
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Bibel
Schwerpunkt Brexit
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Meghan Markle
Deutsche Politik
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Fußball
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