# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Renaissance der Restmoderne | |
> Die Verabscheuung von Nachkriegsbauten gilt nicht für Fernsehtürme. Sie | |
> gelten gar als Wahrzeichen – und machen Technik anschaulich. | |
Bild: Das ist der erste Fernsehturm der Welt. Er wurde 1956 in Stuttgart eingew… | |
Der Fernsehturm in Hamburg soll in fünf Jahren wieder [1][dauerhaft für | |
Besucher öffnen]. Die Deutsche Funkturm GmbH sucht nach einem Betreiber. | |
Auch Dresden hat ernsthafte Bestrebungen, die Besucheretage seines | |
Fernsehturms zu sanieren. Diese Meldungen fallen irgendwie aus der Zeit, | |
denn seit Jahren arbeiten die meisten Städte doch daran, [2][die | |
Restmoderne loszuwerden]. Das ist auch in Hamburg so. Dort wurde erst in | |
diesen Wochen die brutalistisch anmutende Postpyramide abgerissen. | |
Doch komischerweise gilt die Verabscheuung für Nachkriegsbauten nicht für | |
den Fernsehturm. Er steht viel mehr als Wahrzeichen für die jeweilige | |
Stadt. In Berlin und Stuttgart gibt es kaum eine Postkarte, auf der er | |
nicht zu sehen ist. Warum gerade Stuttgart? Dort wurde 1956 der erste | |
Fernsehturm der Welt aus Stahlbeton eingeweiht. Er soll so gut besucht | |
gewesen sein, dass sich die Baukosten durch die vielen Eintrittsgelder nach | |
nur wenigen Jahren amortisiert hatten. | |
Es folgten viele weitere Türme, unter anderem in Dortmund, München, | |
Hannover, Mannheim, Koblenz oder Cuxhaven. Oft bestechen sie durch ihre | |
zentrale Lage, die nicht nur technisch bedingt ist. Bei der Standortwahl | |
ging es auch um Prestige in einer technikbegeisterten Gesellschaft. | |
Ostberlin zog 1968 mit dem bis heute höchsten deutschen Fernsehturm nach. | |
Auch andere Städte in Grenznähe zu Westdeutschland, wie Schwerin, Dequede | |
und Kulpenberg, bekamen in der DDR einen Turm. | |
Man wollte mit Fortschritt protzen. Denn technisch gibt es durchaus | |
unauffälligere Varianten, die Funksignale zu verbreiten. In Frankreich, | |
Großbritannien und den USA beispielsweise sind Fernsehtürme nicht so | |
üblich. Es ist sicher nicht Kaffee und Kuchen im Panoramacafé, die die | |
Fernsehtürme auch heute noch so beliebt machen. In vielen Städten gibt es | |
gar keine Besucheretage. Eher hat es etwas mit der Präsenz der Fernsehtürme | |
im öffentlichem Raum zu tun. | |
## Wie das Internet funktioniert, wissen die meisten nicht | |
Die Infrastruktur des Internets hingegen ist zwar gigantisch, dafür quasi | |
unsichtbar. Rechenzentren oder Knotenpunkte, wie der Frankfurter DE-CIX, | |
stehen zwar in der Stadt, verschwinden aber im Rauschen von Gewerbe- und | |
Industriegebieten. Das liegt auch an der Privatisierung von Infrastruktur. | |
Prächtige Bauten setzten sich die Unternehmen so höchstens selbst. | |
Je unsichtbarer eine Technologie ist, desto weniger wissen die Menschen | |
über sie. Fernsehtürme machen die Technik anschaulich. Dass von der Spitze | |
des Fernsehturms Signale gesendet werden, die man dann zu Hause empfangen | |
kann, versteht selbst meine Großmutter. Wie das Internet funktioniert, | |
wissen die meisten hingegen nicht mal abstrahiert. Nur: irgendwas mit | |
Telefonleitungen. | |
Digitalisierung hat in Deutschland keine Priorität, weder in der | |
Infrastruktur noch in den Köpfen. Und da muss man nicht von repräsentativen | |
Bauten träumen, das zeigt sich bei jeder gescheiterten Suchmaschinenanfrage | |
auf dem Land. Trotzdem wäre ein bisschen mehr Prestige schön. Vielleicht | |
würde die technikbegeisterte Gesellschaft dann folgen. | |
16 May 2018 | |
## LINKS | |
[1] /!5501029/ | |
[2] /!5487648/ | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
## TAGS | |
Nullen und Einsen | |
Fernsehturm | |
Brutalismus | |
Internet | |
Breitbandausbau | |
Architektur | |
Wochenvorschau | |
Nullen und Einsen | |
Nullen und Einsen | |
City-Hof | |
DDR | |
Fernsehturm | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Friede Freude Funkturm | |
In dieser Woche geht am Funkturm nichts mehr, dafür wird an die Loveparade | |
erinnert. Und Neil Young kommt nach Berlin. | |
Kolumne Nullen und Einsen: Rollstuhl statt Mensch | |
Immer wieder gibt ein Konsortium neue Emojis für die digitale Kommunikation | |
heraus. Nur Menschen mit Behinderung kriegt es nicht hin. | |
Kolumne Nullen und Einsen: Die Pinguine helfen auch nicht weiter | |
Ein neuer Fernseher soll her, doch die Kaufentscheidung soll nicht zur | |
Wissenschaft ausarten. Klingt ganz easy? Ist es aber nicht. | |
Geplanter Abriss der City-Hochhäuser: Neuer Diskussionsbedarf | |
Der Internationale Denkmalrat sieht den geplanten Abriss der | |
50er-Jahre-Hochhäuser kritisch: Er beeinflusse das Umfeld des Welterbes | |
Kontorhausviertel negativ. | |
Kolumne Behelfsetikett: Erinnerungen: süß und fruchtig | |
Die Erinnerung kann einen ganz schön trügen. Das betrifft Orte genauso wie | |
Geschmäcker. | |
Fernsehturm soll wieder öffnen: Hamburg von ganz weit oben | |
In fünf Jahren soll Hamburgs Fernsehturm endlich wieder dauerhaft für | |
Besucher geöffnet sein. Wir waren schon mal oben – und zwar | |
bürgermeisterfrei. | |
Zukunft des Hamburger Fernsehturms: Kaffeezeit im Luftschloss | |
Nach 20 Jahren soll der Hamburger Fernsehturm wieder eröffnet werden. Doch | |
hinter den Kulissen verderben zu viele Einzelinteressen das Comeback. |