| # taz.de -- FDP-Politikerin über Polizeigesetz: „Die CSU hat sich vergaloppi… | |
| > Das neue bayerische Polizeigesetz greift zu schnell in Grundrechte ein, | |
| > sagt Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. | |
| Bild: FDP-Politikerin mit Empathie für Grundrechte: Sabine Leutheusser-Schnarr… | |
| taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, am Dienstagabend will der Bayerische | |
| Landtag das umstrittene Polizeiaufgabengesetz verabschieden. Haben Sie | |
| Hoffnung, dass die CSU davor noch kurzfristig einlenkt? | |
| Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Es geht ja nicht um kleine | |
| Korrekturen hier und da. Die ganze Konstruktion des Gesetzes mit dem | |
| Rechtsbegriff der drohenden Gefahr und den daraus folgenden Konsequenzen | |
| steht ja zu Recht in der Kritik. Ich glaube nicht, dass es da noch | |
| nennenswerte Änderungen gibt. | |
| Das Konzept der drohenden Gefahr erlaubt der Polizei, auch ohne konkreten | |
| Verdacht gegen Personen vorzugehen. Ist das der Punkt, der Ihnen am meisten | |
| Sorgen bereitet? | |
| Ja, denn daran hängt eine Fülle von Eingriffsbefugnissen wie | |
| Durchsuchungen, Festnahmen und DNA-Proben. Hier sind viele Maßnahmen | |
| unverhältnismäßig, weil die Anforderungen viel zu gering sind, um so tief | |
| in Grundrechte einzugreifen. Da hilft es auch nicht, dass ein | |
| Richtervorbehalt dabei ist. Das Gesetz ermöglicht schon so viel, dass ein | |
| Richter auch nichts mehr ausrichten kann. | |
| Ihr Parteifreund Gerhart Baum hat schon angekündigt, gegen das Gesetz zu | |
| klagen. Machen Sie mit? | |
| Wir als bayerische FDP wollen auch dagegen vorgehen, und da bin ich | |
| natürlich als Ehrenvorsitzende dabei. | |
| 2016 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass polizeiliche Maßnahmen bei | |
| drohender Gefahr grundsätzlich möglich seien. | |
| Ja, aber nur bezogen auf terroristische Gefährdungen, weil da eben die | |
| freiheitlich-demokratische Grundordnung oder herausragende Rechtsgüter | |
| besonders gefährdet sind. Diese Abwägung wird mit dem bayerischen Gesetz | |
| verlassen. Die Polizei darf schon viel früher tätig werden. Und deshalb ist | |
| das Argument der Staatsregierung falsch, man würde nur Vorgaben des | |
| Verfassungsgerichts 1:1 umsetzen. | |
| Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister, sieht das anders. Er | |
| bezeichnete die Kritik am neuen Gesetz in der vergangenen Woche als | |
| „Lügenpropaganda“. | |
| Das ist so daneben. Ich sehe das als einen Akt der Verzweiflung, weil er | |
| anscheinend überhaupt nicht damit gerechnet hat, dass es in der Sache | |
| berechtigte Kritik gibt. Das ist eine Verunglimpfung aller, die hier | |
| friedlich demonstrieren, und aller Juristen, die sich damit | |
| auseinandersetzen. Es geht nicht um Lügenpropaganda, es geht um sehr | |
| fundierte verfassungsrechtliche Bedenken, und anscheinend hat der | |
| Innenminister den Ernst der Lage nicht erkannt. | |
| Oder die Proteste gegen das Gesetz machen ihn nervös. | |
| Ich glaube, die CSU insgesamt wollte diese Proteste überhaupt nicht ernst | |
| nehmen, und jetzt ist daraus auf einmal eine ganz andere Dynamik | |
| entstanden. Ich denke, die CSU-Staatsregierung hat sich da ordentlich | |
| vergaloppiert. | |
| Mehr als 30.000 Menschen waren letzte Woche in München gegen das Gesetz auf | |
| der Straße. Ich weiß nicht, wann es so etwas das letzte Mal in Bayern gab … | |
| … bei Wackersdorf gab es das auf jeden Fall. Sonst fällt mir im Moment auch | |
| nichts ein. Es ist jetzt bei den Leuten ein Maß erreicht, wo sie nicht mehr | |
| sagen: Na ja, ein bisschen mehr Telefonüberwachung, das muss eben sein. | |
| Hier geht es wirklich weiter. Ohne, dass etwas passiert ist und ohne ganz | |
| konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Anschlag kann man hier | |
| festgenommen werden oder kann digital die Kommunikation durchsucht werden. | |
| Davon kann theoretisch fast jeder betroffen sein, ohne etwas getan zu haben | |
| und ohne etwas davon zu ahnen. Das hat so sensibilisiert. | |
| 30.000 Menschen auf der Straße sind viel, der Großteil der Bayern steht | |
| aber trotzdem noch hinter der CSU. | |
| Natürlich macht die CSU ihre Propaganda, und sie hat im Moment ja auch die | |
| absolute Mehrheit. 30.000 Menschen auf einer Demonstration sind aber ein | |
| nachhaltiges Zeichen. Man muss dafür auf die Straße gehen, man muss sich am | |
| Feiertag Zeit nehmen – das ist mehr, als irgendwo unter einer | |
| Onlinepetition einen Klick zu machen. Das drückt schon aus, dass es ein | |
| breites Grummeln gibt. | |
| Das Grummeln ist das eine. In der breiten Masse hat das | |
| Sicherheitsbedürfnis in den letzten Jahren aber zugenommen. | |
| Bei allem, was Bürger zu Recht als Sicherheitsbedürfnis haben, muss die | |
| Politik ihnen durch ihr Handeln auch die Angst versuchen zu nehmen. Indem | |
| ich aber sage, ich muss eigentlich präventiv am besten alles wissen, hören, | |
| aufzeichnen, weil alles so gefährlich ist – dann schüre ich doch diese | |
| Ängste, und zwar unbegründet. | |
| Nach der Landtagswahl im Herbst könnte die CSU in Bayern einen | |
| Koalitionspartner brauchen. Mal angenommen, rechnerisch könnte das die FDP | |
| sein: Würden Sie Ihren Parteifreunden dazu raten, mit denen zu regieren? | |
| Ich würde auf jeden Fall dazu raten, Sondierungsgespräche zu führen, wenn | |
| ein Angebot erfolgen würde – um dann abzuklopfen, was ginge und was nicht. | |
| Erfahrungsgemäß lässt sich die CSU von kleineren Koalitionspartnern nicht | |
| viel sagen. | |
| Solange sie einen braucht, kann auch ein kleinerer Partner einiges | |
| erreichen. Sondieren und auf entscheidende Punkte, gerade mit Blick auf | |
| Bürgerrechte und Freiheitsrechte zu pochen – das wäre, glaube ich, wirklich | |
| eine Aufgabe, die aller Mühen wert wäre. | |
| In Nordrhein-Westfalen bereitet die schwarz-gelbe Landesregierung derzeit | |
| auch ein neues Polizeigesetz vor. Warum ist das für die FDP dort okay, in | |
| Bayern aber nicht? | |
| Das nordrhein-westfälische Gesetz stellt strengere Anforderungen an | |
| bestimmte Maßnahmen. Die Eingriffsbefugnisse gehen also nicht so weit. Die | |
| Richtung ist aber vergleichbar. Was zum Beispiel bei beiden Gesetzen ein | |
| ganz wichtiger Punkt wäre: Wenn man überlegt, einen Staatstrojaner | |
| einzusetzen, dann braucht man eine Regelung zur Zertifizierung. Bis heute | |
| ist nämlich nicht sicher, ob diese Technik wirklich nur das macht, was | |
| rechtlich erlaubt ist, oder ob sie darüber hinausgeht. In | |
| Nordrhein-Westfalen stehen noch Landtagsanhörungen an und parlamentarische | |
| Beratungen. Dabei können noch Änderungen erfolgen. | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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