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# taz.de -- Restaurantkritik-Serie „Auf die Mütze“ (7): Der Senf vom Gast
> Gastrokritiker, das waren früher Experten in geheimer Mission. Im
> Internet können das nun alle – und Köche in den Wahnsinn treiben.
Bild: Das Internet lässt Köche leiden
Kürzlich kam ein Koch aufgebracht an meinen Tisch und zeigte mir, was ein
Gast über ihn auf TripAdvisor geschrieben hatte. Er sei „unhöflich“ stand
da, „aufdringlich“ zu den Gästen und außerdem hätte „das Essen nicht
geschmeckt“. „So etwas“, schimpfte der Koch, „muss ich mir gefallen las…
weil jeder Idiot im Internet schreiben darf, was er will.“
Abgesehen davon, dass ich das Verhalten des Kochs mir gegenüber als etwas
unhöflich, ja geradezu aufdringlich empfand, weil ich eigentlich in Ruhe
mein durchaus schmackhaftes Essen genießen wollte, musste ich ihm recht
geben. Ob auf TripAdivsor, Yelp oder anderen Bewertungsportalen – im Netz
findet inzwischen das größte und vielleicht auch wirksamste Ranking für die
Gastronomie statt.
Jeder darf seinen Senf dazugeben. Traditionelle Restaurantführer wie
„Michelin“, „Gault&Millau“ oder „Slow Food“ haben ihr
Alleinstellungsmerkmal längst verloren. Aber sind sie deswegen
überflüssig?
Als ich noch nicht diese Kolumnen schrieb, als ich also noch arm und jung
war und mir die aktuelle Ausgabe eines Restaurantführers nicht leisten
konnte, kaufte ich mir im Antiquariat immer die Führer vergangener Jahre.
Ich hoffte, dass der Wirt noch nicht verstorben war und sich auch sonst
wenig geändert hatte. Manchmal hatte ich Glück. Oft stand ich aber auch vor
verschlossener Tür, weil sich zumindest die Öffnungszeiten verschoben
hatten. Das passiert heute niemandem mehr, mit zwei, drei Klicks kann man
sich die Infos über ein Restaurant aus dem Netz holen.
## „Lecker“, „freundlich“, „gerne wieder“
Bin ich irgendwo fremd und hungrig, schaue ich meist auf Google Maps nach
einem Restaurant in der Umgebung. Dort stehen dann ebenfalls „Bewertungen“
durch frühere Gäste, sogar Sternchen darf man da vergeben. Das Personal ist
meist „freundlich“, das Essen „lecker“ und „gerne wieder“.
Mit solchen Angaben kann ich nicht wirklich etwas anfangen. Sie sagen nur
etwas über das Unvermögen der meisten Menschen aus, [1][die richtigen Worte
zu finden]. Vor allem aber wird man oft den Verdacht nicht los, die
Besitzer des Restaurants hätten ihre Bewertungen selbst geschrieben.
Nichts leichter als das: Man bittet Freunde um einen gefälligen Eintrag,
und schwuppdiwupp ist man ein Google-Sternchen höher geklettert.
Die Qualität der Bewertungen steht oft in krassem Gegensatz zur Qualität
des Essens. Das funktioniert auch umgekehrt: So finden sich beispielsweise
auf TripAdvisor auch solche Einträge zu dem derzeit vielleicht besten
deutschen Restaurant, dem Aqua in Wolfsburg, die vor allem etwas über deren
Autoren aussagen. Wenn sich beispielsweise [2][ein Nutzer namens
Flitzekater1 darüber beschwert], dass die Weinpreise „erschreckend hoch“
waren und gleichzeitig mitteilt, dass er sich die Weinkarte gar nicht erst
hatte zeigen lassen, der wird wohl auch schon bei früheren Intelligenztests
durchgefallen sein.
## Wenn der „Inspektor“ kommt
Abseits der großen Portale hält der Trend zum eigenen Gastroblog an. Manche
dieser Blogs lassen schon durch ihren Namen die Denk- und
Geschmacksrichtung ihrer Erzeuger erkennen: [3][sternefresser.de],
[4][restaurantinspektor.com] oder [5][restaurant-kritik.de], wobei die
Seite mittlerweile von Yelp übernommen wurde.
Wer aber als „Inspektor“ auftritt, der wird auch eine Pizza mit dem
Zollstock vermessen, und tatsächlich findet man auf dem Blog so wundersame
Notizen wie: „Die Pizza war rund und cross am Rand.“ Am Rand zum Wahnsinn
muss sich mancher Wirt fühlen, der solche Einträge über sein Lokal lesen
muss. Wehren kann er sich kaum. TripAdvisor versichert zwar, dass man auf
offensichtlich falsche oder unflätige Einträge achtet. Bei weltweit 4,2
Millionen erwähnten Restaurants dürfte das Versprechen aber kaum einlösbar
sein.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband bietet inzwischen seinen
Mitgliedern Schulungen darin an, wie sie auf schlechte Kritik im Netz am
besten reagieren. Dabei werden sie gewarnt, selbst bei offensichtlich
unbegründeter Kritik nicht ausfällig zu werden und immer höflich zu
bleiben.
Es wäre aber ungerecht, alle „Leser-Kritiker“ über einen gebratenen
Schweinekamm zu scheren. Es gibt unter ihnen auch echte Kenner und gute
Schreiber. Einen meiner Lieblingshobbykritiker lese ich immer auf der
Website [6][www.tischnotizen.de]. Dort beschreibt das Schlemmermaul Thomas
Westermann, was er auf seinen Reisen zusammen mit seinem Mann in noblen
Restaurants vorgesetzt bekommt. Und das Resultat ist teilweise gescheiter
als das, was mancher Profi von sich gibt.
## „Sehr geehrter Flitzekater1 …“
Der Saalchef des Aqua in Wolfsburg, Jimmy Ledmazel, hat übrigens für den
Gast, der sich auf TripAdvisor über die hohen Weinpreise beschwerte, eine
Antwort hinterlassen. „Sehr geehrter Flitzekater1“, schreibt er, „mit
großem Bedauern“ habe man diesen Kommentar gelesen. „Wir sind bemüht uns
kontinuierlich zu verbessern, daher würde ich mit Ihnen gerne persönlich
über das Erlebte sprechen, sofern es Ihre Zeit erlaubt.“ Es folgt seine
Telefonnummer.
Über die Höflichkeit des Servicepersonals lässt sich bei einer solchen
Antwort kaum noch diskutieren.
4 May 2018
## LINKS
[1] /!5464680/
[2] https://www.tripadvisor.de/Restaurant_Review-g187357-d1344370-Reviews-Resta…
[3] http://www.sternefresser.de/
[4] http://www.restaurantinspektor.com/
[5] http://restaurant-kritik.de
[6] http://tischnotizen.de/
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
## TAGS
Restaurant
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