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# taz.de -- Restaurantkritik-Serie „Auf die Mütze“ (8): Alles in verräter…
> Muss man kochen können, um Gastronomie-Kritiker zu werden? Ist der Job so
> schön, wie er sich anhört? Und: Wie hört man bloß wieder auf?
Bild: Restaurantkritiker führen ein aufregendes Leben
Manuel Schäffler steht nicht im WM-Aufgebot der deutschen
Fußball-Nationalelf und ich kann es nicht verstehen. Der Mann ist im besten
Fußballeralter (29), und er wurde in dieser Saison Torschützenkönig. Aber
er wird ignoriert. Ein Skandal!
Um Jogi Löws Auswahl zu kritisieren, muss man nicht unbedingt Fußball
spielen können. Es ist vielleicht sogar besser, es nicht zu können. Dann
ist man frei von störendem Faktenwissen, zum Beispiel, dass Manuel
Schäffler nur beim SV Wehen Wiesbaden in der dritten Liga spielt. Fakten
und Meinung vertragen sich nicht gut miteinander. So bin ich fest davon
überzeugt, dass Wladimir Putin irgendetwas mit dem Giftmordanschlag auf
Sergej Skripal in England zu tun hat. Ich kenne zwar die Beweislage nicht,
aber ich fühle einfach, dass der Exgeheimdienstler Putin dahintersteckt.
Jetzt bin ich in den ersten Absätzen dieser Kolumne schon etwas weit von
meiner eigentlichen Frage abgekommen: Ob man nämlich kochen können muss, um
Restaurantkritiker zu werden. Die Antwort lautet: nein. Man muss ja auch
kein Architekt sein, um behaupten zu können, dass Salzgitter hässlich ist.
Wer beispielsweise Florenz gesehen hat, muss eine schon sehr eigenwillige
Definition von Stadtästhetik besitzen, wenn er Salzgitter anschließend noch
schön findet.
So ähnlich verhält es sich mit dem Urteil der Geschmacksnerven: Einmal das
große Menü in der Schwarzwaldstube des Hotels Traube Tonbach in Baiersbronn
gegessen und man ist für immer versaut. Das Leben ist grausam, wenn man
erst einmal erkannt hat, wie viel schlechtes Essen wir essen.
## Mit dem eigenen Restaurant fing alles an
Mir hat kochen können dennoch geholfen, meinen Nebenjob als
Restaurantkritiker zu finden, für den ich von vielen Freunden beneidet
werde. Es fing überhaupt alles damit an, dass ich ein eigenes Restaurant
eröffnet hatte, im Hotel Lou Valen in der Provence. Das war vor vielen
Jahren und nur als Projekt eines Sommers gedacht.
Neben gewissen Erfahrungen im Umgang mit ignoranten Gästen verdanke ich
diesem Experiment auch die Erkenntnis, dass man bei aufwendigem
Wareneinsatz und nachlässiger Kalkulation nicht mal einen Sommer durchhält,
sondern nach drei Wochen pleite ist. Um die finanzielle Schieflage etwas
auszugleichen, schrieb ich damals eine Reportage über mein Scheitern als
Profikoch – und bekam danach die ersten Aufträge als Restauranttester von
einer Gourmetzeitschrift.
Eines meiner ersten zu testenden Restaurants lag im Elsass, und am meisten
beeindruckte mich die Soße, die den Salat mit gebratener Gänseleber
benetzte. Sie schmeckte säuerlich, aber mild, mit einem Anklang von
Liebstöckel. Ich rief den Koch am nächsten Tag an und bat ihn inständig,
mir das Rezept zu verraten. Er zögerte, druckste herum, doch ich blieb
hartnäckig. Schließlich brach es aus ihm heraus, „Maggi“ sei das Geheimnis
dieser Soße, raunzte er, und sonst nichts, und ich möge ihn jetzt bitte in
Ruhe lassen.
Am Anfang machte mir das Testen viel Spaß: Gut essen gehen und dafür auch
noch bezahlt werden. Häufig lud ich eine Begleiterin ein, weil allein am
Tisch zu sitzen, ich mich schäme. Ich denke dann immer, alle anderen würden
denken, ich hätte keine Freunde. Außerdem wollte ich natürlich bei meiner
Begleiterin einen gewissen Eindruck hinterlassen. Es kostete mich ja nicht
mal etwas, die Rechnung beglich die Redaktion, zusätzlich zum Honorar.
Lange Zeit konnte ich dieses Glück kaum fassen. Und ich war stolz, als
eines Tages einer der großen Restaurantführer mich bat, auch für ihn zu
schreiben.
Meinen alten mintfarbenen Fiat Panda parkte ich meist ein wenig abseits der
Restaurants. Er hätte Verdacht geweckt. Nur einmal glaubte ich, als
professioneller Tester erkannt worden zu sein, in einem viel gelobten
Sternelokal im Schwarzwald. Als Zwischengang wurde Hummer mit Apfel und
Blutwurstravioli serviert, und alles schwamm in einer süßen Vanillesauce.
Ich war ratlos.
Mit stoischer Miene stellte der Service den nächsten Teller vor mich hin:
eine Jakobsmuschel mit Tartar von der Ofenkartoffel – in derselben
Vanillesauce. Vorsichtig schaute ich mich um. „Versteckte Kamera?“,
argwöhnte ich, die testen hier vielleicht den Tester. Es war dann aber doch
nur ein Versehen der Küche, das sich in einer tausendfachen Entschuldigung
der Kellnerin auf dem Gnadenwege in Luft auflöste.
Heute ist manches anders. Heute ist vieles anders. Meine Freundin hat
selten Lust, drei Stunden lang in einem steifen Restaurant zu sitzen. Weil
ich deshalb den Besuch der etwa dreißig Restaurants auf meiner Liste, die
ich im Laufe eines Jahres testen darf, aufschiebe, drängen sich die Termine
zum Redaktionsschluss. Dann mussich essen gehen, aber fünfmal in der Woche
gut essen gehen, kann auch zur Strafe werden.
Die Kritik einfach erfinden, geht nicht. Die Redaktion verlangt von mir
eine Rechnung als Beweis meiner Anwesenheit. Dieser Beleg ist allerdings
oft höher als das Honorar und übernommen wird die Restaurantrechnung vom
Verlag schon lange nicht mehr, genauso wenig wie die Anfahrt.
## Konto leer, Tisch gedeckt
Die Zeiten haben sich geändert, im besten Fall komme ich auf null raus. Es
gab Tage, da war mein Konto so leer geräumt, dass die EC-Karte gesperrt
war. Trotzdem saß ich in einem Drei-Sterne-Restaurant und überlegte mir, ob
ich nicht lieber nur eine Suppe und den Nachtisch bestellen und für den
Rest der Kritik auf die Nachbartische schauen solle.
Dies ist die letzte Folge meiner Berichte aus meinem Leben als
Restaurantkritiker. Aus ökonomischer Sicht müsste ich den Job gleich mit an
den Nagel hängen. Ich könnte in der gewonnenen Zeit eine Arbeit verrichten,
die zumindest etwas Geld abwirft.
Warum ich trotzdem weitermache? Ich weiß es nicht. Weder meine Freundin ist
davon beeindruckt noch meine Bank. Vielleicht, weil ich für Kalbsbries mit
frischen Morcheln oder einen Rehrücken mit Selleriemousseline, Kirschgel,
Pauillac-Jus und Sauerrahmknödel viel zu vergessen bereit bin. Vielleicht
aber auch nur, weil ich ein Romantiker bin, weil ich mich weigere, das Ende
dieses Traum einfach anzuerkennen. Und einer muss es ja schließlich tun!
2 Jun 2018
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
## TAGS
Gastronomie
Essen
Auf die Mütze
Restaurant
Auf die Mütze
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