# taz.de -- Restaurantkritik-Serie Auf die Mütze (5): Da ist Geklimper in mein… | |
> Das Auge isst mit. Und das Ohr auch. Deshalb sollte es in der | |
> Gastronomiekritik auch um die Scheußlichkeiten von Interieur und | |
> Beschallung gehen. | |
Würden alle Kellner Waffen tragen, gäbe es nicht so viele Überfälle auf | |
Spitzenrestaurants. Restaurantkritiker und andere Attentäter würden schon | |
im Eingangsbereich von den Kellnern niedergestreckt und könnten ihre | |
grausamen Taten niemals ausführen. Ein Vorschlag, den ich unbedingt noch | |
heute an Donald Trump twittern muss. Immerhin sind Restaurants die gleich | |
nach Schulen gefühlt beliebtesten Anschlagsziele. | |
Als Kritiker hätte ich andererseits hin und wieder auch gern eine Pistole | |
dabei. Ich würde sie einsetzen, um in die Lautsprecher des Restaurants zu | |
schießen und sie zum Schweigen zu bringen. Ganz cool, wie der blinde Cowboy | |
in „Rio Bravo“, der den Pianisten erschießt, weil ihm das Geklimper nicht | |
gefällt. | |
Ich weiß nicht genau, wie viele Saloonpianisten in Westernfilmen | |
mittlerweile erschossen wurden. Aber es sind viele und die Gründe dafür | |
kann ich sehr gut verstehen. Weil ich eigentlich auch nur zum Essen und | |
Trinken gekommen bin und nicht, um Musik zu hören. | |
Nun wünscht man natürlich keinem Menschen den Tod. Nicht mal einem Richard | |
Clayderman, obwohl gerade er große Schuld daran trägt, dass Folter und | |
Essengehen manchmal nicht deutlich voneinander zu trennen sind. In den 70er | |
Jahren war Richard Claydermans Geklimper als Hintergrundmusik noch ein | |
fester Bestandteil in sogenannten guten Speiselokalen. | |
## Bitte fluchtartig das Restaurant verlassen | |
Sollte jemand heute noch Clayderman aus der Box hören: Bitte fluchtartig | |
das Restaurant verlassen, denn der Koch hat in den vergangenen 40 Jahren | |
wahrscheinlich auch küchentechnisch nichts dazugelernt. Inzwischen wurde | |
Clayderman in den meisten Restaurants durch irgendwelche harmlosen | |
Jazzsampler ersetzt. Die sind zwar musikalisch auch nicht viel besser, aber | |
dafür weniger aufdringlich. | |
Ob der Besuch eines Restaurants als angenehm empfunden wird, entscheidet | |
längst nicht mehr nur die Qualität der Speisen. Schon das erste Lächeln | |
oder der missgelaunte Ausdruck am Empfang schafft eine Grundstimmung, auf | |
der die Geschmacksnerven dann nur aufsitzen. | |
Ein grummeliger, aber ehrlicher Saalchef ist mir allerdings lieber als | |
jeder falsch lächelnde Mitarbeiter, der sein Mundwinkeltraining gerade auf | |
der Serviceschulung der Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) | |
erfolgreich absolviert hat. Da möchte man den Schaumlöffel aus der Küche | |
holen und ihn zum Teufel jagen. | |
Kürzlich war ich ganz privat in einem Restaurant, da kam ständig der Koch | |
aus der Küche, um bei mir und allen anderen Gästen sein starkes | |
Mitteilungsbedürfnis zu stillen. Irgendwann fuchtelte er sogar mit dem | |
Smartphone vor meinem Gesicht herum und zeigte mir, was frühere Gäste auf | |
„TripAdvisor“ über sein Lokal gepostet hatten. Sein Essen war gut, aber ich | |
werde da nie wieder hingehen. Aufdringliche Gastgeber sind noch schlimmer | |
als Musik von Richard Clayderman. | |
## Wie bei Tante Margarete | |
Als Kritiker muss ich aber in gewisse Lokale, ob ich will oder nicht. | |
Leider sind da auch welche darunter, deren Einrichtung mich an meine Tante | |
Margarete erinnern, und die hat mir als Kind schon nicht gefallen. Die | |
Einrichtung. Da war alles so plüschig und jeder Zentimeter der Fensterbank | |
und der Ablageflächen war vollgestellt mit irgendwelchem Krimskrams, den zu | |
berühren einen panischen Aufschrei von Tante Margarete zur Folge hatte. | |
Es muss einen Monopolhändler für den gehobenen Gastronomiebedarf geben. | |
Letzten Herbst waren offensichtlich silbern angesprühte Baumzweige im | |
Sonderangebot, überhaupt alles aus Silber und in Blau. In jeder zweiten | |
Gaststätte sah ich die gleichen Dekoartikel, deren Einfallslosigkeit mir | |
auf den Magen schlug, noch ehe der erste Gang serviert wurde. Der war dann | |
auch meist entsprechend langweilig, denn Kochen hat ja durchaus etwas mit | |
Kreativität zu tun. Wer also seinen Gastraum so einrichtet, als habe er | |
sein Schöner-Wohnen-Abo 1972 abbestellt, wird vielleicht gerade noch einen | |
rheinischen Sauerbraten mit Kartoffelklößen fehlerfrei hinbekommen. Aber | |
gut, das ist ja auch eine Leistung. | |
Die Beschreibung des Interieurs eines Restaurants und der Performance der | |
Gastgeber sollte deshalb zu einer umfassenden Gastronomiekritik immer | |
dazugehören. In diesem Punkt unterscheidet sie sich dann vielleicht am | |
deutlichsten von der Kulturkritik anderer Genres. Jedenfalls habe ich in | |
der Besprechung einer neuen Operninszenierung noch nie gelesen, dass das | |
Garderobenpersonal unfreundlich war oder die Polsterung des Sessels zu | |
weich und dass die Farbe des Vorhangs nicht mit den Kostümen | |
korrespondierte. | |
## Ein fensterloser Raum mit Bunkeratmosphäre | |
Nachdem ich in einem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant | |
nur mäßig gut gegessen hatte, und das auch noch in einem fensterlosen Raum | |
mit Bunkeratmosphäre vor schwarzer Stofftapete, fiel die veröffentlichte | |
Kritik entsprechend schlecht aus. Noch am Tag ihres Erscheinens meldete | |
sich der Geschäftsführer beim Verlag und fügte seiner Mail ein Foto bei, | |
auf dem ein Fenster zu sehen war. | |
Vielleicht hatte ich es übersehen, vielleicht war es mit einem Vorhang | |
zugezogen, vielleicht hatte er es in Photoshop eingefügt: egal. Ich war | |
einer falschen Behauptung überführt, und somit konnte auch die Bewertung | |
seiner (mäßigen) Kochkunst nicht stimmen. Denn wer einmal lügt, dem glaubt | |
man nicht. Auch wenn er sonst die Wahrheit spricht. | |
Nur gut, dass ich mich nicht auch noch in der Beschreibung der Musik geirrt | |
hatte. Denn es gab gar keine. Das war das Beste an diesem Abend. | |
3 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
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