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# taz.de -- Restaurantkritik-Serie Auf die Mütze (3): Die Angst des Koches vor…
> Sie kommen unangemeldet zum Essen und lassen sich dann öffentlich darüber
> aus: Restauranttester können Spitzenköche fertig machen.
Bild: „Alles wissen aber nichts können“: Wenn Köche und Kritiker aneinand…
Zum Ende eines jeden Jahres steigt bei vielen Spitzenköchen der Blutdruck.
Dann verteilen die wichtigsten Restaurantführer wie Michelin und
Gault&Millau ihre Sterne und Hauben, gerade war es wieder so weit. Der hohe
Blutdruck ist dabei meist mehr der Angst geschuldet als der Hoffnung. Denn
eine Abwertung von Punkten oder Sternen ist noch schlimmer als das
Sitzenbleiben in der Schule.
Im Grunde ist das ungerecht. Niemand bewertet öffentlich einen Müllmann
dafür, ob er die Tonne mit elegantem Schwung sauber geleert wieder
ordentlich an ihren Platz zurückstellt oder einen Automechaniker, einen
Rechtsanwalt oder einen Schalterbeamten der Deutschen Bahn. Dabei können
auch Schalterbeamte der Deutschen Bahn die Ausübung ihres Berufes so oder
so bewerkstelligen.
Nur bei Köchen, Kunstschaffenden, Sportlern und Politikern scheint es
erlaubt, sie ungestraft vor der ganzen Welt zu blamieren, wenn sie Fehler
machen. Würde man dagegen öffentlich behaupten, Journalist Maier von den
Neuesten Saarbrücker Nachrichten hätte im vergangenen Jahr deutlich
schlechtere Artikel geschrieben als im Jahr zuvor, außerdem sei er bei
seinen Terminen häufig ungewaschen und im selben Pullunder erschienen –
Journalist Maier würde zu Recht zum nächsten Amtsgericht laufen und eine
Klage wegen Verleumdung einreichen. Wahrscheinlich bekäme er recht.
Köche haben zu ertragen, was andere über sie sagen. Der Journalist Jay
Rayner schrieb einmal im Guardian über das 3-Sterne-Restaurant „Le Cinq“ in
Paris. Zur Vorspeise wurde ihm ein Canapé serviert, eine Art belegtes
Brötchen. Es sehe aus „wie ein Brustimplantat aus Silikon für eine
Barbiepuppe“ und schmecke „nach abgestandener Luft mit einem Hauch Ingwer�…
Seine Begleiterin zitierte Rayner mit den Worten: „Das ist, wie in ein
Kondom zu beißen, das bei einem gammeligen Obsthändler liegen geblieben
ist.“
## Wer klagt, ist ein schlechter Verlierer
Protestieren oder gar klagen lässt die Köche nur als schlechte Verlierer
dastehen. Wie den Besitzer eines veganen Imbisses in Berlin, der nach einer
[1][Kritik im Tagesspiegel] zurückbellte, er werde der Journalistin beim
nächsten Treffen [2][„Pommes in die Visage stopfen“].
Aber so reagiert auch nur ein Imbissbudenbesitzer. Echte Edelgastronomen
schlucken ihren Ärger über eine schlechte Kritik hinunter oder fressen sie
in sich hinein. Viel zu abhängig sind sie vom öffentlichen Urteil der
Testesser. Das geht mitunter nur so lange gut, bis der innere Druck zu groß
wird, bis irgendetwas platzt und wenn es nur der Kragen ist. Bei den
Sensibleren unter den Spitzenköchen kann das tragisch enden. Im Februar
2003 beging der 3-Sterne-Koch Bernard Loiseau aus dem Burgund Suizid. Kurz
zuvor war er in einem der großen Restaurantführer herabgestuft worden.
Im November 2013 saß ich zusammen mit Eckart Witzigmann, der zum
„Jahrhundertkoch“ gekürten lebenden Legende, in einem der besten
Restaurants der Welt, dem „L’Hôtel de Ville“ im schweizerischen Crissier,
nicht weit vom Genfer See. Das Urteil Witzigmanns kann keinem Chef egal
sein und Küchenchef Benôit Violier kochte für den deutschen Gast, als ginge
es um sein Leben.
Violier hatte das Lokal erst vor Kurzem übernommen und war mit drei
Michelin-Sternen ausgezeichnet worden, doch der finanzielle Druck lastetet
schwer auf ihm. Und auch die Verantwortung für seine 40 Mitarbeiter. Wir
aßen gesäuerte Rosinen zur Foie gras – Gänsestopfleber – und
Kaisergranathummer.
## Verzweifelter Kampf um Anerkennung
Aber der Gang, an den ich mich besonders erinnere, war das Ungewöhnlichste,
was ich bis dahin gegessen hatte. Vor uns lag eine winzige kleine Schale,
die sich als die Hirnschale einer Waldschnepfe entpuppte. Und in der
ausgekochten Hirnschale befand sich das gekochte Gehirn der Waldschnepfe,
so groß wie drei Stecknadeln. Da saß selbst der große Witzigmann ergriffen
vor dem Teller und sagte nur das eine Wort: „Reschpekt“. Mir tat der Koch
damals leid, weil mir dieses Gericht als die pure Verzweiflungstat eines
Mannes vorkam, der nur das Eine ersehnte: Anerkennung.
Rund zwei Jahre später war Violier tot. Auch er hatte sich das Leben
genommen, weil er dem Druck nicht mehr standhielt. Wahrscheinlich ist es
wohl doch gesünder, die Enttäuschung über eine schlechte Kritik – und sei
es auch nur die Angst davor – in Aggression gegenüber den Kritikern
umzuwandeln.
Das konnte der Koch der Köche, der Franzose Paul Bocuse, hervorragend.
„Eunuchen“ seien das, die seine Kochkünste bezweifeln, „die alles wissen
aber nichts können“. Es muss ja nicht so weit gehen, wie ein
Restaurantbetreiber im Süden von Wales, der Anfang dieses Jahres einem Gast
nach dessen Beschwerde eine Handvoll Chilipulver in die Augen warf.
Doch keine Sorgen, das Verhältnis von professionellen Testern und Köchen
ist in Wirklichkeit gar nicht so spannungsgeladen. In der Mehrzahl aller
Fälle wird gebauchpinselt und gelobhudelt, wo es gar nichts zu bauchpinseln
und lobhudeln gibt, weil der Koch und sein Kritiker sich entweder gut
kennen oder voneinander profitierten.
Man darf es sich natürlich nicht so profan vorstellen, dass Köche für eine
gute Kritik bezahlen. Es ist eher eine Kumpanei zum gegenseitigen Vorteil.
Etwa, wenn Köche sich von Gourmetjournalisten als gut bezahlte Ghostwriter
ihre Kochbücher schreiben lassen. Oder wenn sie einer Redaktion für ihre
Weihnachtsfeier kostenlos Essen und Trinken servieren. Ganz ohne
Hintergedanken, versteht sich.
8 Feb 2018
## LINKS
[1] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/essen-trinken/berliner-imbisse-im-te…
[2] https://www.facebook.com/AttilaHildmannOfficial/posts/1776160932425897
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
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