# taz.de -- Tierschützer vs. Zirkuslobby: Jagdszenen in Bassum | |
> In roher Gewalt gipfelte in Niedersachsen der Konflikt zwischen | |
> Zirkusbetreibern und Tierschützer*innen. Letztere fordern seit | |
> Jahrzehnten ein Wildtierverbot. | |
Bild: Kürzlich in München: Teilnehmer*innen einer Demonstration vor dem Circu… | |
BREMEN taz | Mit einer Latte sollen Angehörige des Familienzirkus Granada | |
in Bassum eine Bremerin im Beisein ihrer Tochter krankenhausreif geschlagen | |
haben. Der Vorfall ereignete sich am vergangenen Samstag etwa 600 Meter | |
entfernt vom Zirkus auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Von dort wollten | |
Mutter und Tochter gemeinsam mit anderen Tierschützer*innen zum rot-gelben | |
Zelt des in St. Peter-Ording ansässigen Unternehmens aufbrechen, um an | |
einer Mahnwache teilzunehmen. | |
Aufgerufen hatte die Tierrechtsorganisation Animals United, die bundesweit | |
gegen die Tierhaltung in Zirkussen mobil macht. Deren Aktivist*innen haben | |
ein Video auf Facebook gepostet, das die Jagdszenen in Bassum festhält – | |
und ihre Angaben [1][stützt.] „Es geht uns nicht um den einzelnen Zirkus, | |
und schon gar nicht um den Direktor, der Mann ist uns völlig egal“, sagt | |
Viktor Gebhardt, Präsident der Organisation. „Uns geht es um das Thema der | |
Tierhaltung – und um die Transporte.“ | |
Im krassen Widerspruch dazu stehen die Angaben von Zirkusdirektor Karl | |
Lauenburger. Er fühlt sich persönlich attackiert. „Keiner von uns hat eine | |
Latte in der Hand gehabt“, sagt er. | |
Zwar habe es Handgreiflichkeiten gegeben, als er kurz vor der Vorstellung | |
noch einmal Zigaretten holen war – und ja, er sei anschließend von der | |
Polizei in Gewahrsam genommen worden. Die Gewalt sei jedoch von den | |
Tierschützer*innen ausgegangen. Die hätten ihn und andere Zirkusangehörige | |
bedroht und ihn sogar daran gehindert, den Supermarkt zu betreten. Die | |
Frau, die Kopfverletzungen und ein Hals-Wirbelsäulen-Trauma davontrug, „ist | |
bloß in mich reingelaufen“, behauptet Lauenburger. | |
Zirkusse und Tierschützer*innen sind seit Jahrzehnten im Clinch. Es geht um | |
ein sogenanntes Wildtierverbot, das auch die Bundestierärztekammer seit | |
Langem [2][fordert]. Die Zirkuslobby hält mit einiger Erbitterung daran | |
fest, nicht-domestizierte und exotische Tiere halten, abrichten und | |
vorführen zu dürfen. | |
Das Aktionsbündnis „Tiere gehören zum Circus“ konnte bundesweit immerhin | |
59.400 Unterstützer*innen zur Unterschrift bewegen. Bisheriger Höhepunkt | |
der Kampagne war eine Kundgebung am 4. November 2017 in Stuttgart gewesen. | |
„Rund 70 Zirkusbefürworter“ hätten dort „für den Erhalt des vollständ… | |
Zirkus mit Tieren“ demonstriert, berichtet das Aktionsbündnis in einem | |
offenen Brief an die neue Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) von | |
dem Erfolg. | |
Das Aktionsbündnis forderte Klöckner auf, den deutschen Sonderweg | |
fortzusetzen. In den meisten Staaten Europas ist das Wildtierverbot längst | |
Standard. Auch eine Mehrheit der Bundesländer hätte es schon 2016 gern | |
eingeführt. Bloß hat sich der Bundestag geweigert, den Bundesratsbeschluss | |
auch zu adoptieren. | |
Folge: Der Zirkus geht weiter, die Abrichtung der Tiere zu Show-Zwecken und | |
ihr strapaziöser Transport von Tourneestandort zu Tourneestandort bleiben | |
erlaubt. Ein Verbot sozusagen von unten zu erzwingen, ist kaum möglich. So | |
war der Versuch der Stadt Hameln, es kommunal durchzusetzen, vergangenes | |
Jahr letztinstanzlich vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg gestoppt | |
[3][worden]: Es würde Bundesrecht einschränken und das Grundrecht auf | |
Berufsfreiheit verletzen, so die Begründung. | |
## Minimale Kontrollbefugnisse | |
Minimal sind die Kontrollbefugnisse der unteren Ordnungsbehörden: Bei | |
drastischen, akuten Verstößen gegen Tierschutznormen dürfen die | |
Veterinärämter einschreiten oder bei akuter Seuchengefahr. Für eine | |
fachliche Kontrolle beispielsweise der Transportbehälter fehlt ihnen | |
mindestens rechtlich, im Umgang mit exotischen und seltenen Arten wohl oft | |
auch fachlich die Kompetenz. „Der Landkreis Diepholz hat alles geprüft“, | |
sagt Zirkusdirektor Lauenburger. „Wir erfüllen jeden Standard.“ | |
Überhaupt: Er sieht sich als Opfer von Mobbing, und er spricht von | |
Rassismus. Tatsächlich sind die Lauenburgers eine berühmte Sinti-Familie. | |
Vor allem im Raum Düsseldorf gab es etliche Schausteller, Seiltänzer, | |
Akrobaten des Namens. „Meine Onkel wurden in Bergen-Belsen umgebracht“, | |
sagt Lauenburger und stößt ziemlich harte Beschimpfungen gegen den Anmelder | |
der Mahnwache in Bassum aus. Der stalke ihn, sagt Lauenburger, dem gehe es | |
nur darum, ihn fertig zu machen, „weil ich mich leicht errege“. | |
Tatsächlich hat der Eklat in Bassum eine Vorgeschichte, und auch hier passt | |
das, was der Zirkusdirektor erzählt, nicht zu dem, was dokumentiert ist: | |
Angemeldet worden war die Aktion in Bassum vom Syker Tierrechtsaktivisten | |
Peter Hübner. „Ich bin durch Bekannte auf das Gastspiel dort aufmerksam | |
gemacht worden“, sagt er der taz. Am Vormittag noch war er bei einer | |
Mahnwache gegen den Vion-Schlachthof in Emstek gewesen, mit Aktivist*innen | |
aus Hamburg, Kiel, Bremen, Hannover und Osnabrück. „Ich bin von dort aus | |
direkt nach Bassum gefahren.“ | |
## Kampagne fürs Wildtierverbot | |
Hübner war einmal Schlachter gewesen. Irgendwann hat er den Blick der | |
zusammengepferchten, verängstigten Tiere nicht mehr ertragen können. Er hat | |
den Beruf hingeschmissen, hat umgeschult, das Angeln aufgehört, das Reiten, | |
das Fleischessen, und jetzt kämpft er für Tierrechte. Gewaltfrei betreibt | |
er seit Jahren in Nordwestdeutschland eine [4][bundesweit] beachtete | |
Kampagne fürs Wildtierverbot. „Wenn ein Zirkus, der Wildtiere mit sich | |
herumschleppt, hierherkommt“, hat er der taz im Herbst erklärt, „muss er | |
auf eine Gegendemo gefasst sein.“ | |
Manchmal lasse man indes kleinere Unternehmen unbemahnwacht, weil es | |
wichtiger sei, „die großen Zirkusse mit Wildtierhaltung über mehrere | |
Stationen zu begleiten“: So ist er von Juli (Oldenburg) bis November | |
(Hamburg) dem Circus Voyage hinterhergereist, der laut Eigenwerbung „die | |
größte tierische Show“ bietet. Im Juni hatte der Betrieb für Schlagzeilen | |
gesorgt, weil er in Berlin [5][scharfe Hunde gegen Polizisten und | |
Amtstierärzte] losgelassen hatte. Sich selbst sieht er in den Top Ten der | |
deutschen Zirkusunternehmen. | |
Circus Granada dagegen, das ist bloß eine Großfamilie, neun Leutchen, ein | |
paar Pferde, Esel, Ziegen plus Alpakas. Zurecht weist Lauenburger darauf | |
hin, dass Hübner & Co ihn seit Dezember auf dem Kieker hätten, seit vier | |
Monaten: „So viel Schaden hat uns noch nie jemand bereitet.“ Es ist seine | |
Existenz, sein Leben, und wenn die bedroht ist, was bleibt dann, als wild | |
um sich zu schlagen? Er fühle sich „allein gelassen von den Behörden“, sa… | |
Lauenburger. Vielleicht ändert sich das ja. | |
## Angriff auf Mahnwache | |
Denn wahr ist auch: Bereits im Dezember war eine erste Mahnwache in | |
Buchholz angegriffen worden, schon beim Aufbau. Die Demonstrierenden waren | |
verprügelt, die Wachstuchbanner mit bloßen Händen zerrissen worden, und als | |
die Polizei endlich Ruhe hergestellt hatte, postierte sich der | |
Zirkusdirektor drohend im Zelteingang, die große Peitsche in der Hand, ließ | |
sie immer und immer wieder knallen: “Kommt her“, hat er geschrien. „Ich | |
mache euch alle fertig.“ | |
Auch danach war es Lauenburger, der den Konflikt befeuert hatte, via | |
Facebook: „wir können uns ja mal treffen wie Männer weil du bist ja kein | |
Mann du bist ein pädophiles Schwein“, bietet er Hübner an. „dann können … | |
uns ja mal hauen weil von mir könntest du eine Ohrfeige bekommen dann Platz | |
dein Pädophiler Darm.“ | |
Ein Post endet mit besten Wünschen zur guten Nacht „und träume schön von | |
mir wir ich dir mit zehn Liter Benzin die etwas warm mach das du mein süßer | |
nicht frierst küssen die rohe Gewalt in liebe grüße Karl Lauenburger“. Das | |
hat er offenbar wirklich geschrieben: „Ich war besoffen“, sagt Lauenburger, | |
„ich wusste nicht was ich schreibe“, eigentlich sei er Analphabet, da habe | |
er die Kontrolle über die Wörter nicht. Eine etwas dürftige Erklärung. | |
Ende März wurden bei Hübner in der Siedlung Plakate aufgehängt: Ein aus dem | |
Netz gezogenes Porträtfoto, groß kopiert, darunter in ähnlicher Diktion und | |
Orthografie wie die Facebook-Einträge: „ist ein PÄDOPHYLER KINDERSCHÄNDER�… | |
Bei der Klebeaktion beobachtet worden ist ein Auto, das dem Circus Granada | |
zugeordnet werden konnte. Hübner, klar, hat Anzeige gestellt. Gegen | |
unbekannt. | |
13 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/AnimalsUnited.eV/videos/vb.163319610356168/1776785… | |
[2] http://www.bundestieraerztekammer.de/index_btk_presse_details.php?X=2012022… | |
[3] http://www.oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformat… | |
[4] https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/tiere-im-zirkus---das-ist-sehr-s… | |
[5] https://kleineanfragen.de/berlin/18/11317-circus-voyage-wie-kam-es-zum-angr… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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