# taz.de -- Experte zur Zunahme von Antisemitismus: „Es müssen Handlungen fo… | |
> Viele erklären den zunehmenden Antisemitismus mit der Migration von | |
> Muslimen. Zu einfach, erklärt der Leiter der Recherche- und | |
> Informationsstelle Antisemitismus. | |
Bild: Gewaltaufrufe gegen Jüdinnen und Juden sind leider keine Seltenheit | |
taz: Herr Steinitz, überrascht Sie der [1][Angriff auf einen israelischen | |
Staatsbürger im Stadtteil Prenzlauer Berg]? | |
Benjamin Steinitz: Der Angriff hat mich zutiefst schockiert, weil er die | |
Gewaltförmigkeit von Antisemitismus und wie er sich gegen Personen richten | |
kann, die mit einer Kippa durch Berliner Straßen laufen, deutlich zeigt. | |
„Überrascht“ ist vielleicht zu viel gesagt, weil eine deutlich | |
gewaltförmige Sprache, Gewaltaufrufe gegen Jüdinnen und Juden keine | |
Seltenheit sind. Dass es hin und wieder zu Ausübung von Gewalt kommt, ist | |
eigentlich nur eine logische Konsequenz dieser Entwicklung. | |
Sie sind in Kontakt mit den beiden betroffenen Personen. Wie geht es ihnen | |
gerade? | |
Sie sind sehr müde, weil sie sehr lange auf der Polizeiwache waren. Es geht | |
ihnen den Umständen entsprechend. So eine Gewalterfahrung begreift man erst | |
mit Abstand. Sie versuchen jetzt, irgendwie weiterzumachen. Einer der | |
Betroffenen arbeitet gerade auch schon wieder. Und einer von ihnen hat | |
leichte Verletzungen von dem Angriff davongetragen. | |
Der Täter soll während des Angriffs „Yahudi“, auf Arabisch „Jude“, ge… | |
haben. Es gibt Stimmen, die den zunehmenden Antisemitismus mit der | |
Einwanderung aus muslimischen Ländern erklären. Was sagen Sie dazu? | |
Wir können nicht feststellen, dass sich die Taten durch einen Zuzug von | |
Muslimen unmittelbar verändern oder zunehmen. Studien zeigen aber, dass | |
Medien, staatliche religiöse Akteure und Bildungseinrichtungen in den | |
arabischen Herkunftsländern von Geflüchteten zum Teil antisemitische und | |
auch israelfeindliche Einstellungen nicht nur tolerieren, sondern | |
befördern. | |
Es kann deshalb durchaus von einer niedrigeren Hemmschwelle bei | |
Geflüchteten aus diesen Ländern ausgegangen werden, antisemitische | |
Äußerungen zu tätigen oder entsprechende Handlungen durchzuführen. Aber man | |
muss auch verstehen, dass die hier ankommenden Geflüchteten auf bestimmte | |
problematische Akteure treffen, wie Vereinigungen der islamistischen | |
Muslimbrüderschaft oder von türkischen Nationalisten, die ganz konkret | |
antisemitische Deutungen für den Nahostkonflikt anbieten. | |
Welche Rolle spielt die rechte Stimmungsmache deutscher Akteure? | |
Genau auf die eben genannte Gruppe wollen rechtspopulistische Akteure den | |
Fokus lenken. Damit wollen Mitglieder der AfD etwa die Grenzen des Sagbaren | |
mit Blick auf Erinnerungspolitik und Sicherheit jüdischen Lebens | |
verschieben. Das Problem Antisemitismus wird hier externalisiert und nicht | |
als eine Wechselbeziehung der verschiedenen Faktoren verstanden. So müssen | |
sie über andere Probleme des Antisemitismus in unserer Gesellschaft weniger | |
sprechen und können Antisemitismus für ihre Agenda instrumentalisieren. | |
Zahlreiche Politiker haben den Angriff in Prenzlauer Berg verurteilt, so | |
auch der Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD). Gibt es eine | |
Diskrepanz zwischen Worten und Handlungen? | |
Den Appellen müssen Handlungen folgen. Aber erst mal ist es natürlich | |
wichtig, dass es nach solchen Taten eine öffentliche Verurteilung durch die | |
Politik gibt. Andererseits muss man schauen, welche konkreten Schritte nun | |
folgen können. Auf Bundesebene hat man jetzt den Antisemitismusbeauftragten | |
eingesetzt. Auf Länderebene muss es eine stärkere Verzahnung von Maßnahmen | |
geben, auch der Austausch mit Polizeibehörden muss verbessert werden. Dass | |
man das, was wir in Berlin machen, auch in den anderen Bundesländern | |
braucht, ist offensichtlich. | |
Was müsste noch passieren? | |
Auch müssen Angebote für Aufklärung an Schulen, bei der Ausbildung von | |
Lehrern und in der Jugendarbeit gestärkt werden. Es geht aber nicht nur um | |
Jugendliche, sondern auch um Erwachsene. Wir können all das aber nicht nur | |
auf den Staat schieben, sondern müssen als Zivilgesellschaft und | |
demokratische Akteure selbst eine entsprechende Haltung annehmen und | |
Stellung beziehen. Schließlich ist es auch wichtig, die „Arbeitsdefinition | |
Antisemitismus“ bei Polizei und Justiz zu etablieren. | |
Was ist die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“? | |
Sie wurde 2005 von einem internationalen Zusammenschluss jüdischer und | |
nichtjüdischer Organisationen als inhaltlicher Leitfaden für | |
zivilgesellschaftliche Organisationen, Justiz- und Polizeibehörden | |
entwickelt. Wichtig ist, dass die Arbeitsdefinition kein Legalbegriff für | |
Antisemitismus ist, sondern als Orientierung dienen und für zeitgenössische | |
Formen des Antisemitismus sensibilisieren soll. | |
Was gehört alles zu dieser Definition? | |
Dazu gehört israelbezogener Antisemitismus; so kann auch der Staat Israel, | |
der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe | |
sein, aber auch wenn einzelne Jüdinnen und Juden in Deutschland für die | |
Handlungen des Staates Israel verantwortlich gemacht werden. Wenn etwa dem | |
israelischen Staat dabei das Existenzrecht abgesprochen wird, er mit | |
Nazi-Deutschland verglichen oder als rassistische Unternehmung dämonisiert | |
wird. Oder Formen des Antisemitismus, die auf Verschwörungsideologien | |
basieren, die davon ausgehen, dass Jüdinnen und Juden im Geheimen Macht auf | |
Medien und Politik ausüben würden. | |
Was ist das Problem, wenn die Definition nicht erweitert wird? | |
Man kann sagen, dass die Arbeitsdefinition Facetten des Antisemitismus | |
fasst, die nicht immer den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. | |
Der Antisemitismusbegriff von Polizei und Justiz ist nach wie vor zu sehr | |
vom Blick auf den historischen Antisemitismus im Nationalsozialismus, auf | |
Holocaustleugnung sowie auf eine positive Bezugnahme auf die Jahre | |
1933–1945 geprägt. Das tun abgesehen von Neonazis und Holocaustleugnern die | |
wenigsten. Wenn das vor Gericht die Referenz für aktuellen Antisemitismus | |
ist, dann haben wir quasi keinen Antisemitismus. | |
18 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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