| # taz.de -- Debatte Antisemitismus in Schulen: Die vielen Quellen des Judenhass… | |
| > Woher kommt Judenfeindlichkeit? Nur wer sich dies fragt, kann | |
| > Antisemitismus wirksam bekämpfen. PädagogInnen übergehen antisemitische | |
| > Äußerungen zu oft. | |
| Bild: Bei der Bekämpfung von Antisemitismus wirkt der Schulalltag oft kontrapr… | |
| Prügeln oder beleidigen sich SchülerInnen, greifen LehrerInnen meist ein. | |
| Machen auf dem Schulhof allerdings krude Verschwörungstheorien die Runde, | |
| in denen „die Juden“ als die Strippenzieher des Weltgeschehens benannt | |
| werden, hören so manche lieber weg – weil sie nicht wissen, wie sie | |
| reagieren sollen. Dabei müssen PädagogInnen nicht auf allen Themenfeldern | |
| über Kompetenz verfügen, um eines zu tun: eine klare Haltung zu vermitteln. | |
| Denn eines muss zentraler Grundsatz der schulischen Arbeit sein: | |
| Antisemitismus ist Antisemitismus. Sowenig wie es „nur ein wenig schwanger“ | |
| geben kann, gibt es auch nicht „ein wenig antisemitisch“. Es gibt keine | |
| annehmbare Begründung für Antisemitismus. Das gilt im Übrigen auch für | |
| Rassismus, Frauenverachtung und alle anderen Ideologien der | |
| Ungleichwertigkeit. | |
| Eine entschiedene Demonstration der eigenen Haltung reicht aber nicht aus. | |
| Denn es ist eine Kernaufgabe der Schule, gewaltorientierten und | |
| menschenverachtenden Einstellungen entgegenzuwirken. Und um geeignete | |
| Präventionsmaßnahmen gegen Antisemitismus zu entwickeln, ist es notwendig, | |
| die individuellen ideologischen Motivationen, die psychischen Dispositionen | |
| und die diversen Lebenswirklichkeiten der AntisemitInnen zu kennen – sie | |
| also zu verstehen. Dieser professionelle Zugang nicht nur der Pädagogik | |
| darf nicht als Verharmlosung von „Antisemitenverstehern“ diffamiert werden. | |
| Er ist der Erkenntnis geschuldet, dass sich Antisemitismus aus einer | |
| Vielzahl von Quellen speist – folglich muss auch seine Bekämpfung in der | |
| politischen Bildung, der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, der | |
| Strafverfolgung und der Pädagogik viele Wege einschlagen. | |
| In Deutschland bezieht sich der klassische Antisemitismus in der Regel auf | |
| die ideologischen Versatzstücke des Nationalsozialismus. Im Rahmen der | |
| pädagogischen Arbeit gegen Rechtsextremismus gibt es erprobte Ansätze, | |
| Materialien und Methoden, diesem Antisemitismus zu begegnen. Allerdings | |
| gehören die meisten AntisemitInnen gar nicht dem rechten Rand an, sondern | |
| kommen aus der Mitte der Gesellschaft. | |
| Im Moment stehen Geflüchtete aus dem arabischen Raum im Fokus der Debatte. | |
| Durch ihren biografischen Bezug zum Nahen Osten sind sie, oft schon seit | |
| frühester Kindheit, geprägt von Medien, die die Feindschaft gegen den Staat | |
| Israel propagieren. Wir wissen, dass eine auf die Politik Israels zielende | |
| Kritik in handfeste antisemitische Feindbilder umschlagen kann. Es ist | |
| zudem nicht damit zu rechnen, dass sich solche antisemitischen Haltungen | |
| kurzfristig auflösen werden. Denn es geht schließlich nicht um einen | |
| historischen Konflikt, sondern um aktuelle politische und militärische | |
| Auseinandersetzungen. | |
| Ein solcher israelbezogener Antisemitismus aber überfordert die meisten | |
| PädagogInnen. Ihre Reaktionen schwanken dann zwischen Extremen: Den einen | |
| erscheint der 12-jährige Schüler, der wirr über Israel redet, als | |
| potenzieller Islamist, andere dagegen übergehen antisemitische Äußerungen | |
| im Bemühen, nicht muslimfeindlich oder rassistisch zu erscheinen. | |
| Wer in dieser Situation wirksame Maßnahmen gegen Antisemitismus entwickeln | |
| möchte, muss ein paar Ausgangsbedingungen berücksichtigen. Beleidigungen | |
| wie „Schwule Sau!“, „Du Jude!“ oder „Scheißkanaken!“ sind täglich… | |
| Schulhöfen zu hören. Sie sind Ausdrucksformen von Ideologien der | |
| Ungleichwertigkeit: Diese unterscheiden Menschen nach persönlichen | |
| Merkmalen, fassen sie in homogene Gruppen zusammen, hierarchisieren sie und | |
| leiten daraus die Legitimation ab, bestimmten Gruppen die Menschenwürde | |
| abzusprechen. Dabei gilt: Die meisten Opfer von Diskriminierung gehören | |
| Minderheiten an. Aber sie können auch TäterInnen sein. Eine homophob | |
| diskriminierte lesbische Frau kann muslimfeindlich sein, ein antisemitisch | |
| angefeindeter Jude sexistisch oder rassistisch und so weiter. | |
| Bei der Bekämpfung von Antisemitismus wirkt der von Konkurrenzdruck und | |
| Ausgrenzungserfahrungen geprägte Schulalltag oft kontraproduktiv und | |
| schafft Frust. Einen als schmerzhaft empfundenen Mangel an | |
| Selbstbewusstsein sollen die „Ersatzdroge“ Überlegenheit und die Ausübung | |
| von Aggressionen ausgleichen. Im Schulalltag gilt es deswegen, zu | |
| vermeiden, was das Selbstbewusstsein der Kinder und Jugendlichen schwächt, | |
| und auszubauen, was ihr Selbstwertgefühl stärkt. | |
| Dazu kommt, dass keine noch so ausgeklügelte Einzelmaßnahme allein | |
| Diskriminierungen an Schulen nachhaltig entgegenwirken kann. Deswegen kann | |
| es nicht den Workshop gegen Antisemitismus geben, der die Probleme | |
| wegzaubert. Auch Antidiskriminierungs- und Antisemitismusbeauftragte auf | |
| Bundes-, Landes- oder Schulebene können unterstützen, sie allein werden | |
| aber die Probleme nicht lösen. Ebenso ist für Schulleitungen eine | |
| Meldepflicht bei antisemitischen Vorfällen auf ihre praktischen | |
| Konsequenzen hin zu überdenken: Was folgt danach? | |
| ## Bündel von Maßnahmen | |
| Was in der Schule gebraucht wird, ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen, also | |
| ein multidimensionaler Präventionsansatz. Damit sind Interventionen auf | |
| vielen Ebenen gemeint, die das Schulklima prägen: organisatorische und | |
| personelle Ressourcen, Kommunikationstraditionen, fachliche und | |
| pädagogische Kompetenzen der Lehrkräfte. Eine gute Schule nimmt | |
| menschenverachtende Ideologien laufend wahr und motiviert und qualifiziert | |
| SchülerInnen, sich nachhaltig für Gleichwertigkeit und Menschenrechte | |
| einzusetzen. Was sich so leicht dahinschreibt, ist in Wahrheit eine | |
| Riesenaufgabe. | |
| Nur wenn das Umfeld Diskriminierung ächtet, statt darüber hinwegzusehen, | |
| wird sich Antisemitismus an Schulen nicht ausbreiten. Es kommt also in | |
| erster Linie darauf an, dass eine von allen Schulmitgliedern getragene | |
| Null-Toleranz-Haltung gegenüber Menschenfeindlichkeit nicht nur erklärt und | |
| gelehrt, sondern auch tatsächlich gelebt wird. | |
| 24 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Sanem Kleff | |
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