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# taz.de -- Innovationsjournalismus vernachlässigt: Ein Phantomressort
> Die Unterstützung von Innovationen ist ein Schwerpunkt in der
> EU-Forschungsförderung. In den Medien ist darüber wenig zu erfahren.
Bild: Produktionsstraße bei VW in Wolfsburg: Ohne Innovationen haben die Herst…
Berlin taz | Frühjahrsempfang in der Berliner Zentrale der
Leibniz-Gemeinschaft, der fünftgrößten Forschungsorganisation des Landes.
Der EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Carlos Moedas,
ist Mitte März aus Brüssel gekommen und hält eine wichtige Rede über das
kommende 9. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union, das stark auf
die Förderung von Innovationen setzen will. Es geht um mehr als 100
Milliarden Euro. Später besucht er die neue deutsche Forschungsministerin
Anja Karliczek. Einiges los ist in der Forschungs- und Innovationspolitik.
Die deutsche Öffentlichkeit erfährt nichts davon, zumindest nicht über die
Medien. Kein Journalist hält das Event in seiner Tagesberichterstattung für
erwähnenswert, das Thema Innovationspolitik schon gar nicht.
„Man kann sich schon wundern, dass eine zentrale Weichenstellung in der
europäischen Forschungspolitik für die nächsten Jahre so wenig Beachtung
findet“, ist später die Reaktion von Leibniz-Präsident Matthias Kleiner.
„Das wird der Tragweite des Themas für die Wissenschaft nicht gerecht.“
Dabei ist Deutschland eines der innovationsstärksten Länder weltweit, liegt
in den Rankings meist auf einer der ersten fünf Positionen. Die Bedeutung
von Innovation – der Übertragung von Forschungserkenntnissen in die
wirtschaftliche Anwendung – nimmt immer weiter zu. Im Journalismus, in den
deutschen Medien, bildet sich das jedoch nicht ab. Es gibt keinen
Innovationsjournalismus in Deutschland. Warum ist das so?
Andreas Schümchen kennt vielleicht die Antwort. Er ist seit dem Jahr 2000
Professor für Journalistik an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und bietet
dort die Studiengänge Technikjournalismus/PR und Technik- und
Innovationskommunikation an. Am Montag hat das neue Semester begonnen, zu
dem sich 15 neue Studierende eingeschrieben haben. „Innovationsthemen
fallen durch das Raster des Ressortdenkens in den Redaktionen“, lautet
Schümchens Erklärung. Für die Wirtschaftsredaktion ist Innovation zu
theoretisch und forschungslastig. Für die Wissenschaftsredaktion zu
anwendungsnah.
„Innovationsjournalismus ist ein mühsames Kapitel“, so seine Erfahrung.
„Innovationskommunikation funktioniert dagegen besser“ – etwa als
PR-Beilagen in den Zeitungen. Geld ist der Treiber, Innovation als
Geschäftszweck.
„Einen klar abgrenzbaren Innovationsjournalismus kann ich kaum erkennen“,
sagt Michael Carl von der Leipziger Zukunftsagentur 2b AHEAD ThinkTank
(„vorne sein“), die auch schon Innovationskonferenzen für den Berliner
Senat veranstaltet hat. Und er fügt kritisch hinzu: „Ich bin auch nicht
sicher, ob er tatsächlich fehlt.“ Die Zukunft, findet Carl, „hat in der
deutschen Medienlandschaft einen viel zu geringen Stellenwert und kaum
einen kräftigen Fürsprecher.“ Die Journalisten begnügten sich „mit der
Aufbereitung spannender Forschungsergebnisse und einzelner neuer
Geschäftsmodelle“. Vernachlässigt würden die „technologischen
Entwicklungssprünge“, wie Künstliche Intelligenz oder Autonomes Fahren,
„die Wünsche, Bedürfnisse und Normalitäten der kommenden Jahre bestimmen
werden“.
So wenig wie in den Medien, so wenig hat der Innovationsjournalismus auch
in der Wissenschaft reüssieren können. Internationaler Promotor auf diesem
Feld war der schwedische Wissenschaftler David Nordfors, der 2003 sein
Konzept eines „Innovation Journalism“ veröffentlichte und in den
Folgejahren an der kalifornischen Stanford University eine internationale
Konferenz für Innovationsjournalismus veranstaltete. Sie fand achtmal
statt, zuletzt 2011, an der auch Schümchen teilnahm. Schümchen versuchte
dann, das Konzept nach Deutschland zu übertragen, und hob – mit der
Logistiktochter der Deutschen Post DHL als Sponsor – den „Deutschen Preis
für Innovationsjournalismus“ aus der Taufe (3.000 Euro Preisgeld). Dreimal
wurde er seit 2012 vergeben, unter anderem für Reportagen über
Kunstfleisch, dann hatte der Sponsor das Interesse verloren. Eine
innovative Fortsetzung wurde nicht gefunden. Schümchen: „Wir hatten damals
überlegt, statt Personen innovative Projekte auszuzeichnen.“
Überlebt hat bis heute die wichtigste deutsche Auszeichnung für
Technikjournalismus, der „Punkt“-Preis der Akademie für
Technikwissenschaften Acatech (5.000 Euro). Die Anzahl der Bewerbungen hat
sich von 68 im Jahr 2008 auf 151 in 2016 bei den Textjournalisten mehr als
verdoppelt. Weitere Kategorien sind Foto (2017: 87) und Multimedia (44).
Bei den Inhalten „stehen Technologien im Vordergrund, beispielsweise in den
Bereichen Erneuerbaren Energien, Industrie 4.0 oder Big Data/IT/Internet“,
teilt Acatech der taz auf Anfrage mit. „Die gesellschaftlichen und
innovationspolitischen Implikationen werden davon ausgehend erörtert“.
Allerdings: „Der Anteil an Einsendungen, die sich ausschließlich mit
innovationspolitischen Rahmenbedingungen beschäftigen, ist gering.“ Die
Innovationspolitik, ein Residualthema.
## In bester Gesellschaft
Ungeachtet ihrer Förderaktititäten hat die acatech-Akademie aber auch ihre
Probleme mit dem deutschen Innovationsjournalismus. Die Jahresevents im
Berliner Schauspielhaus finden, anders als früher, heute kaum noch
Beachtung in den Medien. Besonders frappierend: Nicht einmal der Auftritt
des Staatsoberhaupts im Oktober 2016 – Joachim Gauck hielt die Festrede zum
Robotikthema „Mensch und Maschine – in bester Gesellschaft?“ – wurde in…
Medien gewürdigt. Dabei wären kritische Bemerkungen eindeutig angesagt
gewesen. Auch hier wieder: die redaktionelle Organisation – das
Politikressort geht nicht zur Wissenschaft, das Wissenschaftsressort
macht keine Politik – verhindert gesellschaftliche Innovationsdebatten.
Ähnlich ergeht es den Jahresberichten der Expertenkommission Forschung und
Innovation (EFI) und dem von ihr mitveranstalteten „Forschungsgipfel“,
einer Highlevel-Veranstaltung zur Innovationspolitik in Deutschland, die am
kommenden Dienstag erneut in Berlin stattfindet. Der Leiter der
EFI-Kommission, Dietmar Harhoff, Direktor am Münchner Max-Planck-Institut
für Innovation und Wettbewerb, sieht zwar einen Pfeil nach oben, wenn er
bemerkt: „Generell hat die Berichterstattung zu Innovationsthemen in den
letzten Jahren deutlich zugelegt und ist detaillierter und fachkundiger
geworden.“ Aber sie reiche „in Tiefe und Umfang noch nicht an die
Berichterstattung in den USA heran“, ergänzt Harhoff, der regelmäßig Gast
im Silicon Valley ist. „Es gibt noch viel Luft nach oben.“ Die
Berichterstattung über die bisherigen Forschungsgipfel, die neben der
EFI-Kommission die Nationalakademie Leopoldina und den Stifterverband für
die Deutsche Wissenschaft als Mitveranstalter haben, bewertet Harhoff mit
den Worten: „Fair, konstruktiv-kritisch, aber nicht sehr ausführlich.
Über wesentliche Themen in einigen Diskussion wurde nicht berichtet.“
Und wie könnte aus Harhoffs Sicht die Situation des Innovationsjournalismus
verbessert werden? „Es gilt, die Akteure aus Politik, Wissenschaft und
Medien öfter zusammenzubringen und die zum Teil komplexen Themen noch
transparenter und leichter fassbar zu machen“, antwortet der
Wirtschaftsprofessor. Die Wissenschaft müsse „aus dem Elfenbeinturm
heraustreten“ und in ihre Prozesse und Systeme mehr Einblick geben.
Harhoff: „Aber die Journalisten müssen sich auch auf den Diskurs
einlassen.“ Der Forschungsgipfel nächste Woche kann als Probe aufs Exempel
gelten.
14 Apr 2018
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Innovation
Forschungsförderung
Medien
Journalismus
Transformation
Forschungspolitik
Sprunginnovation
Forschungsförderung
Fraunhofer
Automatisierung
Innovation
Forschung
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