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# taz.de -- Netflix-Verbot in Cannes: Kino und Internet? Zwei Paar Schuhe
> Cannes bleibt Cannes, ändern will man nichts. Die Festivalleitung hat nun
> Netflix-Filme vom Wettbewerb ausgeschlossen. Richtig so?
Bild: Cannes' roter Teppich ist sehr beliebt; auch Netflix nutzte ihn gern zu W…
BERLIN taz | Es gilt als frauenfeindlich, elitär, versnobt, launisch,
anachronistisch, deutschen Produktionen gegenüber eher abgeneigt – und
erfreut sich doch großer Beliebtheit, Jahr für Jahr. Die Rede ist vom
Filmfestival von Cannes, einem der wichtigsten Festivals weltweit. Manche
sagen gar, es sei das Festival schlechthin.
Thierry Frémaux, der künstlerische Leiter, hat nun ein Zeichen gesetzt, das
manche als mutig und wegweisend, andere als aus der Zeit gefallen
bezeichnen. Nein, es geht nicht um das Verbot von Selfies am roten Teppich
– peinlich seien die, ärgert sich Frémaux, doch ab diesem Jahr sei Schluss
damit! Es geht um den Ausschluss von Netflix-Produktionen aus dem
Hauptwettbewerb, also aus dem Rennen um die Goldene Palme.
[1][Im vergangenen Jahr] liefen zwei Netflix-Produktionen im
Hauptwettbewerb – „Okja“ von Bong Joon-ho und „The Meyerowitz Stories�…
Noah Baumbach. Während der Vorführung von „Okja“ kam es zu Buh-Rufen, als
das Logo von Netflix zu Beginn aufleuchtete. Dann gab es auch noch
technische Probleme, so dass die Vorstellung kurzerhand unterbrochen wurde.
Dennoch kamen beide Filme beim Publikum recht gut an. Bei der
Preisverleihung gingen sie aber leer aus. Dafür hatte Jury-Präsident Pedro
Almodóvar gesorgt. [2][Ein Film, der nicht mal im Kino laufe, komme in
seinen Augen nicht für die Goldene Palme infrage.] In Frankreich haben es
beide Filme nicht ins Kino geschafft, obwohl sich Frémaux mit Nachdruck
dafür eingesetzt hatte. Netflix hatte eingewilligt, den Streifen zeitgleich
mit der Internet-Freigabe in ausgewählten französischen Kinos zu zeigen,
allerdings weniger als eine Woche lang.
Ein gleichzeitiger Start ist mit dem französischen Gesetz allerdings nicht
kompatibel. Dieses sieht vor, dass ein Film erst drei Jahre nach seinem
Kinostart auf Streaming-Plattformen gezeigt werden darf – man nennt das
„die französische Ausnahme“. Netflix wiederum wollte nicht drei Jahre
warten, bevor es den Film selbst zeigt.
Christophe Tardieu, Leiter der staatlichen Filmförderanstalt CNC, nannte
die Netflix-Taktik dem New Yorker gegenüber [3][„die perfekte
Repräsentation von US-amerikanischem Kulturimperialismus“]. „Ich bedauere
Netflix' Einstellung, die eine komplette Unnachgiebigkeit zeigt“, sagte er,
„sowie die Weigerung, die französische Ausnahme zu verstehen und zu
akzeptieren.“
Rückblickend sagte Frémaux [4][in einem kürzlich erschienenen Interview mit
dem Magazin Le Film français]: „Letztes Jahr bei der Auswahl dieser zwei
Filme glaubte ich noch, Netflix überzeugen zu können, einem Kinostart [in
Frankreich] zuzustimmen. Das war anmaßend von mir.“ Sein Fazit? „Die
Geschichte des Kinos und des Internets, das sind zwei paar Schuhe.“
In Südkorea, der Heimat des Regisseurs von „Okja“, sind die Gesetze nicht
ganz so streng: Dort müssen nur drei Wochen Abstand eingehalten werden
zwischen Kinostart und Freigabe auf der Streaming-Plattform. Doch auch
daran wollte sich Netflix nicht halten: Zeitgleich sollte „Okja“ dem
Online- und Kino-Publikum zur Verfügung gestellt werden. Daraufhin
schlossen sich die Betreiber der größten Kinoketten zusammen und
protestierten – erfolgreich: „Okja“ lief nur in ein paar Indie-Kinos. Viel
Geld hat er in Südkorea nicht eingespielt.
Wie sich Frémaux‘ Entscheidung auswirken wird, wird sich erst noch zeigen.
Noch ist unklar, ob das Festival von Cannes es sich erlauben kann,
aktuellen Entwicklungen einen derart starken Riegel vorzuschieben –
beziehungsweise ob es sich mit dieser rigiden, ziemlich konservativ
anmutenden Politik mittel- bis langfristig als eines der wichtigsten
Festivals weltweit behaupten können wird.
## Konsequent oder rückwärtsgewandt?
Die Reaktionen fallen sehr gemischt aus. Die einen finden den Ausschluss
konsequent und sind der Meinung, dass Frémaux der Tradition des Kinos ein
Zeichen setze, ja vielleicht sogar zur Rettung der Branche beitrage. Die
anderen ärgern sich über seine vermeintliche Rückwärtsgewandtheit und
prophezeien, Cannes werde schon bald in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Manche behaupten gar, das Festival lasse sich qualitativ hochwertige Filme
entgehen. Denn immer wieder wird Netflix zugute gehalten, künstlerisch
gewagten, nicht unbedingt massentauglichen Projekten eine Chance zu geben
(und diese nicht nur zu zeigen, sondern auch gleich selbst zu produzieren).
Ein Beispiel ist Martin Scorseses neuer Film „The Irishman“. Dieser wird
durch die neuen Regeln nie ins Rennen um die Goldene Palme gehen können.
Dabei sind Netflix und Konsorten – auch Amazon und Apple sind unter den
Playern – gar nicht komplett von der Teilnahme in Cannes ausgeschlossen,
sondern nur vom Hauptwettbewerb. In den Nebenreihen dürfen sie weiterhin
Filme einreichen – und gerade da, allen voran in der zweitwichtigsten
Sektion „Un Certain Regard“, laufen oft die anspruchsvolleren Filme.
Kritiker frotzeln, das sei für Netflix uninteressant, denn dem Anbieter sei
es primär um den Glamour am roten Teppich gegangen. Und der ist nun mal
Wettbewerbsfilmen vorenthalten.
Netflix hat sich bislang nicht öffentlich geäußert. Eine Antwort auf eine
Anfrage der taz steht noch aus.
27 Mar 2018
## LINKS
[1] /Bilanz-der-70-Filmfestspiele-von-Cannes/!5410030
[2] https://www.vanityfair.com/hollywood/2017/05/will-smith-pedro-almodovar-net…
[3] https://www.nytimes.com/2017/05/16/movies/why-the-netflix-cannes-clash-coul…
[4] http://www.lefilmfrancais.com/cinema/136327/cannes-2018-thierry-fremaux-dev…
## AUTOREN
Lea Wagner
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