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# taz.de -- Coming-of-Age-Film „Mellow Mud“: Mehr Kinovielfalt für Zuhause
> Statt im Kino läuft der außergewöhnliche Film „Mellow Mud“ bei
> verschiedenen Streaming-Diensten. Filme wie dieser brauchen aber mehr
> Publicity.
Bild: Die Protagonistin Raya (Elīna Vaska) schweigt eigentlich fast immer
Plötzlich Mutter – ohne schwanger gewesen zu sein. So muss sich es für Raya
(Elīna Vaska) anfühlen, als ihre Großmutter plötzlich an einem Herzinfarkt
stirbt. Der Vater ist tot, die Mutter ausgewandert – und die 17-Jährige
gedrängt in die Rolle der Versorgerin und Beschützerin ihres kleinen
Bruders Robis (Andżejs Lilientāls).
Um dem Kinderheim zu entgehen, verheimlichen die beiden Geschwister den Tod
ihrer Großmutter. Unliebsame Besucher*innen wie die Sozialarbeiterin oder
den Postboten wimmelt Raya ab. Sie kocht, entrümpelt das Haus und
kontrolliert die Hausaufgaben ihres Bruders. Alles, um eine scheinbare
Normalität aufrechtzuerhalten; in „Mellow Mud“ wird Raya nicht viel Zeit
zum Erwachsenwerden gegeben.
Das Coming-of-Age-Drama feierte 2016 Premiere auf der Berlinale und wurde
als erster lettischer Film in der Sektion „Generation 14+“ mit dem
Silbernen Bären ausgezeichnet. Große Aufmerksamkeit wurde dem Debütfilm des
Regisseurs Renārs Vimba in Deutschland danach aber nicht zuteil – in den
Kinos ist er nie angelaufen.
Die Filminitiative „Walk This Way“ möchte daran etwas ändern und
europäisches Kino weltweit durch digitale Distribution in der EU,
Lateinamerika, USA und Japan stärken. Finanziert wird die Initiative unter
anderem durch die Europäische Kommission und verschiedene
Filmvertriebsunternehmen wie Pathé oder Studio Canal. Zum vierten Mal
veröffentlicht „Walk This Ways“ nun preisgekrönte europäische Dramen auf
verschiedenen Video-on-Demand-Plattformen. Eines davon ist „Mellow Mud“.
## Kommt ohne Klischees aus
Begleitet mich mein Freund zur Abschlussfeier? Kann ich trotz Fehltagen
meine Schullaufbahn erfolgreich abschließen? Auf den ersten Blick sind das
gewöhnliche Fragen des Erwachsenwerdens. Doch Rayas Geschichte
unterscheidet sich von den altbekannten
„Er-liebt-mich-er-liebt-mich-nicht“-Erzählungen vieler Hollywoodfilme. Das
liegt zum einen am thematischen Hintergrund, aber auch an der Protagonistin
Raya. Sensibel erzählt Regisseur Vimba vom Erwachsenwerden – konsequent aus
weiblicher Perspektive, ohne dabei auf Klischees zurückzugreifen.
Raya ist einsam, verschlossen und voller Wut. Die 17-Jährige ist die
Geliebte ihres Lehrers, die Mutter ihres Bruders, kein Kind mehr und dann
doch wieder so stur, wie es nur Teenager sein können. Sie reist nach
London, um ihre Mutter zurückzuholen und damit ihr Leben wieder in
geregelte Bahnen zu bringen. Der Fokus auf Menschen, die ihr Land
verlassen, um ein besseres Leben zu führen, hat sich im lettischen Kino
durchgesetzt.
„Mellow Mud“ bricht mit den Sehgewohnheiten eines Auges, das von deutschen
und US-amerikanischen Filmen geprägt ist. Grau und Braun dominieren die
lettische Landschaft. Das Storytelling verzichtet darauf, Szenen zu
verschwenden. Schnelle Schnitte und Szenenwechsel lassen die
Zuschauer*innen häufig im Wagen. Dazu Raya, die die meiste Zeit schweigt.
## Auf Amazon und Co.
Auf dem Nachhauseweg mit ihrem Bruder, in der Schulklasse oder mit ihrem
Liebhaber – eigentlich schweigt sie immer. Was in ihr vorgeht verraten ihre
Gestik und Mimik. Es ist die schauspielerische Leistung der damals
22-jährigen Elīna Vaska, die es möglich macht, Rayas innere Konflikte
nachzuvollziehen. Viele Fragen im Film bleiben unbeantwortet, doch am Ende
steht ein fast schon zu symbolträchtiges Bild zweier leerer Schaukeln.
Eines ist den Zuschauer*innen klar: Rayas Kindheit ist vorbei.
„Mellow Mud“ macht das Angebot eines Streaming-Portals wie dem von Amazon
diverser. Und das kann nicht schaden, denn neben einigen selbstproduzierten
Serien wie „Transparent“ besteht die Auswahl dort vor allem aus
Hollywood-Blockbustern und klassischen Liebesfilmen. Allerdings stehen
„Mellow Mud“ oder auch das neu hinzugefügte flämische Drama „Zuhause“…
über das Abo, sondern nur zum Kaufen oder Leihen zu Verfügung. Die Filme
werden auf der Website weder beworben noch sonderlich hervorgehoben. Ob das
europäische Kino so wirklich ein größeres Publikum erreicht, ist fraglich.
12 Apr 2018
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Filmrezension
Streaming
Coming-of-Age
Filmkritik
Arthouse
Film
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Serie
Deutschtürken
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