Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Im Augenblick: Politischer Tanz
> Das Newroz-Fest ist eine Feier der Freiheit und es Widerstands. Deshalb
> ist es für Kurd*innen so wichtig.
Bild: Kurden feiern Nowruz am 21. März 2018 in der Landesvertretung Niedersach…
Es war ein Schock für mich, als die geplante Veranstaltung für das
Newroz-Fest letztes Wochenende in Hannover seitens der Polizeidirektion
verboten werden sollte. Eine vermeintliche Beziehung zur PKK
(Arbeiterpartei Kurdistans) war die Begründung. Eine falsche Begründung,
wie das Verwaltungsgericht später entschieden hat.
Aber als die Nachricht vom Verbot kam, hatte ich für einen Augenblick
gedacht, ich wäre in Syrien oder in der Türkei. Doch dann kam ich zu mir:
Dort sind zwar fast alle politische Parteien verboten. Newroz kann man dort
aber feiern. Denn Newroz, also Neujahr, ist nicht irgendein Fest, und es
kann auch nicht von einer politischen Partei vereinnahmt werden.
Warum ist dieses Fest für die Kurd*innen denn so wichtig? Eine ähnliche
Frage habe ich mal als Kind meinem Onkel gestellt. Wir waren am Abend vor
dem 21. März, das ist der Newroztag, in der Stadt Qamishli unterwegs.
Überall wurden Feuer gemacht, und drumherum tanzten die Leute, man sang und
es wurden Süßigkeiten verteilt.
„Das Feuer ist für uns das Symbol der Freiheit und des Widerstandes“, sagte
mein Onkel, und dann erzählte er mir den Newroz-Mythos: „Vor 2600 Jahren“,
so ging die Geschichte, „gab es einen grausamen Tyrannen namens Duhak. Er
hatte eine seltsame Krankheit: Auf seinen Schultern wuchsen zwei Schlangen.
Um diese ruhig zu stellen und um nicht selbst von ihnen angegriffen zu
werden, musste er ihnen täglich das Gehirn zweier Kinder zu fressen geben.“
Drei Kinder unterbrachen meinen Onkel in diesem Moment: Sie forderten Geld
oder Süßigkeiten von ihm, und er beschenkte sie, wie es Brauch ist. Dann
erzählte er weiter, wie der Henker jeden Tag immer wenigstens eines der
beiden zum Opfer bestimmten Kinder freiließ und dessen Gehirn durch das
eines Schafes ersetzte.
„In den Bergen, wohin sie geflohen waren, errichteten die Davongekommenen
mit der Zeit eine richtige Gesellschaft. Eines Tages aber entschied sich
der Schmied Kawa zur Revolution gegen Duhak. Er enthauptete Duhak in seinem
Palast, und dann entzündete er ein Feuer, zum Zeichen für die Menschen in
den Bergen, dass der Tyrann tot sei und die Gefahr vorbei war. Und sie
kamen aus ihrem Versteck und feierten die Befreiung“, so mein Onkel. „Von
diesen Menschen aber stammen die Kurden ab.“
Dann schwieg er. Mit einem Holzstock stocherte er tief in Gedanken
versunken in der Glut, um die Flammen anzuschüren. Nach einer Weile setzte
er fort: „All diese Jahre hat dieses Volk immer zu Newroz seine Feuer
angezündet und damit den Kampf für die Freiheit symbolisiert. Wir dürfen
hier in Syrien jetzt feiern, weil mutige Menschen wie Syleiman Ade ihr
Leben dafür geopfert haben. Mazlum Dogan verbrannte seinen Leib im
Diyarbekir-Gefängnis um zu zeigen, dass Widerstand Leben ist und niemand
uns unsere Freiheit rauben darf.“
Hier unterbrach ihn meine Großmutter: „Mazlum ist der Schmied Kawa unserer
heutigen Zeit“, sagte sie. „Seitdem und wegen der Tapferkeit von Menschen
wie ihm hat sich die Diktatur dem Willen dieses Volkes gebeugt und
unfreiwillig das Newroz-Fest erlaubt“, bestätigte mein Onkel. Dann schloss
er sich den Tanzenden an.
Als ich vor drei Jahren Newroz in Bonn gefeiert habe, habe ich mir zutiefst
gewünscht, wieder mal in der Öffentlichkeit Newroz mit einem Feuer begehen
zu dürfen, also so, wie es schon immer gewesen ist: Ein echtes Newroz
feiern, mit Singen, Tanzen und Feuer! Ohne Feuer ist Newroz für mich wie
ein aus Kunststoff erzeugter Baum.
Merkwürdigerweise war ich dieses Jahr froh, dass wir in Deutschland
überhaupt feiern konnten, ohne gleich als Terroristen dargestellt zu
werden.
23 Mar 2018
## AUTOREN
Ismail Ismail
## TAGS
Newroz
Kurden
PKK
Neujahr
Graue Wölfe
Familienzusammenführungen
PKK
Kurdendossier
Kurden
taz.gazete
taz.gazete
Abdullah Öcalan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Razzia bei Flüchtlingshelfer: Im Dienst der Grauen Wölfe
Das Vorgehen der Ermittler*innen passt zu einem wachsenden Druck auf
kurdische Gruppierungen hierzulande.
Kolumne Im Augenblick: Die Spitze der Weintraube
Erstmals habe ich einen Pass und ich habe meine ersten Ferien, seit ich in
Deutschland bin. Also will ich nach Schweden, um meine Schwester zu
besuchen.
Razzia bei kurdischem Verein: Auf der Suche nach der PKK
Die Polizei in Hannover hat die Räume des kurdischen Vereins Nav Dem
durchsucht. Vereinsmitglieder empfinden die Razzia als Repression.
Kurdisches Fest in der Türkei: Die Wut am Newroz-Feuer
Überall in der Türkei darf die kurdische Bevölkerung dieses Jahr das
Newroz-Fest feiern. Zuvor kommt es allerdings zu Festnahmen.
PKK-Gründer Abdullah Öcalan: Der Kult um den Ex-Terrorchef
Abdullah Öcalan ist kurdischer Volksheld und türkischer Staatsfeind. Seit
19 Jahren sitzt er wegen Hochverrat auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft.
Kurdisches Neujahrsfest Newroz: Vom Epos zum Widerstand
Viele Kulturen im Nahen Osten feiern am 21. März Newroz. Für Kurd*innen
wurde der Neujahrstag historisch zum politischen Event.
Newroz: Sind IS-Jäger nicht mehr in Mode?
Die Kurd*innen waren mal richtig cool. Dann sind sie in Vergessenheit
geraten. Oder?
Newroz in der Türkei: „Warum wurde Kemal getötet?“
Newrozfest 2017 in Diyarbakir. Ein junger Musikstudent wird in der Menge
erschossen. Seine Familie hofft auf einen fairen Prozess.
Linken-Politiker zeigt Öcalan-Bild: Das Konterfei-Tabu
Bei der kurdischen Newroz-Kundgebung in Hannover hat der Linken-Politiker
Dieter Dehm ein Bild von PKK-Führer Öcalan gezeigt. Nun droht ihm ein
Strafverfahren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.