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# taz.de -- Newroz: Sind IS-Jäger nicht mehr in Mode?
> Die Kurd*innen waren mal richtig cool. Dann sind sie in Vergessenheit
> geraten. Oder?
Bild: Zur Heldin stilisierte Kämpferin in Rakka, Syrien, 2017
2015, an einem sonnigen Septembermorgen, saß ich mit einem kurdischen
Studenten in einem Café in einer ruhigen Gasse am Platz der Republik in
Paris. Er erzählte mir stolz, wie französische Polizisten ihn nach seinem
Ausweis gefragt hätten. „Ich bin Kurde aus der Türkei“ sei seine Antwort
gewesen. Der Polizeibeamte hätte freundlich ausgerufen: 'Oho! Ein
IS-Jäger!’ Dem Studenten reichte er den Pass zurück und schaute nicht in
seine Tasche. „In Frankreich betrachten sie die Kurden als Helden“ war das
Fazit des Studenten.
Der sogenannte „Islamische Staat“ (IS)verübte am 7. Januar 2015 einen
Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo. Die
mitteleuropäischen Länder packte die Furcht vor diesen brutalen
Dschihadisten, während sich gleichzeitig Bewunderung für die gegen den IS
kämpfenden Kurden breitmachte.
Am 13. November 2015, zwei Monate nach dem Café-Gespräch mit dem Studenten,
verübten IS-Kommandos Terroranschläge auf sieben Ziele in und um Paris
gleichzeitig, bei denen 130 Menschen umkamen und mindestens 300 verletzt
wurden. Es folgten: am 22. März 2016 ein Selbstmordanschlag mit 35 Toten am
Brüsseler Flughafen, am 4. Juli 2016 84 Tote durch einen Anschlag mit einem
in die Menschenmenge rasenden LKW. Dann Ansbach und Berlin. Daran erinnert
sich doch jeder, nicht wahr? Oder wächst die Vergesslichkeit, wenn die
Bedrohung abnimmt?
2015 und 2016, als in den europäischen Städten ein Attentat auf das andere
folgte und Millionen Menschen aus Syrien sich auf die Flucht nach Europa
machten, verdrängten gerade die Kurden den Terror des IS aus ihrer Region.
Die für die Welt zur Plage gewordene Organisation begann zu schwächeln.
## Zu Heldinnen stilisierte Kämpferinnen
Am 15. September 2014 griff der IS Kobane, eine von der YPG kontrollierte
Stadt an der syrisch-türkischen Grenze, an. Die Belagerung wurde mit der
Hilfe einer internationalen Koalition niedergeschlagen. Jeder Sieg der
Kurden über den IS ließ die europäische Öffentlichkeit aufatmen.
Zu Heldinnen wurden die kurdischen Kämpferinnen stilisiert, Modedesigner
ließen sich von ihren Kampfanzügen inspirieren. Die grün-gelb-roten Symbole
der Kurden verdrängten die schwarzen IS-Fahnen. Das demokratisch-autonome
System der Kurden, in Rojava errichtet, wurde zum Gegenstand
wissenschaftlicher Vorträge.
Offenbar versinkt mit dem Zurückdrängen des IS nicht nur seine Barbarei in
der Vergangenheit, sondern auch die Bewunderung der europäischen
Öffentlichkeit für die Kurden. Zumindest sieht es aus der Türkei aus ganz
danach aus.
Dass die heuchlerischen europäischen Regierungen zu dem Krieg, den die
Türkei gemeinsam mit von ihr unterstützten Dschihadisten-Gruppen am 20.
Januar 2018 gegen Afrin startete, den einzigen Ort, von dem die Kurden den
IS jahrelang hatten fernhalten können, nicht nur schwiegen, sondern
weiterhin harmonisch mit der Türkei kooperierten, überrascht nicht. Was
allerdings verwundert, ist das Schweigen der europäischen Öffentlichkeit
angesichts dieser Scheinheiligkeit.
## „Kein Krieg in Afrin“ ist strafbar
In der Türkei ist es ein Verbrechen, gegen den Krieg in Afrin zu sein und
zu sagen, dass dort Zivilisten umkommen. Es ist eine Straftat zu fragen, ob
die Zivilisten in Afrin vielleicht einen Unsterblichkeitstrank eingenommen
haben, so dass bei dem seit zwei Monaten geführten Krieg um diese Stadt
angeblich kein einziger Zivilist umgekommen sei. Es gibt türkische
Rassisten, die sagen: „Zerstören wir Afrin, machen wir es dem Erdboden
gleich!“ Die Beweise fordern, als die Nachricht kommt, das Krankenhaus von
Afrin sei bombardiert worden und Zivilisten seien ums Leben gekommen. Zu
sagen: Ihr seid der beste Beweis dafür ist ebenfalls strafbar.
Über 800 Personen wurden wegen „Propaganda für eine terroristische
Vereinigung“ festgenommen, weil sie sich seit Beginn der Militäroperation
in Afrin gegen den Kriegszustand aussprachen – einige wurden deshalb
inhaftiert. So eingeschüchtert, verharren viele in der türkischen
Gesellschaft in Schweigen.
Aber auch die überwältigende Mehrheit der Öffentlichkeit in Europa schaut
dem Afrin-Krieg zu, als wäre er eine Episode der Serie „Game of Thrones“.
Statt ihre Regierungen zu drängen, den Brand im Nahen Osten zu löschen,
wenden sie sich rechten Parteien zu, damit die Geflüchteten nur ja nicht
ihre „sauberen, sicheren“ Städte „überrennen“. Die Game of Thrones-Ph…
„winter is coming“ gilt bislang nur für die Kurden und die Menschen in
Nahost. In Europa ist meteorologischer Frühlingsanfang, Der Winter scheint
fern. Da sollen die „IS-Jäger“, also die „Westeros“ und „Weiße Wand…
also die AKP-Regierung, doch bitteschön selbst zusehen, wie sie miteinander
klarkommen!
20 Mar 2018
## AUTOREN
Solin Akar
## TAGS
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Politik
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Newroz
Türkei
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