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# taz.de -- Kurdisches Neujahrsfest Newroz: Vom Epos zum Widerstand
> Viele Kulturen im Nahen Osten feiern am 21. März Newroz. Für Kurd*innen
> wurde der Neujahrstag historisch zum politischen Event.
Bild: Newrozfeier in Diyarbakır 2014
Seit Anfang der 90er Jahre feiern die Kurd*innen der Türkei am 21. März das
Neujahrsfest Newroz mit Massenveranstaltungen. Newroz ist kein spezifisch
kurdisches Fest. Diverse Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten und
Zentralasien kennen den Festtag. Im Iran, in Afghanistan, in Aserbaidschan
und einigen zentralasiatischen Turkstaaten beginnt das neue Jahr mit dem
21. März. Für Zorastrier, Alevit*innen und Bahai ist Nourūz ein heiliger
Tag.
Doch nur bei den Kurd*innen ist der Tag zu einem politischen Ritual
geworden. Das Verhältnis der Kurd*innen zu Newroz wird auf das Epos des
iranischen Dichters Firdausi zurückgeführt. Darin stürzt ein gewöhnlicher
Schmied namens Kaveh den Tyrannen Zahāk auf. Kurdische politische
Bewegungen haben sich jener Geschichte des Widerstandes bedient. In der
Türkei ist mit diesem Narrativ und historischen kurdischen Aufständen die
Tradition entstanden, Newroz mit Massenkundgebungen zu begehen.
Dem Politikwissenschaftler Yücel Demirer zufolge bilden die Newroz-Feiern
seit den siebziger Jahren eine systematische Ausdrucksform kurdischer
Identität und Politik – in Abgrenzung zur homogenisierenden,
turkozentristischen Kulturpolitik der Türkei. Dabei etablierte sich die
Idee des Newroz als ein geeignetes Feld, um eine kurdische Identität zu
behaupten.
Es dauerte nicht lange, bis der türkische Staat Gegenmythen produzierte, um
die massenhafte Mobilisierungswirkung von Newroz zu brechen. Schon 1985
argumentierte der turkistische Historiker Abdülkadir Çay, dass es sich bei
„Nevruz“ um eine zentralasiatische Tradition handelte, die seit Gründung
der Republik Türkei als Feiertag begangen worden sei. Er behauptete sogar,
dass „Nevruz“ ein „urtürkisches“ Fest sei. Der Staatsgründer Atatürk…
habe im Jahr 1925 an einer Nevruz-Feier teilgenommen. Auf Çays Thesen hin
veranlasste die türkische Regierung 1991, dass in sämtlichen
Landesprovinzen das „türkische Nevruz“ zu feiern sei. Die türkischen
„Nevruz-Feiern“ als Gegenpol zum kurdischen Newroz wurden jedoch nie
besonders populär.
## Newrozfeiern als Indikator der politischen Konjunktur
1992 wurden die kurdischen Feiern zu Newroz erstmals blutig unterdrückt. In
Diyarbakır und mehreren anderen Städten eröffneten Soldaten das Feuer auf
die Feiernden. Offiziellen Zahlen zufolge starben 57 Menschen,
inoffiziellen Zahlen zufolge 124. 1994 kündigte der PKK-Chef Abdullah
Öcalan vier Tage vor Newroz erstmals einen einseitigen Waffenstillstand an.
Die Feierlichkeiten verliefen friedlicher als in den Jahren zuvor.
Nachdem Öcalan 1999 im Zuge einer internationalen Operation an die Türkei
ausgeliefert wurde, fanden im Jahr 2005 erstmals wieder große Newroz-Feste
statt. Vielerorts, auch in Diyarbakır, waren Öcalan-Porträts bei den Feiern
zu sehen. Es gab Poster mit den Umrissen von Kurdistan. Seither sind die
Newroz-Feiern immer entsprechend der politischen Konjunktur verlaufen:
manchmal ohne Zwischenfälle, manchmal mit Zwischenfällen, also auch blutig.
Eine der wichtigsten Feierlichkeiten in der politischen Geschichte der
Kurd*innen ereignete sich am 21. März 2013 in Diyarbakır. Das Fest fand
kurz nach Beginn des Friedensprozesses der AKP-Regierung statt. Es kamen
über eine Million Menschen, um auf dem Festivalgelände zu hören, wie
Öcalans Aufruf an die Guerilla verlesen wird, ihre Waffen niederzulegen und
sich auf die Verhandlungen einzulassen. Während des Friedensprozesses
wiederholten sich 2014 und 2015 ähnlich große Feste.
Der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu verkündete 2015: „Nevruz ist
ein Fest der ganzen Menschheit. Nevruz ist ein Fest der Türken, ein Fest
der Kurden, ein Fest der Perser und aller alten Völker.“ Und er versprach:
„Der Friedensprozess wird definitiv erfolgreich enden, koste es, was es
wolle.“ Am 24. Juli 2015 wurde der Friedensprozess beendet. Damit wurden
die Newroz-Feiern 2016 und 2017 wieder zu Veranstaltungen, bei denen die
Menschen zusammenkamen, um ihre Trauer statt ihre Hoffnung zu teilen.
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
21 Mar 2018
## AUTOREN
İrfan Aktan
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