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# taz.de -- Sabine Kümmerle über Kinderrechte: „Kinder sollten mitreden“
> Statt Kinder als Objekte zu sehen, sollte man ihre Rechte stärken, sagt
> Sabine Kümmerle. Sie begleitet die Enquetekommission zu Kinderschutz.
Bild: Immer noch zu wenig im Blick: Rechte von Kindern
taz: Frau Kümmerle, warum beobachten Sie die seit einem Jahr tagende
Enquetekommission „Kinderschutz – Kinderrechte sichern“?
Sabine Kümmerle: In der Enquetekommission sind ja Politiker auf der einen
und Experten auf der anderen Seite. Unser zivilgesellschaftliches Bündnis
möchte den Blick der Praxis einbringen.
Und wie?
Wir begleiten die Enquetesitzungen und treffen uns zwischen den Terminen.
Dort reflektieren wir, wie weit das, was dort besprochen wird, unseren
Erfahrungen entspricht. Wir versuchen auch, Dinge einzubringen. In unserem
Bündnis sind auch Träger- und Jugendamtsmitarbeiter.
Ihr Bündnis ist älter als die Enquete und hat 2016 mit einem Aufruf diese
Kommission überhaupt erst gefordert. Warum braucht Hamburg die?
Seit 2004 sind in Hamburg sechs Kinder zu Tode gekommen, die in Obhut des
Jugendamtes waren. Nach jedem Todesfall gibt es eine Aufarbeitung, die zu
neuen Empfehlungen führt, die weitere Kontrollmechanismen zur Folge haben.
In der Praxis führt das zu mehr Druck. Die Handlungsfreiheit der Fachkräfte
vor Ort wurde eingeengt, ohne dass es weniger Todesfälle gibt. Deshalb hat
es Sinn, das ganze System noch mal mit Abstand zu betrachten. Und auch zu
gucken, wie sich die Lebenswirklichkeit der Kinder in dieser Stadt
verändert hat.
Hat sie das?
Ganz erheblich. 2004 waren wesentlich weniger Kinder in der Kita, es gab
noch wenig Ganztagsschulen, dafür mehr offene Angebote für Kinder und
Jugendliche. Heute sind fast alle Kinder in Kita oder Ganztagsschule, und
die Kinderarmut stagniert derzeit auf einem hohem Niveau.
Alle Kinder in der Kita, das ist gut, da hat man sie im Blick.
Ja, die Kinder sind in der Kita. Aber die Kita kann nicht die Situation in
der Familie verändern. Dazu müssten Kitas anders arbeiten können, um das
aufzufangen. Nur weil ein Kind dort ist, ist das Hilfesystem nicht anders
aufgestellt. Es wird eher geguckt, ob der Allgemeine Soziale Dienst ein
Qualitätssystem hat und ob die ISO-Norm erfüllt ist. Unser Wunsch war
deshalb, das ganze System zu überprüfen.
Was läuft falsch? Was ist die These der Praktiker?
Obwohl diese Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte“ heißt, ist immer
noch der Blick zu stark auf den Kinderschutz gerichtet. An die Perspektive
von Mitsprachemöglichkeit für Kinder und wie man Kinderrechte umsetzt, wird
kaum gedacht. Es wurden auch viele Maßnahmen ergriffen, ohne zu
reflektieren, ob sich das bewährt hat. Ist es gut, wenn in den Jugendämtern
jedes Detail mit einer Vorschrift geregelt ist? Oder braucht es nicht mehr
professionellen Handlungsspielraum?
Ein weiteres Problem ist: Das Jugendamt bekam auch gegenüber den freien
Trägern eine starke Kontrollfunktion. Das geht zu Lasten der
Partnerschaftlichkeit, die man braucht, um einen Fall gut zu behandeln. Es
geht sonst mehr um Absicherung der Mitarbeiter als ums Kindeswohl.
Wie sah die Begleitung der Kommission bisher aus?
Na ja, wir gehen zu den Sitzungen, tauschen Protokolle aus, diskutieren
untereinander, was möglicherweise noch fehlt. Es gab zum Beispiel die Idee,
auch Kinder, Jugendliche und Eltern, die im Hilfesystem sind, zu befragen.
Da haben Träger, die bei uns mitmachen, unter ihren Klienten gefragt, wer
bereit ist, an einem Workshop mitzumachen.
Oder es gab die Idee einer Online-Befragung unter Jugendamtsmitarbeitern.
Da haben wir gesagt, es ist uns wichtig, dass auch Mitarbeiter der freien
Träger mitmachen dürfen. Das wurde dann auch so gemacht.
Die Enquetekommission zieht am nächsten Freitag erstmals öffentlich ein
Zwischenfazit. Ist sie auf dem richtigen Weg?
Wenn man sich das anschaut, hat die Kommission sich schon einen sehr großen
Prüfauftrag gegeben. Da werden sehr viele Fachthemen angesprochen. Wie
gesagt, die Richtung geht wieder eher dahin, wie kann man Kinder vor
Gefahren schützen, und nicht so, dass man schaut, wie man Rechte von
Kindern und deren Beteiligung stärkt.
Kinder werden vorrangig als Opfer gesehen. Sie werden zu Objekten der
Politik. Statt zu gucken, wie kann man die Kinder auch als Akteure
begreifen.
Wie kann das gehen?
Indem Kinder auch wirklich mitsprechen dürfen zum Beispiel in den
Hilfeplangesprächen, wo über sie verhandelt wird. Die Kinder und
Jugendlichen müssten auch wissen, wohin sie sich wenden können, etwa in der
Kita, oder im Stadtteil einen Ansprechpartner haben bei allem, was ihre
Rechte betrifft.
Es wird zu wenig aus der Sicht der Kinder geguckt. Wie stärken wir sie
darin, ihre Rechte wahrzunehmen. Statt Kinder nur als Objekt von
Bedrohungen zu sehen, die Erwachsene definieren.
Die taz berichtete kürzlich über den Fall eines 13-Jährigen, der seine
Mutter nicht sehen durfte.
Auch solche Kontaktsperren schränken Kinderrechte ein. Wir müssen
überlegen, wie wir das Hilfesystem anders stricken und Eltern unterstützen
können, damit Herausnahmen aus der Familie gar nicht nötig sind.
Die Enquetekommission soll im Oktober fertig sein. Ist die Arbeit des
Bündnisses dann auch zu Ende?
Das haben wir noch nicht besprochen. Wir werden jetzt erst mal den
Zwischenbericht abwarten und darauf reagieren.
18 Mar 2018
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Kinderschutz
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Jugendamt
Kindeswohl
Kita
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Jugendhilfe
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