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# taz.de -- Künstlerische Spurensuche in Hebron: Mit Uralt-Maske ins Palästin…
> Sie suchten Ruinen und fanden Pflanzen: Das palästinensische Künstlerduo
> Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme stellt in Hamburg aus.
Bild: Prähistorie trifft Zeitgenossenschaft: Abbas' und Abou-Rahme auf Spurens…
Hamburg taz | Die Masken waren die Rückversicherung, damals, in Nahost.
Denn sie symbolisierten die Ahnen, und wenn der Schamane sie im Tanz
anrief, bezeugten sie, dass den Nachkommen das Land gehörte: weil nämlich
schon der Großvater hier gesiedelt hatte. Welche Belege sonst konnte es
geben vor 9.000 Jahren, in einer schriftlosen Zeit?
Konkret geht es um die Landnahme prähistorischer Siedler in der Region um
Jerusalem und Hebron. Deren kalksteinerne Schädelmasken fanden israelische
Archäologen in den 1980ern und stellten sie 2014 im Jerusalemer
„Israel-Museum“ aus. Heute gehören die meisten davon europäischen,
amerikanischen und israelischen Privatsammlern – aber nicht Palästinensern.
Das wollten die KünstlerInnen Ruanne Abou-Rahme und Basel Abbas, in New
York und Ramallah zu Hause, nicht hinnehmen. In einem Akt der
Wieder-Aneignung haben sie die online gestellten Masken durch den
3-D-Drucker geschickt und in ein international tourendes
Ausstellungsprojekt integriert.
Zurzeit stehen die Köpfe mit leeren Augen und Mündern in den Ecken des
Hamburger Kunstvereins. Die Schau heißt „And Yet My Mask Is Powerful“, und
man fühlt sich ein bisschen verfolgt von ihnen. Denn auch wenn die
Steinzeit lange her ist und diese Masken bloß kopiert: Ihre archaische,
düstere Kraft übermittel sich und lässt frösteln.
Überhaupt ist dies keine Wohlfühlschau: Die Bässe eines Soundtracks
dröhnen, das Licht ist gedimmt, das Gitter am Eingang ähnelt dem
Maschendraht der Westbank. Im Halbdunkel läuft ein Film, der zunächst nach
„Dschungelcamp“ aussieht, bis man spürt: Das vermeintlich Vertraute wurde
neu codiert. Hier stapfen Menschen mit besagten Masken durchs Dickicht zu
den Ruinen von von Israel zerstörten Palästinenserdörfern.
Es sind Abbas und Abou-Rahme sowie palästinensische Jugendliche aus der
Region. Sie haben sich auf Spurensuche begeben, illegal natürlich, denn so
leicht kommt man in dieses Gebiet nicht rein.
## In die Vergangenheit eingetaucht
In die Vergangenheit wollen sie tauchen, wie es der palästinensische
Konzeptkünstler Khalil Rabah 2015 im Hamburger Kunsthaus nebenan tat, als
er unbekannte historische palästinensische Dörfer wiederbelebte und
Postkarten davon druckte, um palästinensische Identität neu zu definieren,
weg vom bloßen Protest gegen die Besatzer.
Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme im Kunstverein gehen ähnlich vor, aber
sie wollen mehr, haben ein philosophisches, poetisches, fast utopisches
Projekt erdacht. Ihre Reise führt zwar nicht, à la Jules Verne, zum
Mittelpunkt der Erde, wohl aber zum Zentrum der Wahrheit, zur – natürlich
ihrerseits künstlerisch-fiktiven – Faktizität der Dinge. Sie wollen weg von
Gerüchten und Geschichten über Region und Okkupation und einfach schauen,
was noch da ist.
Der Kontext ist durchaus politisch: „Diving into a wreck“ heißt das
Gedicht, das die US-amerikanische Feministin, Anti-Vietnamkriegs-Aktivistin
und Poetin Adrienne Rich 1973 schrieb. Nach diesem Poem ist die Schau
benannt, weitere Zitate zieren die Wände: „Erst ist die Luft blau und dann
ist sie noch blauer und dann grün und dann schwarz / mir wird schwarz vor
Augen / und trotzdem ist meine Maske voller Kraft, sie pumpt mein Blut mit
Kraft auf“, steht da.
Diesen Text im Kopf, steigen die Künstler Schritt für Schritt in die Ruinen
– zum vermeintlich unverstellten Ursprung. Und wo Adrienne Rich von einer
Sauerstoffmaske schreibt, die sie beim Tauchen überleben lässt, nutzen
Abbas und Abou-Rahme besagte Ahnenmasken als Schutz vor den Geschichten,
die sich inzwischen über diese Orte gelegt haben.
## Der Versuch, Geschichte zu überschreiben
„Ursprung“ meint hier einen im Wortsinn prä-historischen Moment, von dem
aus Geschichte neu geschrieben werden könnte. Und zwar mit Hilfe jener
imaginativen Kraft, die durch das Such-Ritual freigesetzt werden soll.
Vielleicht, so die Hoffnung, kann die Epoche der Zerstörung überschrieben,
eine neue, friedliche Geschichte verfasst werden. Nicht zufällig berufen
sich die beiden auf den Literaturtheoretiker Edward Said, der für Nahost
schon vor Jahren einen binationalen Staat vorschlug.
Den Anfang dieser neuen Geschichte machen die Fransen des Vergangenen, die
das Künstlerduo in den Ruinen der 1948 zerstörten Dörfer fand, in denen
trotzig Leben blieb. Dort wuselte eine ungeheure Vielfalt an Pflanzen und
Insekten, die von wildem Spargel und Fenchel bis zu Granatapfelbäumen
reichten.
Einige Zweige haben sie mitgebracht und in die Hamburger Ausstellung
integriert. Manche liegen auf dem Boden, andere wachsen scheinbar aus
Pflastersteinen, den Wurfgeschossen gleich, die man aus Fernsehbildern der
Westbank kennt. Daneben liegen Heftchen mit Notizen des Künstlerduos. Sie
sind erst in der Hamburger Station der Ausstellung dazugekommen.
Wer jetzt denkt, Spargel und Fenchel seien keine spektakulären Funde, irrt:
Sehr gezielt haben die israelischen Besatzer in dieser Region Pinien
gepflanzt, um Ruinen und Ursprungsvegetation zu überwuchern. Das hat nicht
flächendeckend funktioniert: Immer wenn Abbas und Abou-Rahme
Originalpflanzen der Gegend fanden, wussten sie, sie waren auf dem
richtigen Weg.
Eigenartig, dass nicht nur ein Baum, sondern auch ein Fenchel Dokumentar
einer Gegend, einer Brutalität, eines Leidens werden kann. Dabei haben
schon die prähistorischen Siedler, Assyrer und Babylonier, um die Identität
stiftende Bedeutung regionaler Fauna gewusst. Sonst hätten sie nicht auf
Reliefs und Handschriften, die von Heldentaten erzählten, stets die
Pflanzen der Gegend mit abgebildet.
## Zeiten und Techniken klug verfugt
Abbas und Abou-Rahme haben – Zeiten und Techniken abermals geschickt
verfugend – Internet-Ausdrucke dieser alten Reliefs und Manuskripte in die
Ausstellung gehängt. Daneben die mitgebrachten echten Pflanzen – halb
verdorrt, aber in der Kunst bewahrt. „Diese Pflanze gehört hierher“, so der
Subtext, „und also auch die Menschen, die hier vor Tausenden Jahren
siedelten.“ Pflanzen sind zu Chiffre und Visitenkarte einer Gegend
geworden; sie harren aus, solange die zugehörigen Menschen nicht vor Ort
sein können.
Das versuchen die übrigens durchaus. Immer wieder gehen einstige
Dorfbewohner heimlich in die Moscheen und Kirchen, um dort Zeremonien zu
feiern. Und wenn Abbas und Abou-Rahme die Masken an ihren Herkunftsort
zurückbringen, verbreitern sie diese Spur und „flicken“ die Verbindung zur
eigenen, positive Identität stiftenden Geschichte.
Ganz frei von anti-israelischen Ressentiments ist die Schau indes nicht.
Das zeigen die zu Schattenfiguren arrangierten Werkzeuge. Spachtel mit
Widerhaken, bizarr gebogene Zangen, Ambosse mit rückwärts gewandten
Spitzen: Die Requisiten eines harmlosen Schreiners sind das nicht. Eins der
Geräte gleicht einer Daumenschraube. Vielleicht ist dies eine Phalanx aus
Folterinstrumenten, einen oft an Israel gerichteten Vorwurf manifestierend.
Und auch wenn das alles dezent und spielerisch wirkt: Ein Gegenbild zur
täglichen brutalen Bilderflut bietet diese Schau kaum, auch wenn die
KünstlerInnen das beteuern. Vielleicht ist das richtig so, und jede Facette
erlittenen Leidens muss benannt und künstlerisch verarbeitet werden.
Womöglich gehören auch die palästinensischen Dorfruinen fiktiv zum Leben
erweckt, der Gesellschaft im übertragenen Sinne zurückgegeben, bevor die
Politik ernsthaft und nachhaltig darüber verhandeln kann.
7 Apr 2018
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
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