# taz.de -- Opfer des „Schwulen-Paragrafen“: Kaum Geld für 175er | |
> Bis 1969 wurden 842 Bremer wegen ihrer Homosexualität verurteilt. Nun | |
> können sie entschädigt werden – Anträge gibt es bislang bundesweit nur | |
> wenige. | |
Bild: Nicht bekannt genug: Verurteilte Schwule können jetzt entschädigt werden | |
BREMEN taz | Wie viele Opfer der „Schwulen-Paragraf“ in Bremen gefordert | |
hat, kann heute der Bremer Senat nicht mehr so genau sagen. Bundesweit | |
wurden allein in den Fünfziger- und Sechzigerjahren etwa 50.000 | |
Homosexuelle verurteilt. Einvernehmlicher Sex zwischen Männern wurde bis | |
1994 mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet. | |
Seit 2017 können die Opfer eine Entschädigung bekommen – doch die wird | |
bislang nur selten beansprucht. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Doris | |
Achelwilm, fordert deswegen nun eine Reform des entsprechenden Gesetzes – | |
und mehr Werbung. Viele Betroffene wüssten gar nicht, dass sie entschädigt | |
werden könnten, so Achelwilm. | |
Im Land Bremen wurden zwischen 1950 und 1969 insgesamt 842 Männer nach §175 | |
Strafgesetzbuch verurteilt. Das geht aus einer Senatsantwort auf eine | |
Anfrage der Linkspartei hervor. Bis 1969 bestand der von den | |
Nationalsozialisten 1935 verschärfte Straftatbestand in der Bundesrepublik | |
unverändert fort, danach wurde er mehrmals reformiert. | |
## 1969 ergingen die letzten Urteile | |
Betroffenen waren zunächst alle Schwulen, später immer noch solche, die als | |
Erwachsene Sex mit einem minderjährigen Mann hatten. Seit 1970 wurde die | |
staatliche Diskriminierung der Homosexuellen in Bremen nicht mehr in der | |
Strafverfolgungsstatistik erfasst. 1969 wurden dort noch elf Verurteilungen | |
bilanziert, seit 1950 waren es im Schnitt jeweils 42 pro Jahr. Ihren | |
Höhepunkt hatte die Verfolgung der Schwulen in Bremen erst 1961 erreicht – | |
damals wurden 66 Männer verurteilt. | |
Wer nach dem Krieg als „175er“ bestraft wurde, kann seit dem vergangenen | |
Jahr pauschal 3.000 Euro pro Urteil bekommen, zudem 1.500 Euro je | |
angefangenem Jahr erlittener Freiheitsentziehung. Die Urteile wurden | |
pauschal aufgehoben, sofern die Partner damals über 16 Jahre alt waren und | |
der Sex einvernehmlich war. Wer schon vor 1945 wegen §175 verurteilt wurde, | |
dessen Urteil ist bereits seit 2002 aufgehoben. | |
Bis Ende Februar gingen beim Bundesamt für Justiz jedoch nur 81 Anträge auf | |
Entschädigung ein, 54 davon wurden genehmigt, drei abgelehnt. [1][Das geht | |
aus einer Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine kleine Anfrage von | |
Doris Achelwilm hervor.] Die Zahl der Anträge sei „erschreckend gering“, so | |
die Abgeordnete. | |
## Entschädigung nur für Verurteilte | |
Die Bundesregierung müsse ihr Gesetz deshalb „umfassender bewerben“, | |
fordert sie – und den Kreis der Berechtigten erweitern: Denn entschädigt | |
werden bislang nur jene, die seinerzeit strafrechtlich verurteilt wurden. | |
Männer, gegen die zwar ein Verfahren eingeleitet wurde und die zum Teil | |
monatelang in Untersuchungshaft saßen, ohne dass gegen sie ein Urteil | |
ergangen wäre, gehen leer aus. | |
Eine Entschädigung dieser Opfer lehnt die Bundesregierung bisher ab. Die | |
nämlich stelle „eine finanzielle Anerkennung des erlittenen Strafmakels und | |
der erlittenen Freiheitsentziehung“ dar. Einem Strafverfahren alleine, so | |
das Argument von Union und SPD, fehle ein solcher „Strafmakel“. | |
Das Gesetz „in der jetzigen Form vergisst diejenigen, die auch ohne | |
Verurteilung massiv unter der Strafverfolgung gelitten haben“, sagt | |
Achelwilm – viele von ihnen haben ihre Wohnung oder den Job verloren – und | |
deshalb heute auch einen niedrigen Rentenanspruch.Der rot-grüne Senat soll | |
sich deshalb im Bundesrat dafür einsetzen, dass diese Benachteiligung | |
ausgeglichen wird. Das zumindest forderten SPD und Grüne Ende vergangenen | |
Jahres in einem gemeinsamen Antrag. | |
13 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/009/1900950.pdf | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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