# taz.de -- Die Wahrheit: Kassel – das gallische Dorf | |
> Leckerer Grützwurstbrei fehlt dem hessischen Migranten, der auf der Suche | |
> nach herzerwärmenden Erinnerungen auf ein seltsames Nazi-Phänomen stößt. | |
Als hessischen Migranten in Niedersachsen überfällt einen gelegentlich das | |
Heimweh. Leider gibt es in Hannover nicht viele Möglichkeiten, sich diesem | |
Gefühl angemessen selbstmitleidig hinzugeben. Außer sich in einem | |
Getränkemarkt mit internationalem Angebot eine Flasche Ebbelwoi und in der | |
Markthalle eine „Ahle Worschd“ zu kaufen und beides zu Hause unter Abhören | |
zerkratzter Rodgau-Monotones- und Heinz-Schenk-LPs („Es ist alles nur | |
geliehen“, Musik: Franz Grothe) seinem Körper in einer Art schamanistischem | |
Transformationsritual einzuverleiben. | |
Aber das mache ich selbstverständlich nie. Ich spreche nur für einen | |
Freund. Ich bestelle mir auch auf keinen Fall online „Weckewerk“ – eine A… | |
Grützwurstbrei, hergestellt aus in der Schlachterei Heruntergefallenem und | |
in der Ecke Aufgefegtem, vermischt mit Brötchen, Zwiebeln und zwei Kilo | |
Pfeffer … | |
Lebte ich in Berlin, würde ich auf der Homepage www.hessen-in-berlin.info | |
nachschauen, was alles so geht, im Grüne-Soßen-Diaspora-Milieu. Wer wollte | |
nicht zum monatlichen „Ei guude wie?“-Stammtisch gehen, um sich von | |
Südhessen vollbabbeln zu lassen? Oder die Veranstaltung „Esse aus Hesse: | |
Hessische traditionelle Küche von TV Koch Reiner Neidhart modern | |
interpretiert“ besuchen? | |
Hier zeigt sich jedoch ein weiteres Problem: Hesse-Sein außerhalb Hessens | |
macht allein schon einsam – aber als Nordhesse ist man oft ganz auf sich | |
gestellt. Die Frankfurter, Wiesbadener und Darmstädter behandeln uns wie | |
Parias, als eine Art Hessen-Ossis. Was vielleicht mit dem Dialekt in | |
„Hessisch Sibirien“ zu tun hat: Nordhessisch hat tatsächlich mehr mit | |
Thüringisch gemein hat als mit dem blauböckigen Gebabbel des | |
Rhein-Main-Gebietes. | |
Hin und wieder verirre ich mich dann aus Verzweiflung auf Internet-Seiten | |
wie „Du bist ein echter Kasseläner, wenn Du früher …“. Dort erinnern si… | |
nostalgische Regionalisten an das Kassel vergangener Zeiten. Wobei die | |
Erinnerungs-Zeitspanne sich logischerweise am Alter der Postenden | |
orientiert. Oft sind es Menschen meiner Generation, die Kassels mit Fotos | |
gedenken, die zwischen 1970 und 1990 entstanden sind: Langhaarige und | |
Stachelköpfe vor Disco-Neon-Reklamen und frei in der Betonlandschaft | |
stehend. | |
Zusehends tauchen dort aber auch hübsche Bilder aus den zwanziger, | |
dreißiger und vierziger Jahren auf. Bei Ansicht dieser Fotos kam ich – für | |
mich überraschend, aber die geposteten Bilder sprechen für sich – zu | |
folgender Erkenntnis: In Nordhessen gab es keine Nazis! Kassel war quasi | |
ein gallisches Dorf. Drumherum Drittes Reich, aber in der Stadt selbst: | |
keine SA, keine Aufmärsche. Keine Hakenkreuzfahnen. Nix. Hitler hat Kassel | |
nie besucht. Keine Synagoge wurde angezündet, kein jüdisches Geschäft | |
arisiert. Kassel war ganz klar eine friedliche, unpolitische Fachwerkstadt. | |
Die dann seltsamerweise und aus unerklärlichen Gründen von britischen | |
Bombern in Schutt und Asche gelegt wurde. Versteh einer die Welt. | |
28 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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