# taz.de -- Pro und Contra Mitgliederentscheid: Die Basis und die Demokratie | |
> Die Union und manche Wähler sind genervt. Doch die SPD befragt vor der | |
> Regierungsbildung noch mal die Basis. Ist das demokratisch? | |
Bild: Basisbefragung: ein Mittel zum Perspektivwechsel? | |
Die SPD befragt auch nach der Wahl und langwierigen Verhandlungen nochmal | |
die Basis nach ihrer Zustimmung zu einer möglichen Großen Koalition. Doch | |
ist das wirklich demokratisch? | |
## Ja | |
Die an sich selbst zweifelnde SPD mit Häme zu überziehen, ist ja eine Art | |
Volkssport geworden. Der neueste Vorwurf: Die Idee, die rund 450.000 | |
SPD-Mitglieder über die Große Koalition abstimmen zu lassen, sei | |
undemokratisch. Schließlich gebe es 61,5 Millionen Wahlberechtigte in | |
Deutschland, die alle eigene Meinungen zur künftigen Regierung haben – und | |
nur eine Stimme abgeben durften. Dieser Vorwurf, mit Verlaub, ist grober | |
Unfug. | |
Erinnern sich noch alle daran, [1][wie Christian Lindner] von der | |
konservativ-liberalen Presse gefeiert wurde, weil er die | |
Jamaika-Sondierungen abbrach? Lindner hat wie ein kleiner Diktator im | |
Alleingang entschieden, [2][aufs Regieren zu verzichten] – obwohl sich | |
sicher viele der fünf Millionen FDP-Wähler über eine deftige | |
[3][Steuersenkung] gefreut hätten. Bei der Union machen traditionell die | |
Führungsgremien unter sich aus, ob und wie regiert wird. Solche | |
Top-down-Prozesse machen vieles einfacher, aber demokratischer sind sie | |
sicher nicht. Die SPD wirkt im Vergleich ungemein fortschrittlich, sie ließ | |
schon 2013 ihre Mitglieder über die Große Koalition abstimmen. | |
Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. Und das | |
Parteiengesetz verpflichtet sie zur innerparteilichen Demokratie – nicht | |
ohne Grund hat das Verfassungsgericht [4][Klagen gegen den | |
Mitgliederentscheid abgewiesen]. Was die SPD vorführt, ist ein Stück | |
gelebte Demokratie. Es mag in der Union nerven, dass die SPD-Führung um | |
Schulz versucht, Extrawünsche ihrer Basis durchzukämpfen. Aber ihre | |
Regierungsarbeit wird – im Fall des Falles – breit legitimiert sein. | |
Die Volksparteien sind in einer veritablen Krise. Ihre Macht schwindet, | |
ihre Milieus sind zersplittert, sie gelten als veränderungsresistent. | |
Gleichzeitig gedeihen die Rechtspopulisten, weil viele Menschen die | |
sogenannten etablierten Parteien verachten. In diesen Wochen treten viele | |
Menschen in die SPD ein, weil sie das gute Gefühl haben, mitentscheiden zu | |
können. Angesichts dessen über Mitgliederentscheide herzuziehen, ist keine | |
gute Idee. Ulrich Schulte | |
## Nein | |
Das Eigenlob will gar kein Ende nehmen, wenn die Sozialdemokraten über | |
ihren Mitgliederentscheid zum Groko-Koalitionsvertrag sprechen. Sie halten | |
ihre Partei für das Sahnehäubchen der Demokratie. Was für ein Irrglaube. | |
Nicht alles, über das abgestimmt wird, ist gleich auch demokratisch. | |
Die WählerInnen haben im September darüber entschieden, wer sie vertreten | |
soll. Man nennt es repräsentative Demokratie. Doch statt den gewählten | |
VolksvertreterInnen im Bundestag entscheidet nun ein exklusiver Klub namens | |
SPD darüber, wie die künftige Bundesregierung aussieht und was genau sie | |
umsetzen wird. Das ist nicht demokratisch, sondern eine Entmündigung der | |
WählerInnen. | |
Dieses Mal geht es außerdem um weit mehr als nur einen Koalitionsvertrag | |
mit der ungeliebten Union und die parteipolitisch durchaus nachvollziehbare | |
Sorge um die Zukunft der SPD. Die GenossInnen entscheiden darüber, ob es zu | |
Neuwahlen kommt. Es geht bei der derzeitigen Verhandlungen um die Frage, | |
wie Deutschland mit der derzeitigen politischen Konstellation im Bundestag | |
überhaupt regiert werden kann. Darüber stimmen nicht die | |
MandatsträgerInnen, sondern 450.000 SPD-Mitglieder ab. Sie haben kein | |
Mandat, sondern sich ihre Stimmberechtigung quasi per Mitgliederbeitrag | |
erworben. Es gehört schon Fantasie dazu, das als besonders demokratisch | |
anzusehen. | |
Es stimmt, dass die konservative Presse auffallend einseitig auf die | |
Entscheidungsfindung der SPD eindrischt, während sie mit der | |
Hinterzimmerpolitik anderer Parteien kein Problem zu haben scheint. Doch | |
das macht ihre Argumente nicht falsch. Es stimmt auch, dass FDP-Chef | |
Christian Lindner im Alleingang ein Jamaika-Bündnis hat platzen lassen. | |
Doch er hat ein Mandat und wird sich letztlich gegenüber seinen Wählern | |
verantworten müssen. | |
Der SPD-Basisentscheid mag nicht verfassungswidrig sein, doch er | |
hinterlässt großes Unbehagen. Hier entsteht der Eindruck, dass man nur | |
mitbestimmen kann, wenn man einer Partei angehört. Das kann niemand wollen. | |
Silke Mertins | |
6 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Silke Mertins | |
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