# taz.de -- Soziologin über Frauen in Italiens Politik: „Viel mehr Männer i… | |
> Für Frauen wird die kommende Wahl in Italien ein Rückschlag. Das vermutet | |
> die italienische Soziologin Chiara Saraceno. | |
Bild: Sitzen dort nach der nächsten Wahl vielleicht weniger Frauen? Das Parlam… | |
taz: Frau Saraceno, in der letzten Legislaturperiode stand Italien doch gar | |
nicht so schlecht da, was die Präsenz von Frauen in der Politik angeht, | |
nicht wahr? | |
Chiara Saraceno: In der Tat, bei den Wahlen 2013 hatte es einen Sprung nach | |
vorn gegeben, vorher lag Italien weit zurück in Europa, 2013 dagegen waren | |
30 Prozent der Abgeordneten Frauen. Ich fürchte allerdings, dass die | |
kommenden Wahlen einen Rückschlag bringen werden. | |
Warum? | |
Wegen des neuen Wahlrechts – und wegen der Weise, wie die Parteien es | |
nutzen. Es gibt die Personenwahlkreise und es gibt die Proporzlisten, mehr | |
oder weniger auf Provinzebene. | |
Das heißt? | |
Das heißt, die Kandidaten können sowohl in den Wahlkreisen als auch auf den | |
Proporzlisten antreten, mehr noch: Ein Kandidat kann gleich fünfmal auf | |
Proporzlisten seiner Partei quer durch Italien kandidieren. Zugleich gilt | |
das Reißverschlussverfahren: eine Frau, ein Mann. | |
Und was machen die Parteien? | |
Sie stellen eine Frau fünfmal als Nummer eins auf, wie zum Beispiel die | |
Ministerin Maria Elena Boschi von der Partito Democratico. Gewählt werden | |
kann sie nur einmal. In den vier anderen Fällen rückt dann die Nummer zwei | |
nach – ein Mann. Und so ist am Ende die Geschlechterparität doch wieder | |
ausgehebelt. | |
Fällt das den Wählern nicht auf? | |
Die sehen vorne auf der Liste eine Frau und sagen, schau an, die Parteien | |
bewegen sich. Dass der Effekt dank der Mehrfachkandidaturen genau in die | |
andere Richtung geht, haben sie meist nicht auf dem Schirm. Am Ende werden | |
dann viel mehr Männer ins Parlament einziehen, deutlich stärker als bei den | |
letzten Wahlen. | |
Im Jahr 2013 waren es vor allem die Partito Democratico und die | |
Protestbewegung der Fünf Sterne (Movimento 5 Stelle, M5S), die mit einem | |
hohen Anteil an Frauen in ihren Reihen auffielen. | |
Das stimmt, auf der Rechten sind die Frauen weit weniger präsent. Doch so | |
sehr es mich schmerzt, muss doch auch gesagt werden: Die politisch rechts | |
aktiven Frauen sind am Ende sichtbarer, und die einzige Partei, die eine | |
Chefin hat, sind die stramm rechten, mit Silvio Berlusconi verbündeten | |
Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni. Auf der Linken | |
dagegen sind Frauen kaum Protagonistinnen an vorderster Front. | |
Und die Fünf Sterne? | |
Sie haben diverse Protagonistinnen, die Bürgermeisterin Roms, Virginia | |
Raggi, die von Turin, Chiara Appendino und andere. Zugleich ist die | |
Geschlechterparität kein echtes Thema für sie. Und die national wirklich | |
Wichtigen sind auch dort am Ende die Männer. | |
Sowohl bei der PD als auch bei den Fünf Sternen also das gleiche Bild? | |
Genau, bisher relativ viele Frauen, aber immer in der zweiten Reihe. Dafür | |
sind gewiss die Männer verantwortlich – aber auch die Frauen. Sie | |
orientieren sich gern an männlichen Platzhirschen, statt untereinander | |
Bündnisse zu schließen. | |
[1][Wenn wir auf die Wahlkampfthemen schauen] – sieht es wenigstens dort | |
besser aus? | |
Ein bisschen was gibt es zur Geschlechtergleichstellung, quer durch die | |
politischen Lager. Aber der Schwerpunkt liegt fast immer nur bei Fragen der | |
Mutterschaft, ausgehend von der großen Sorge um die demografische | |
Entwicklung des Landes, um die verheerend niedrige Geburtenrate. Am | |
stärksten exponiert sich bei Hilfen für Mütter die stramm rechte Partei | |
Fratelli d’Italia. Aber so gut wie alle Parteien wollen die Situation | |
berufstätiger Mütter verbessern. Zur Geschlechterparität dagegen findet | |
sich kaum etwas. Die linke, Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und | |
Gleiche), ist die einzige , die sich zum Beispiel für Parität bei den | |
Gehältern einsetzt. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Ich habe den Eindruck, dass die Parteien nicht daran glauben, mit diesem | |
Thema Stimmen hinzuzugewinnen. | |
Und am Ende überwiegt erneut das traditionelle Bild von der Frau als | |
Mutter? | |
Ich würde es „neotraditionell“ nennen. Denn wenigstens stellt niemand mehr | |
infrage, dass Mütter berufstätig sind. | |
24 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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