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# taz.de -- Essay zur Debatte um sexuelle Belästigung: Die Revolution der schw…
> Auch wenn es so scheint, ist #MeToo keine Bewegung weißer Hollywoodstars.
> Sie hat ihre Wurzeln im afroamerikanischen Feminismus.
Bild: Afroamerikanerinnen brachten den Stein ins Rollen
In der Neuauflage von Devil’s Bargain über Donald Trumps Weg zur Macht
beschreibt der Autor Joshua Green, wie der ultrarechte Politstratege Steve
Bannon höchst alarmiert vor der #MeToo-Bewegung warnte. Von einer
„Revolution“ habe er gesprochen, von einer „Antipatriarchatsbewegung,“ …
„zehntausend Jahre aufgezeichneter Geschichte rückgängig machen“ werde.
Frauen würden die gesellschaftliche Macht übernehmen, fürchtete er. Und sie
könnten keinem besseren Bösewicht gegenüberstehen als Trump. „Er ist der
Patriarch. Das ist ein definitorischer Moment in der Kultur. Es wird nie
mehr dasselbe sein.“
Akut verantwortlich für diese „Revolution“ wird die Rede von Oprah Winfrey
bei der diesjährigen Golden-Globe-Verleihung gemacht, in der sie den Preis
für ihr Lebenswerk „allen Frauen“ widmete, „die Jahre des Missbrauchs und
der Angriffe ausgehalten haben, weil sie – wie meine Mutter – Kinder
hatten, die Essen brauchten, Rechnungen bekamen, die bezahlt werden
mussten, und Träume hatten, die sie verfolgen wollten.“
Winfreys Blick richtet sich also nicht in erster Linie auf die mit
schwarzen Abendkleidern ausgestatteten Stars, die im Zuge der
#MeToo-Bewegung die Belästigungsepidemie in den Hochetagen Hollywoods
bloßgestellt haben. Sondern auf die unzähligen unsichtbaren Frauen, deren
Recht auf Würde und Glaubwürdigkeit sowohl von ihren Peinigern als auch von
der Gesellschaft missachtet wird.
#MeToo hat Europa in erster Linie als eine Bewegung prominenter, weißer
Hollywoodstars erreicht, und deren Teilnahme ist sicherlich für die
Sichtbarkeit ausschlaggebend, die zur Ehrung als „Mensch des Jahres 2017“
des Times Magazine geführt hat.
Schwarze Frauen werden doppelt unterdrückt
Doch #MeToo wurde von einer Afroamerikanerin gegründet, und die Wurzeln der
Bewegung liegen in der Tradition des afroamerikanischen Feminismus. Tarana
Burke, so heißt diese Gründerin, erinnert weiße Feministinnen aus der
Mittelklasse an die doppelte Unterdrückung schwarzer Frauen und streitet
für ein feministisches Programm, das die unterschiedlichen Formen der
Diskriminierung in den Vordergrund rückt, unter denen Women of Color im
Alltag leiden.
Afroamerikanerinnen gehören also zu den genauesten und schonungslosesten
Analytikerinnen gelebter sexueller Machtverhältnisse. Darauf hat die
(weiße) feministische Ikone Gloria Steinem vor Kurzem hingewiesen und
angeprangert, die amerikanische Mainstreamkultur und viele weiße
Feministinnen würden die Vorreiterrolle schwarzer Feministinnen in der
Frauenbewegung systematisch übersehen.
Die Afroamerikanerin Tarana Burke hat „Me Too“ schon 2007 ins Leben
gerufen, um jungen Überlebenden von sexueller Gewalt einen Raum zu
gewährleisten, wo ihren Geschichten Glauben geschenkt wird. Durch Empathie
sollten sich gerade arme „braune und schwarze“ Frauen, die die häufigsten
und wehrlosesten Opfer sexueller Belästigung sind, des Lebens wieder
ermächtigen, die Glaubwürdigkeit wiedererlangen.
Angesichts dieser gesellschaftlich verankerten Wehrlosigkeit, sexuellen
Verfügbarkeit und Unglaubwürdigkeit, die den privaten und beruflichen
Alltag unzähliger Frauen bestimmen, ist Catherine Deneuves Aussage, die
Freiheit zu belästigen sei unerlässlich für die sexuelle Freiheit,
besonders unerträglich. Die „Marianne,“ die Deneuve für ihre Generation
verkörpert, ist auch mit halb entblößtem Busen unantastbar. So unantastbar
ist auch Deneuve, weil sie die Grenzen ihrer Verfügbarkeit im erotischen
Spiel selber zu bestimmen vermag.
Sexuelle Belästigung als Fantasie abgetan
Ganz anders erging es Nafissatou Diallo, die den französischen Politiker
Dominique Strauss-Kahn der Vergewaltigung in einem New Yorker Hotel
bezichtigte. Dieser schwarzen Analphabetin und Immigrantin, diesem
„Zimmermädchen“, wurde nicht geglaubt, als sie versuchte, ihre Version der
Geschichte gegen die eines mächtigen Mannes zu behaupten. Und das Nein, das
gesagt zu haben sie erklärte, hatte weder in der intimen Begegnung noch im
Gericht die geringste Gültigkeit.
Exemplarisch dafür, wie die Glaubwürdigkeit von Frauen in
Belästigungsverfahren angezweifelt wird, war der Fall Anita Hill, der sich
vor über 25 Jahren in den USA ereignete. 1991 nominierte der damalige
Präsident der USA, George H. W. Bush (also Bush senior, der übrigens selber
nicht von Belästigungsvorwürfen verschont blieb), den erzkonservativen, als
Richter beinahe unerfahrenen afroamerikanischen Juristen Clarence Thomas
als Nachfolger des legendären, liberalen, schwarzen Richters Thurgood
Marshall am Obersten Gerichtshof.
Im Rahmen der üblichen Nachforschungen zum Charakter des Kandidaten
beschuldigte ihn eine ehemalige Mitarbeiterin, die afroamerikanische
Juraprofessorin Anita Hill, der sexuellen Belästigung. Vor dem
ausschließlich von weißen Männern besetzten Justizausschuss des
US-amerikanischen Senats schilderte Hill, wie ihr Vorgesetzter sie immer
wieder gedrängt habe, sich privat mit ihm zu verabreden.
Nachdem sie Thomas’ Annäherungsversuche abgelehnt habe, habe er sie mit
Ausführungen über seine Pornografiepräferenzen und seine sexuelle Begabung
belästigt sowie darüber, wie sie in bestimmten Kleidern besonders sexy
wirke. Hills Beschreibung, wie Thomas den Arbeitsplatz sexualisiert hatte,
wurde von der Kommission als Fantasie, falscher Eindruck oder eigene
Erfindung zurückgewiesen.
Das Bedauern der weißen Männer
Frauen, die ähnliche Erfahrungen mit Thomas gemacht hatten und die Hills
Glaubwürdigkeit bestätigt hätten, wurden nicht zur Aussage vorgeladen. In
einer bizarren Umkehr wurden die Anhörungen zur Eignung des Kandidaten für
den Oberen Gerichtshof zum Tribunal über den Charakter der Zeugin. Thomas
wurde im Amt bestätigt.
Heute, gut 25 Jahre später, ist Hill Vorsitzende der „Kommission zur
sexuellen Belästigung und Verbesserung der Gleichberechtigung am
Arbeitsplatz“, einer Instanz zur Überprüfung der Arbeitsverhältnisse in der
Unterhaltungsindustrie, die im Zusammenhang mit der Weinstein-Affäre und
der #MeToo-Initiative ins Leben gerufen wurde. Hier kann Hill genau die
Solidarität anderen zugute kommen lassen, die ihr 1991 vom Senatsausschuss
vorenthalten wurde.
Im Zuge der #MeToo-Enthüllungen hat im Januar 2018 der Demokratische
Senator Joseph Biden, der damals Vorsitzender des Justizausschusses und
acht Jahre lang Vizepräsident unter Obama war, wiederholt sein Bedauern
darüber geäußert, dass er nicht mehr unternommen habe, um den aggressiven
Umgang mit Hill zu unterbinden, auch wenn er selber gegen Thomas’ Ernennung
gestimmt hatte.
Bidens späte Reue ist ein Beweis für die Wirkung von #MeToo. 1991 wurde
Hill noch als Lügnerin vorgeführt, heute basiert ihre Autorität als
Juristin und als Afroamerikanerin – nicht nur unter Feministinnen – auf
gerade den Eigenschaften, die sie damals unglaubwürdig machten.
Hoffnung auf eine andere Zukunft
Anita Hills Geschichte ist stellvertretend für den Gang jener Revolution,
die Steve Bannon so fürchtet. Man stelle sich vor, was es bedeuten würde,
wenn die Geschichten all jener Frauen geglaubt würden, die Oprah Winfrey in
ihrer Rede aufgezählt hat: „Frauen, deren Namen wir nicht kennen. Sie sind
Hausangestellte und Landwirtschaftshilfen. Sie arbeiten in Fabriken und sie
arbeiten in Restaurants. Sie sind in Akademien, im Ingenieurwesen, in der
Medizin und in der Wissenschaft. Sie sind Teil der Technik-, Politik- und
Geschäftswelt. Sie sind unsere Olympionikinnen und sie sind unsere
Soldatinnen im Militär.“
Zum Schluss ihrer Rede erinnerte sie an die jüngst verstorbene Recy Taylor,
eine junge Afroamerikanerin aus Alabama, die 1944 von sechs bewaffneten
weißen Männern vergewaltigt wurde. Diese hatten ihr die Augen zugebunden
und ihr gedroht, man würde sie umbringen, sollte sie je von dieser
Vergewaltigung erzählen. Ihre Geschichte wurde trotzdem einer
Bürgerrechtsorganisation berichtet, und eine Untersuchung wurde
eingeleitet, aber die Männer wurden nie angeklagt.
Heute, lässt Winfreys Rede hoffen, hätte dieser Vorfall einen anderen,
gerechteren Ausgang haben können. „Sie lebte, wie wir alle, zu lange in
einer Kultur, die von brutalen, mächtigen Männern kaputt gemacht wurde.
Viel zu lange wurde Frauen weder zugehört noch geglaubt, als sie es wagten,
die Wahrheit über die Macht dieser Männer zu sagen. Aber deren Zeit ist
vorbei.“
Ironischerweise scheint ihre Zeit unter anderen deswegen vorbei zu sein,
weil einer der brutalsten aller mächtigen Männer nun im Weißen Haus wohnt.
Als während des Wahlkampfs 2016 Donald Trump verkündete, er werde den
„Sumpf trockenlegen“, und damit meinte, Washington von dem bei ihm
verpönten „Establishment“ – „Eliten“, Lobbyisten, liberalen Medien �…
befreien zu wollen, da hätte niemand erwartet, dass diese Person einen
Prozess in Gang setzen würde, der einen ganz anderen Sumpf bloßlegen
sollte: den Sumpf der sexuellen Belästigung.
Der Wahl von Trump ist #MeToo zu verdanken
Hatte Trumps sexistische Prahlerei, er könne jede Frau haben („You can do
anything. Grab them by the pussy“), Erwartungen und Hoffnungen beflügelt,
dass er die Wahl verlieren würde, so führte das Entsetzen über den Wahlsieg
dieses frauenfeindlichen Rassisten zunächst zur größten Demonstration für
Frauenrechte aller Zeiten.
Ich meine, dass dieses Entsetzen auch den Weg bereitet hat für die Lawine
der Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen die zahlreichen
mächtigen Männer, die nun ihre Macht, ihre Autorität und ihre
gesellschaftliche Stellung eingebüßt haben. Und wenn Steve Bannon recht
damit haben sollte und der „Bösewicht“ Trump tatsächlich die Endzeit des
Patriarchats eingeleitet hat, dann könnte dessen Wahlsieg ein wenig an
Schrecken verloren haben.
18 Feb 2018
## AUTOREN
Susan Winnett
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