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# taz.de -- SciFi-Autorin über Geschlechterkampf: „Wer Macht hat, missbrauch…
> Im Bestsellerroman „Die Gabe“ von Naomi Alderman sind Frauen körperlich
> stärker als Männer. Sollte das die Lösung sein?
Bild: Stark!
taz: Frau Alderman, in Ihrem Roman „Die Gabe“ bekommen Mädchen und Frauen
die Fähigkeit, Männer mit Stromstößen aus ihren Fingern zu verletzen oder
zu töten. Wünschen Sie sich manchmal, Sie hätten diese Fähigkeit?
Naomi Alderman: Ja, auf jeden Fall. Als ich mir vorgestellt habe, dass es
diese Kraft wirklich gäbe, habe ich realisiert, in wie vielen Situationen
im Leben ich Angst habe. Ich glaube, auch Männer merken, dass sie viel
weniger Angst haben als Frauen.
Wann würden Sie diese Kraft einsetzen?
Mein Buch beginnt damit, dass ein Mädchen von ihrem Pflegevater
vergewaltigt wird. In Notwehr bringt sie ihn um. Und in diesem Moment
möchte ich ihr zujubeln. Wenn in den vergangenen Monaten Frauen im Zuge der
#MeToo-Debatte von ihren Erlebnissen mit sexualisierter Gewalt erzählt
haben, dann habe ich mir immer gewünscht, ich könnte ihnen „die Gabe“
geben.
Sie thematisieren in „Die Gabe“ sexualisierte Gewalt und einen sehr
unsympathischen Charakter mit dem Namen Weinstein. Als hätten Sie #MeToo
vorhergesehen …
Meine Mentorin war Margret Atwood und sie ist ein bisschen verrückt.
Vielleicht hat sie mir beigebracht, selbst ein bisschen so zu sein (lacht).
In Ihrer utopischen Welt kehren sich die Geschlechterverhältnisse um. Jungs
verkleiden sich als Mädchen, um stärker zu wirken, oder sollen nicht mehr
allein auf die Straße gehen. Sollen Männer durch den Roman verstehen, wie
es ist, als Frau im Patriarchat zu leben?
Es gab einige männliche Leser, die das Buch schockierend fanden und sich
fragten, warum ich so schreckliche Dinge aufgeschrieben habe. Und dann
wurde ihnen klar: Alles was Männer in diesem Buch erleben – das passiert in
der Realität. Gerade in diesem Moment passiert es irgendeiner Frau auf
dieser Welt.
Aber wenn es in der Realität passiert, warum haben Sie es als
Science-Fiction aufgeschrieben?
Für mich ist Science-Fiction ein weibliches Genre, geprägt von Mary Shelley
(„Frankenstein“), Margret Atwood („The Handmaids Tale“) oder Octavia Bu…
(„Patternmaster“), die ich alle schon seit Langem bewundere. Das Spannende
an dem Genre ist nicht, wenn du schreibst, wie Aliens miteinander kämpfen.
Sondern es sind Szenarien, die zeigen, wie unser Leben in einer anderen
Gesellschaft aussehen könnte. Und so ein Gedankenexperiment habe ich in
„Die Gabe“ ausprobiert.
In Ihrem Gedankenexperiment übernehmen Frauen die Macht, weil sie
körperlich stärker sind. Braucht es auch in der Realität körperliche Kraft,
um machtvoll zu sein?
Muss ein Mann, der Macht haben will, jemanden ins Gesicht schlagen?
Meistens nicht. Aber trotzdem ist faszinierend, was Studien zeigen: Je
größer ein Mann ist, desto mehr verdient er. Physische Merkmale machen also
noch immer einen Unterschied dabei, wie wir Menschen wahrnehmen. Doch es
sind nicht nur der Körperbau und die physische Kraft, die einen mächtig
machen. Geld ist Macht, Schönheit ist Macht und die Fähigkeit, gewalttätig
zu sein, ist Macht. Du musst also kein Mann sein, um mächtig zu sein. Aber
es hilft.
Nun sind Frauen in unsrer Welt im Schnitt körperlich schwächer als Männer.
Wie wäre es, wenn die Schwächeren die Welt regieren würden?
Das kommt darauf an, wie sie an die Macht gekommen sind. Ich glaube nicht,
dass Frauen grundsätzlich besser sind als Männer. In meinem Buch können
Frauen gewalttätig sein, und im Spiel um Macht gewinnen sie gegen die
Männer. Doch damit verschieben sie nur die Machtverhältnisse. Wir aber
brauchen eine Welt, in der wir kluge Gedanken mehr wertschätzen als einen
Schlag ins Gesicht. Wenn wir also beginnen, Eigenschaften zu schätzen, die
in der Regel weiblich eingestuft werden, würde uns das zu einer besseren
Welt führen. Dafür müssen aber nicht zwangsläufig Frauen an der Macht sein.
Macht das denn gar keinen Unterschied? Gäbe es sexualisierte Gewalt, wie
sie bei #MeToo zur Sprache gebracht wird, auch, wenn mehr wichtige
Positionen in Hollywood mit Frauen besetzt wären?
Ich denke schon, dass diese Gewalt nicht in solchem Ausmaß passieren würde,
wären Männer und Frauen in gleichwertigen Positionen. Komplett eindämmen
kann man sie aber nicht. Wenn statt Männern nur noch Frauen das Sagen
hätten und beispielsweise über die Rollen der Blockbuster entscheiden
würden, dann würden sich die Machtverhältnisse einfach umdrehen. Und wer
Macht hat, der missbraucht sie, einfach weil er es kann. Deswegen müssen
wir es für die Missbrauchten einfacher machen, über ihre Erfahrungen zu
sprechen. Und wir müssen ihnen zuhören.
Kann es denn dann eine Welt geben, in der alle Geschlechter zufrieden leben
können?
Der schottische Science-Fiction-Autor Ian M. Banks fragt in seinen „Culture
Books“, wie eine Welt aussähe, wenn es vollkommene
Geschlechtergerechtigkeit gäbe. In seiner Welt gibt es Medikamente, mit
denen es jedem Menschen möglich ist, sein Geschlecht zu ändern. Wann immer
und so häufig man möchte. Dann sind wir nicht mehr Männer oder Frauen –
sondern einfach Menschen. Eine schöne Vorstellung. Doch solange es
Machtunterschiede gibt, wird es auch Ungerechtigkeit geben.
Wie könnte man denn die Machtunterschiede aus dem Weg räumen?
Sie komplett abzuschaffen ist, glaube ich, nicht möglich. Wir müssen die
Unterschiede erst einmal benennen – und dann können wir versuchen, sie zu
ändern.
Können Sie ein Beispiel geben?
Es ist in unserer Welt normal, zu sagen, dass Männer durchschnittlich
stärker sind als Frauen. Anstatt den Machtunterschied zu erkennen und zu
versuchen, ihn zu verändern, verstärken wir ihn. Beispielsweise mithilfe
von Schönheitsstandards. Während es für Frauen normschön ist, klein,
zierlich und süß auszusehen, sollen Männer aussehen, als könnten sie Frauen
durch den Raum werfen. Wir halten also an einer Welt fest, in der
Männersportarten gewalttätige Sportarten sind. Ich möchte lieber Männer
eislaufen sehen und Mädchen, die in der Schule Karateunterricht nehmen. Das
wäre eine kleine Möglichkeit, die unfaire Machtverteilung anzugehen.
Seit 2017 haben wir auf der einen Seite die #MeToo-Bewegung und Women’ s
Marches, bei denen über eine Million Frauen in den USA auf die Straße
gegangen sind. Auf der anderen Seite steht Donald Trump, ein sexistischer
und rassistischer Mann, als Präsident der USA. Auch in Europa gibt es einen
Rechtsruck mit Parteien, die ein sexistisches,
christlich-fundamentalistisches Frauenbild vertreten. Bewegen wir uns in
Sachen Gleichberechtigung und Frauenbild im Kreis?
Donald Trump ist eine furchtbare Person. Aber ich habe Hoffnung: Selbst
Donald Trump sagt nicht, dass Frauen nicht wählen dürfen sollten. Selbst
Donald Trump sagt nicht, dass wir Vergewaltigung in der Ehe wieder
legalisieren sollten. Selbst Donald Trump sagt nicht, dass Frauen in der
Ehe keinen eigenen Besitz haben sollten. Ich finde es ermutigend, dass
selbst unter diesem sexistischen und rechten Mann bestimmte Dinge nicht
mehr in Frage gestellt werden. Das heißt: Auf lange Sicht bewegen wir uns
in die richtige Richtung.
Also sollten wir einfach abwarten?
Nein. Wir dürfen uns nicht länger auf dem ausruhen, was die vorherigen
Generationen für uns erkämpft haben. Auch dafür ist Trump in gewisser Weise
verantwortlich: Er hat uns Frauen aufgeweckt. Und eines ist klar: Wir
müssen wieder kämpfen!
8 Mar 2018
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Lesestück Interview
Science-Fiction
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