| # taz.de -- Debatte Frauen in Afrikas Politik: Erzwungene Gefügigkeit | |
| > Mehr Frauen in die Politik? In Afrika sind sie oft schon da – als | |
| > Sexobjekt. Missbrauch ist in der Machtpolitik eine Konstante. Doch es | |
| > gibt auch Protest. | |
| Bild: Auch Robert Mugabe hatte ein „zweites Büro“ – und heiratete seine … | |
| Wer erinnert sich noch an Nafissatou Diallo? Die Frau aus Guinea arbeitete | |
| [1][als Zimmermädchen] in einem New Yorker Hotel und reinigte dort am | |
| Morgen des 14. Mai 2011 die Suite 2820, als nach ihrer eigenen Darstellung | |
| der Hotelgast aus Frankreich nackt über sie herfiel, sie zu Boden zwang, | |
| ihr seinen Penis in den Mund stopfte und ejakulierte. Der Hotelgast war der | |
| Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), [2][Dominique Strauss-Kahn], | |
| damals einer der mächtigsten Männer der Welt. Er wurde noch am gleichen Tag | |
| am Flughafen von New York festgenommen. | |
| Kaum jemand half Nafissatou Diallo, einer einfachen Migrantin. Strauss-Kahn | |
| hingegen hatte mächtige Freunde, er besorgte sich Staranwälte und tat | |
| alles, um sich in der Heimat bemitleiden zu lassen – unrasiert und in | |
| Handschellen beim Gang zum Haftrichter den Pressefotografen vorgeführt, wie | |
| respektlos, mon Dieu! – und sein Opfer zu diskreditieren: War nicht | |
| vielleicht alles erfunden? War es nicht vielleicht einvernehmlich? Hatte | |
| die junge Frau nicht vielleicht den alten Mann verführt, um ihn zu | |
| erpressen? Strauss-Kahns damaliger Anwalt Benjamin Brafman erreichte auf | |
| diese perfide Weise, dass es nie zum Strafverfahren kam, wegen „mangelnder | |
| Glaubwürdigkeit“ der Klägerin. In einem Zivilverfahren erstritt sie sich | |
| von Strauss-Kahn später eine Millionensumme. | |
| [3][#MeToo] gab es im Jahr 2011 noch nicht. Zwar wussten schon viele, was | |
| Filmproduzent Harvey Weinstein in seinen New Yorker Hotelsuiten trieb, wenn | |
| er junge Schauspielerinnen dort hinbestellte. Aber die Kulturszene schwieg, | |
| und Nafissatou Diallo, das war ja bloß ein schwarzes Dienstmädchen. | |
| Strauss-Kahns damaliger Anwalt vertritt heute Harvey Weinstein. Dessen | |
| Opfer können sich also auf einiges gefasst machen. Die Geschichte | |
| wiederholt sich, und nicht immer als Farce. Hätten Weinsteins Opfer schon | |
| 2011 für Diallo die Stimme erhoben, wäre vielleicht manches anders | |
| gelaufen. Und hätten diejenigen, die jetzt aufgeregt über #MeToo streiten, | |
| sich mit der Geschichte von Diallo und Strauss-Kahn beschäftigen, würden | |
| dieser Debatte einige besonders absurde Auswüchse wie die Forderung aus | |
| Frankreich nach Respektierung der „Freiheit, zu belästigen“, vielleicht | |
| erspart bleiben. | |
| ## Sexuelle Verfügbarkeit als Attribut der Macht | |
| Wie so oft bei ausufernden internationalen Diskussionen hält Afrika, wo | |
| Machtverhältnisse schroffer und brutaler klargestellt werden als irgendwo | |
| sonst, dem Rest der Welt einen Spiegel vor, der hervorhebt, worum es im | |
| Kern geht. Die „Freiheit, zu belästigen“, führt geradewegs in die New | |
| Yorker Hotelsuite 2820 und von dort in den Horror der sexualisierten | |
| Kriegsgewalt auf Afrikas Schlachtfeldern. | |
| Denn das Thema ist nicht, was Männer und Frauen miteinander auf Augenhöhe | |
| anstellen dürfen. Es ist, wie weit manche Männer gehen, wenn die Frau | |
| nichts zu sagen hat. Es geht um Machtmissbrauch und die Erkenntnis, dass es | |
| auf der ganzen Welt mächtige Männer gibt, die sexuelle Verfügbarkeit der | |
| Frauen in ihrem beruflichen Umfeld für ein selbstverständliches Attribut | |
| ihrer Macht halten, für ihr gutes Recht – oder gar für besonders charmante | |
| Zuwendung. | |
| Mobutu Sese Seko, über dreißig Jahre lang absoluter Herrscher über die | |
| heutige Demokratische Republik Kongo (damals Zaire), war ein besonders | |
| berüchtigter Charmeur. Und er war berüchtigt dafür, gezielt mit den Frauen | |
| seiner Minister ins Bett zu gehen, um diese dann zu erpressen. Denn nichts | |
| ist für einen nach Status strebenden Kongolesen ein schlimmerer | |
| Gesichtsverlust, als wenn er seine Frau nicht unter Kontrolle hat – und das | |
| ist bei Weitem nicht nur im Kongo der Fall. Nicht ganz so schamlos, aber | |
| nach ähnlichem Muster laufen viele Intrigen in afrikanischen | |
| Präsidentenpalästen ab. | |
| Es ist eine Konstante afrikanischer Machtpolitik, eine Frau als Sexobjekt | |
| zu behandeln oder zu misshandeln, um damit ihre Familie oder ihre | |
| Gemeinschaft zu erniedrigen und Gefügigkeit zu erzwingen. Nicht nur | |
| Milizionäre wenden das an, wenn sie systematisch vergewaltigen. Es | |
| geschieht überall dort, wo Machtstreber in ihrem Umfeld alte Familien- und | |
| Treuebande brechen, um sich zu behaupten. Nach außen geben sie sich dann | |
| als moderne Vorkämpfer gegen Tradition. | |
| ## Aus dem „zweiten Büro“ können Frauen nicht aussteigen | |
| Es geht aber nicht nur um Gewaltakte. Im frankophonen Afrika hat sich in | |
| entwaffnender Ehrlichkeit der Begriff des „deuxième bureau“ etabliert – … | |
| außereheliche Affäre nicht als zweite Liebe, sondern als zweiter | |
| Arbeitsplatz, der genauso wichtig ist wie der erste. Das „zweite Büro“ | |
| erzeugt umso mehr Ehrfurcht, je weniger davon nach außen dringt. Manchmal | |
| werden dort die wichtigsten Geschäfte verhandelt. Mann und Frau verfolgen | |
| beide egoistische Ziele und nutzen sich gegenseitig bewusst aus. Aber es | |
| funktioniert eben nur auf der Basis eines Gender-Machtgefälles: Die Frau im | |
| „zweiten Büro“ kann in der Regel nicht aussteigen. In der Öffentlichkeit | |
| existiert sie nicht. | |
| Deswegen begegnen viele mächtige Afrikaner alter Schule der Idee, dass mehr | |
| Frauen in die Politik gehören, mit komplettem Unverständnis: Sie sind doch | |
| schon da. Aber eben da, wo sie nützlich sind, also hinter dem Vorhang. | |
| Robert Mugabe in Simbabwe heiratete nach dem Tod seiner langjährigen | |
| Ehefrau sein „zweites Büro“ Grace, die ihn schließlich immer | |
| offensichtlicher herumkommandierte – am Ende putschte sein entnervtes | |
| Umfeld ihn weg. | |
| Auch Machtmissbrauch hat seine Gesetze. Nachdem Dominique Strauss-Kahn alle | |
| seine Prozesse wegen Vorwürfe sexueller Übergriffe gewonnen hatte, schrieb | |
| die Pariser Afrika-Zeitschrift Jeune Afrique, die über solche Dinge mehr | |
| weiß, als sie drucken darf, Strauss-Kahn sei als IWF-Chef dafür bekannt | |
| gewesen, auf seinen Afrika-Missionen Prostituierte nie zu bezahlen. In | |
| einer Hauptstadt hätten sie sich schließlich gerächt und kollektiv und | |
| öffentlich in der Hotellobby ihren Lohn eingefordert. #MeToo hat viele | |
| Gesichter. | |
| 16 Feb 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5064723/ | |
| [2] /!5203746/ | |
| [3] /!5481091/ | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt #metoo | |
| Afrika | |
| Grace Mugabe | |
| Robert Mugabe | |
| Dominique Strauss-Kahn | |
| Harvey Weinstein | |
| sexueller Missbrauch | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Schwerpunkt #metoo | |
| Simbabwe | |
| Burundi | |
| Südsudan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Essay zur Debatte um sexuelle Belästigung: Die Revolution der schwarzen Frauen | |
| Auch wenn es so scheint, ist #MeToo keine Bewegung weißer Hollywoodstars. | |
| Sie hat ihre Wurzeln im afroamerikanischen Feminismus. | |
| Mugabe verliert die Macht in Simbabwe: Vom Krokodil gefressen | |
| 37 Jahre lang herrschte Robert Mugabe über Simbabwe. Nun übernimmt Emmerson | |
| Mnangagwa, genannt „das Krokodil“. | |
| UN-Bericht zu Burundi: Unterdrückung und Hassdiskurs | |
| Eine Kommission des UN-Menschenrechtsrats wirft dem Regime von Präsident | |
| Nkurunziza Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. | |
| Sexualisierte Gewalt im Südsudan: Vergewaltigt vor den Augen der UN | |
| Südsudans Regierungssoldaten vergewaltigten Frauen, die bei Blauhelmen | |
| Schutz gesucht hatten. Grund: ihre ethnische Zugehörigkeit. |